Abonnement: Tägliche Ausgabe: 70 Pfennig monatlich. Bringerlohn 20 Pfg. monatlich, durch die Poſt bez. inel. Poſt⸗ aeng M..43 pro Quartal. inzel⸗Nummer 8 Pfg. Nur Sonntags⸗Ausgabe: 20 Pfennig monatlich, ins Haus od. durch die Poſt 25 Pf. Inſerate: ＋. Die Colonel⸗Zeile. 20 Pfg. *Auswärtige Inſerate 25„ Die Reklame⸗Zeile 60„ Gadiſche Volkszeitung.) E 6, 2. der Stadt Mannheim und Umgebung. Unabhängige Tageszeitung. Erſcheint wöchentlich zwölf Mal. Grleſeuſte und verbreitetſte Zeitung in Mannheim und Amgebung. Schluß der Inſeraten⸗Annahme für das Mittagsblatt Morgens 9 Uhr, für das Abendblatt Nachmittags 3 uhr.„ — Für unverlangie Manuſfkripte wird keinerlei Gewähr geleiſtet. (Nannheimer Vollsblatt.) Telegramm⸗Adreſſe: „Journal Mannheim“ In der Poſtliſte eingetragen unter Nr. 3021. Telephon: Direktion und Druckerei: Nr. 341 Redaktion: Nr. 377 Expedition: Nr. 218 „ Filiale: Nr. 815 E 6, 2. Nr 513. Donunerstag, 5. November 1905. 2 (2. Mittaablatt.) 8 Pflicht. Skizze von H. Witte. Nachdruc Weiße Nebel ſteigen langſam auf aus den weiten, öden dern und Wieſen, über die ſchon lange die Erntezeit dahin⸗ angen iſt. In den dunkelgrünen Kronen des Kiefernbeſtandes zen ſich die dunſtigen Ballen verfangen und hängen darin feſt lange, weiße Tücher; es liegt ein tiefes Schweigen über den Aren ringsum, nur der Schrei wilder Enten, die in tiefem zug über den Forſt hinziehen, durchtönt die regloſe Luft; da üben werden ſie einfallen in den ſtillen See, über dem die onne in feuriger Glut durch die Nebel leuchtet. Ihr purpurner anz durchflammt den ſcheidenden Herbſtabend mit dem Schein ſtorbenen Lebens, er glüht auf dem bunten Laub der Buchen 1 Eichen und hüllt ſie ein in leuchtende Farbenpracht.„Ster⸗ de Wälder im Scharlachgewand“ ſtehen ringsum in ſchweigen⸗ 1* Pracht, und mitten hindurch, vom blutroten Sonnenlicht erglüht, zieht ſich das Werk der Menſchenhand, der Schienen⸗ ſang der Bahn, der jetzt wie ein Feuerſtreifen funkelt. Kein Wrf, keine Stadt zu ſehen, nur drüben am Waldrand das ahnwärterhäuschen, deſſen kleine Fenſter leuchten wie rote Aammen; ſtill und verlaſſen liegt es in der großen Einſamkeit, e Sonnenblumen im Vorgarten neigen welkend die Köpfe, und roten und blauen Georginen drängen ſich dicht und ängſtlich die Hauswand mit ihrem Gerank von wildem Wein, das iht an kahlen Zweigen nur noch vereinzelt hier und da ein rotes, Üſterndes Blatt feſthält. Still wie draußen in der Natur beim Verglühen des ſter⸗ verboten. Aden Tages iſt's auch drinnen in dem kleinen Stübchen. Der gabe, über deſſen eingefallenes Geſicht die zuckenden Sonnen⸗ ker den trügeriſchen Schein friſchen Lebens ausgießen, liegt Fares in den bunt gewürfelten Kiſſen. Seine Augen, ler denen tiefe, bläuliche Schatten lagern, ſind geſchloſſen, egraben. Am Fußende des Bettes ſitzt der Bahnwärter und ſt unverwandt in das Geſicht ſeines Lieblings; Will iſt ſein ziger, ſein und ſeines Weibes ganzes Glück. Nichts haben drei empfunden von ihrem Abgeſchiedenſein von der Welt, ihts haben ſie entbehrt und vermißt hier in ihrem ſtillen, ſnen Reich, in dem das Glück mit ihnen gewohnt hat; und nun Iit der Knabe auf dem Schmerzenslager niedergeworfen von liſcher Krankheit, und keine noch ſo heiße Liebe der Eltern iim ihm helfen und den fürchterlichen Anfällen wehren, die e Bruſt erſchüttern und ihn zu erſticken drohen. Wo nur Elsbeth bleibt. Der Mann am Krankenbett des Ades ſehnt ſein Weib herbei mit jeder Fiber ſeines Herzens; große Stille um ihn her legt ſich mit Zentnerſchwere auf ge Bruſt, alle Schrecken der Sorge und der Angſt um das febte Leben foltern ſeinen Geiſt. Er iſt allein mit dem Kinde, deſſen Lager vielleicht ſchon unſichtbar der Todesengel ſteht, d den einſamen Mann erfaßt ein Gefühl faſt knabenhafter floſigkeit gegen ein drohendes, furchtbares Etwas, dagegen mMachtlos iſt. Wo ſie nur bleibt! Sie iſt in die Stadt ge⸗ dert zum Arzt, um Linderungsmittel zu holen für ihren ben; wohl iſt es weit bis dahin, aber dem Wartenden werden Minuten zu Stunden, ſie müßte doch ſchon da ſein.— Horch, Pen das nicht Schritte?— Lauſchend beugt er ſich vor— nichts! Nur der Knabe wirft ſich in den Kiſſen herum ſtöhnt. Gott, iſt das die Unruhe ſchon wieder, die den ilhen ſtets voranzugehen pflegt. Draußen ſind die Sonnen⸗ oſchen, kalte, graue Dämmerung liegt über der Weite füllt mit ihren düſteren Schatten das kleine Stübchen. „Vater, mach' doch Licht,“ bittet der Knabe, und ſeine weit eten Augen ſtarren angſtvoll in den halbdunklen Raum. mein Jung', gleich,“ tröſtet der Mann. Seine ſchweren ſel kreiſchen auf den Dielen, ſo ſehr er ſich auch müht leiſe Rutreten, als er die Lampe vom Schrank herunterlangt: ih doch man, Vater, da, das Schwarze, wie das nach mir It,“ klingt es angſtvoll an ſein Ohr. Jetzt flammt der freundliche Lichtſchein auf:„Aber laß doch, Fung„tröſtet Heinrich,„das ſind ja bloß Schatten, die Pir nichts; ſieh' mal, ich bin ja bei Dir, fürcht“ Dich doch nicht⸗ Inp er ſetzt ſich auf den Bettrand und nimmt ſeinen Knaben n Arm; forſchend ſpäht Will in ſein Geſicht, dann nickt dd lehnt ſich beruhigt an ſeine Bruſt.„Wo iſt Mutter?“ er leiſe. 5 um den kleinen, blaſſen Mund iſt ein Zug des Leidens * Argße, ſchwarze Vögel mit langen Flügeln— ſiehſt Du iateſr, wie ſie da am Fenſter auf und ab flattern— was Bes.“ iſt ein eiliges, tonloſes Flüſtern, das der Vater kaum bvögel ſinds, Will, die nach dem fernen, warmen Süden giks hier fetzt Winter wird, ſie wollen nichts von Dir, Und.“ k tröſtet der Mann den Knaben, deſſen große, glänzende ungſtvoll nach den Wahngebilden des Fiebers ſpähen. plötlich tönt ein helles Vogelrufen durch den Raum; das Je Vögelchen in der Kuckucksuhr an der Wand läßt ſeine e Stimme erſchallen— halb— halb ſechs Uhr iſts Gott, wo nur Elsbeth bleibtl! Der Knabe ſchrickt auf. Beim Doktor, Will, ſie holt was für Dich, aber ſie kommt „Vater, Du mußt gehn!“ ruft er haſtig, jetzt iſt ſein Bewußtſein mit einemmale ganz klar,„der D⸗Zug kommt, Du mußt fort,“ drängt er aufgeregt. „Noch nicht, Willchen, noch nicht, ich hab' noch Zeit, ich lauf' dann ein bischen ſchneller bis zur Weiche, ich will bloß bei Dir bleiben, bis Mutter kommt, ſie muß ja kommen, jeden Augenblick!“ Ja, ſie muß kommen; ſeine eigene Unſicherheit und Angſt beſchwichtigte er damit; es iſt auch wohl nur der dichte Nebel da draußen, der den Schall ſo dämpft, ſonſt müßte er ihre Schritte ſchon auf dem Wege hören. Er kann ja nicht fortgehen, ehe ſie nicht da iſt, er kann den Knaben nicht hilflos ſich ſelber überlaſſen. Wenn ein Anfall kommt, und niemand iſt da, der ihn ſtützt, der ihm die Tropfen einflößt— er könnte ja ſterben dabei!— Und langſam verrinnt die Zeit; unaufhaltſam lautlos ſinkt Tropfen auf Tropfen hinab in das große Meer, daraus es kein Wiederkommen gibt; und noch immer kein Schritt, kein Laut da draußen, ſo angſtvoll der Mann auch lauſcht. Er meint, ſein Denken und Sehnen müſſe ſie herbeizwingen; ſte weiß ja, daß er fort muß, die Weiche zu ſtellen und drüben am Waldweg den Schlagbaum niederzulegen, ſie weiß es ja genau, ſie muß ja kommen. Wenn er auch bleibt bis zur letzten Minute, dann ſind's nur wenig Atemzüge noch, und er muß gehen. Und wenn ſie dann nicht da iſt. Der Gedanke fällt ihn plötzlich an wie ein Ungeheuer, dagegen ein Kampf unmöglich iſt. Dann kann ich nicht gehen— dann bleib' ich! Das ſteht mit klarer Selbſtverſtändlichkeit vor ſeiner Seele, und daneben reckt ſich etwas auf, das eine ſchwere Hand auf ſeine Schulter legt und ihm zuraunt: Du mußt! ſtärker als alles bindet dich die Pflicht. Bedenke, was Du tun willſt, denke an das Unheil, das unabſehbare, das entſtehen kann, wenn Du Deine Pflicht verſäumſt— denke an all die Menſchenleben, die Du gefährdeſt, die Deiner Pflichttreue arglos vertrauen, die itt Deine Hand gegeben ſind— wie willſt Du beſtehen vor dem ewigen Richter, wenn er ſie von Dir verlangt? Aber all dies fremde Leben, was kümmert es mich, wenn ich das eine, das mir gehört, das mein alles iſt, dafür preisgeben ſoll? Es iſt die Brutalität des Egoismus, die rückſichtslos auch über Leichen geht, und die gibt ihm den finſteren Entſchluß: Ich gehe nicht; meines Kindes Leben zu erhalten iſt meine höchſte Pflicht, ſelbſt um den Preis des Lebens all jener anderen, von denen ich nichts weiß, deren Zahl ich nicht einmal nennen kann — ſte gehen micht nichts an. Ihm brauſt es im Kopfe und verwirrt ſein Denken, ihm klingt's wie Dröhnen und Hämmern durch die weſenloſe Stille von der Anſtrengung des Lauſchens. Keine Frauengeſtalt tritt über die Schwelle, auf den Wangen des Kindes brennt das Fieber; haſtige, unverſtändliche Worte flüſtern die ſchmalen Lippen, und unruhig wendet ſich der Kopf hin und her; das ſind die ſicheren Vorboten, daß in kurzer Zeit wieder eine jener furchtbaren Viertelſtunden kommen wird, in der das ſchwache Leben, vom Krampf geſchüttelt, mit dem Tode ringt. Heinrich öffnet die Tür— noch immer nicht— und er muß doch fort, er muß! Die Gewohnheit der Pflicht, das Schaudern vor der Größe der Verantwortung hat ihn plötzlich ergriffen. Mit beiden Händen faßt er nach den hämmernden Schläfen— und wenn er nun doch bleibt!—— Wie ſelten wird der Waldweg benutzt, zumal jetzt im Dunkel, und im Nebel fährt wohl niemand mehr, es wird ja kein Unglück geſchehen, wenn er dies eine Mal den Schlagbaum nicht niederlegt, es müßte ja ein unerhörter Zufall ſein, wenn gerade heut' an dem einſamen Tage etwa. paſſieren ſollte. Wie viele hundertmal hat er dort ſchon geſtanden, bis der Zug vorüber war, und nie iſt ein Menſch gerade dann gekommen— und heute ſollte eine Gefahr ſein?— Nein, nein, Unſinn, er braucht nichts zu fürchten, ſo tröſtet er ſich wieder, um einer Möglichkeit willen, die nicht einmal wahrſcheinlich iſt, braucht er das Kind in ſeiner Not nicht ſich ſelbſt überlaſſen. Wie erleichter atmet er auf, nein, er geht nicht, er kann ja doch nicht gehen; er hat eine Viertelſtunde zu laufen bis zu dem Waldweg, und ebenſo lange zurück, und inzwiſchen liegt hier ſein Kind hilflos und ver⸗ laſſen, es ſtirbt— und er, ſein Vater, iſt nicht da, um es zu retten und zu ſchützen. Aber die Weiche! Die mußt geſtellt werden. Wenn das brauſende Ungeheuer auf ein falſches Geleiſe gerät und dann darauf hinraſt hinaus in die Nacht und den Nebel— was dann? — Ihm iſt's als ſtünde da am Fenſter ein Weſen, das mit blaſſem, ſteinernem Geſicht zu ihm hinüberſtarrt; die Augen in dem regloſen Antlitz ſind lodernde Flammen, und die freſſen ſich ein in ſeine Bruſt und verbrennen ſein Herz, und alles, was ſich darin auflehnt an Widerſtand und Groll und Liebe, alles verbrennt in dieſen Flammen, die aus den Augen der Pflicht ihm entgegenſprühn, und ſein kleines, ohnmächtiges — nein, ich kann nicht! es verhallt in dem einen drohenden „Du mußt“, das ihn fortzwingen will vom Lager ſeines Kindes hinaus in die Nacht. Und der Anfall kommt, ſchlimmer als je ſchüttelt er den zarten Körper des Knaben, den der Vater ſtützt; wenn er ihm nur die Tropen einflößen kann, die Hilfe bringen! Einen Teil vom Inhalt des Fläſchchens haben ſeine zitternden Hände ſchon verſchüttet, aber endlich iſt's ihm doch gelungen, ſo feſt guch die Zähne des Kranten im Krampf zuſammengebiſſen ſind. Langſam weicht der fürchterliche Zuſtand, matter werden die Glieder, die Spannung der Muskeln löſt ſich und ſchwer ſinkt der Kopf mit den geſchloſſenen Augen in die Kiſſen zurück, Eine Ewigkeit iſt für die einſamen Mann dieſe bange Vier⸗ telſtunde geweſen; ihm iſt's, als haben die Schwingen der Zeit mit rauſchenden Flügelſchlägen ihn umbrauſt, und in der gewaltigen Melodie ſind all die Stimmen untergegangen, die vorher zu ihm geſprochen haben. Mechaniſch nur hat er alles getan, was dem Knaben über den Anfall hinweggeholfen hat, er hat nichts gedacht und gefühlt dabei, er hat nur empfunden, daß er ſo tun mußte. Als er jetzt den Körper des Kindes aus ſeinem ſtützenden Arm auf ſein Lager zurücklegt und ſorgſam die Decke über ihn zieht, da erhebt der Vogel in der Uhr wieder die helle Stimme; ſein kleiner Körper mit der roten Bruſt neigt ſich auf und ab, als mache er ſpöttiſche Verbeugungen vor dem Mann, der zu ihm hinaufftarrt, und ſechsmal ruft der gelb⸗ gemalte Schnabel ihm ſein luſtiges„Kuckuck“ zu. Als der Vogel zurückgeglitten iſt in ſein Haus, und das Türchen mit leiſem Knacken hinter ihm zuklappt, da ſpringt der Bahnwärter auf von ſeinem Platz, er greift nach der Mütze an der Wand, nach der Laterne, die bereit ſteht, und ohne noch einmal umzuſchaun nach dem ächzenden Knaben, ſtürzt er davon, hinaus in die Dunkelheit. Es iſt die höchſte Zeit geweſen; in ſinnloſer Haſt hat er die Weiche noch geſtellt, da brauſt auch der Zug ſchon heran, die Lichter der Lokomotive glühn durch den Nebel, trübe und dunſtig in blutrotem Schein. Der Bahnwärter ſteht da hochaufgerichtet in ſtrammer Haltung und läßt die lange Reihe hell erleuchteter Wagen an ſich vorüberrollen. Wie viele Menſchen ſitzen da hinter den hellen Scheiben, die alle in des einzelnen Mannes Hand gegeben ſind; teils unterhalten ſie ſich, teils leſen ſie oder träumen vor ſich hin, alle in vollkommener Ruhe und denken garnicht daran, daß ihr Lebew und ihre Geſundheit in wenig Minuten hätte zu Grunde gehen können, wenn der einzelne Menſch ein einzigesmal die eherne Stimme der Pflicht hätte übertönen laſſen von der Stimme, die für ihn ſelbſt ſeine Rechte als Menſch und als Vater verlangte. Ein wilder, ingrimmiger Zorn auf alle die Menſchen, die ihm ahnungslos ein ſo ſchweres Opfer haben auf:⸗ erlegen wollen, ergreift den einſamen Mann, und drohend ſchüttelt er die Fauſt dem Zuge nach, der wie ein Höllenſpuk im Dunkel wieder verſchwindet, nur ſeine roten Schlußlichter ſchei⸗ nen noch herüber wie ein paar funkelnde Augen, dann blitzt bei der Kurve noch einmal die feurige Schlange der erleuchteten Wagen auf, dann iſt alles wieder eingehüllt in Nebel und Nacht. Das Rollen und Stampfen iſt verhallt, da fällt den Bahn⸗ wärter der Gedanke an: Du haſt ja das Opfer für die Pflicht garnicht gebracht, nur halb haſt Du ſie erfüllt— der Schlag⸗ baum am Waldweg— den haſt Du nicht niedergelegt. Ein Grauen ſchüttelt ihn, ein Schuldgedanke wühlt ſich ein in ſeine Seele; er ſteht und lauſcht, atemlos— jetzt muß der Zug am Schlagbaum ſein, das dumpfe Geräuſch der Räder iſt wieder deutlicher hörbar über die Lichtung her— klingt's nicht wie ein Schrei— halbverweht und gedämpft durch den Nebel? Er lauſcht mit vorgebeugtem Leib und ſtockendem Herzſchlag, das Entſetzen lähmt ihn, und ſeine Augen bohren ſich ſtarrend ein in das Dunkel, als könnten ſie es lichten über irgend einem fürchterlichen Bild. Aber nein, er hat ſich wohl getäuſcht, alles bleibt ſtill ringsumher, nur die ſchweigende Nacht liegt über dem ſtummen Wald. Noch ein langgezogenes, heiſeres Pfeifen durchſchneidet grell die Luft, dann iſt nichts mehr vernehmbar bon dem Zug, der wohlbehalten nun ſchon weit über die Wald⸗ lichtung hinausgeeilt iſt und in raſender Geſchwindigkeit ſeinem Ziele zuſtrebt. Langſam, mit ſchweren Schritten geht der Bahnwärter ſeinem Häuschen wieder zu; noch immer findet ſein ſuchender Blick Elsbeth nicht, als er das niedere Stübchen wieder betritt. Ach, daß ſie nicht gekommen iſt! Er rechnet nicht mit dem Nebel, der ihr das Gehen erſchwert, er bedenkt nicht, daß im Vorzimmer des geſuchten Arztes viele Menſchen warten, die Rat und Hilfe von ihm haben willen, daß auch Elsbeth da warten muß, daß ihre Unruhe und Sorge kein Grund ſein kann, die anderen zurückzudrängen, bei denen es ſich vielleicht ebenſo um die Minuten handelt, wie bei ihr— er denkt nur daran: wäre ſie gekommen, die entſcheidende, ſchickſalsſchwere Viertelſtunde hätte ihn nicht gezwungen, ſeine Pflicht nur halb zu erfüllen. Wenn auch nichts geſchehen iſt an dem Schlagbaum im Walde, er weiß doch, daß es hätte ſein können durch ſeine Schuld. Der Gedanke bohrt ſich ein in ſeine Seele, und wie hilfeſuchend umfängt ſein Blick ſeinen Knaben, ſein geliebtes Kind, deſſen Leben er ſich erkauft hat mit dem Vorwurf, der ihn belaſtet, und den er nicht wieder los werden wird ſein Leben lang. So ſitzt er am Lager des ſchlummernden Kindes; langſam gehen die Stunden über ihn hin, er merkt es kaum, er grübelt vor ſich hin und lauſcht auf die tiefen, ruhigen Atemzüge des Kleinen Und wartet auf ſein Weib. Das aber liegt draußen am Waldweg am Schienenſtrang; ihre offenen Augen, in denen des Lebens Flamme erloſchen iſt, ſtarren hinaus in dem dunkelgrünen Tannengang dem Zuge nach, der ſie getötet hat. Und neben ihr ragt der Schlagbaum, hoch aufgerichtet, in das Dunkel auf wie ein gewaltiger Arm, der drohend und anklagend hinüberdeutet nach dem Bahnwärter⸗ häuschen, das hinter dem Walde ſteht in ſchweigender Einſamkeit und mit ſeinen kleinen, matt erleuchteten Fenſtern wie mit müden, bartenden Augen hinausblickt in die Nacht.

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