T ne 22* Nr. 132(2. Blatt). v Bote Dienstag, 9. Juni 1936 Bekenntnis zur Selbſwerwaltung Der 6. Inkernakionale Gemeindekongreß in Berlin.—„Ein Kongreß der Verſtändigung.“ . Berlin, 8. Juni. In der feſtlich geſchmückten Krolloper wurde am Mon⸗ tag durch den Vorſitzenden des Kongreß⸗Ehrenausſchuſſes den Reichs⸗ und preußiſchen Miniſter des Innern Dr. Frick, und den Präſidenten des Internationalen Ge⸗ meindeverbandes, G. Montagu Harris(Großbritan⸗ nien), der 6. Internationale Gemeindekongreß feierlich er⸗ öffnet. 5. a Präſident Harris begrüßte die Deleg:erten der 36 am Kongreß teilnehmenden Staaten. Er bekonte, daß ſich der Gemeindeverband ſehr wohl der Tatſache bewußt ſei, daß die Idee der Selbſtverwaltung in den verſchiedenen Län⸗ dern einen verſchiedenen Sinn habe. Es lei nicht Aufgabe e Na A5 S:* 8 2 8 des Verbandes, Kritik zu üben an dieſer ader jener einzel⸗ nen Einrichtung, ſondern es ſei ſeine Pflicht, als eine auf wiſſenſchaftliche Unterſuchung gerichtete NRörperſchaft ſein Beſtes zu tun, die tatſächlichen geſetzlichen Einrichtungen und deren praktiſches Funktiontiecen in den verſchiedenen Ländern feſtzuſtellen und die Ergebniſſe zu vergleichen. Anſprache Dr. Fricks Nach der mit herzlichem Beifall aufgenommenen Rede des Präſidenten ergriff Reichsinnenminiſter Dr. Frick das Wort zur Eröffnungsanſprache. Er ſuhrte u. a. aus: Wenn in einem ſolchen Augenblick führende Männer aller Völker zu Internationalen Kongreſſen zuſammentre⸗ ten, dann glaube ich daß gerade hierin ein hervorragendes Mittel zur Schaffung der Atmoſphäre liegt die für eine end⸗ gültige Befriedung der Welt erforderlich iſt. ie Fahrt durch deutſche Lande, die Anweſenheit in unſeren Städten und Gemeinden möge Ihnen auf Grund perſön⸗ lichen Eindruckes und unmittelbarer Erfahrungen die Ge⸗ wißheit vermitteln, 5 daß die 25 ehen des Dritten Reiches doch weſenk⸗ lich anders ausſehen, als ſie im Ausland auch jetzt noch hier und da dargeſtellt werden. Sie ſehen ein Volk, das nach ſchwerſtem Zuſammenbruch voller Hoffnung und Vertrauen in ſeine Zukunft blickt; Sie ſehen ein Volk, das nur den einen Wunſch hat, in Frieden mit aller Welt ſeiner Aufbauarbeit nachzugehen. Zur Deutſchen Gemeindeordnung Wir haben unſeren Gemeinden in der Deutſchen Ge⸗ meindeordnung vom 30. Januar 1935 ein neues Grundge⸗ ſetz gegeben. Man hat im Ausland namentlich an dieſes Geſetz hier und da die Behauptung geknüpft, wir hätten durch die Deutſche Gemeindeordnung die Selbſtver⸗ waltung der deutſchen Gemeinden beſeitigt. Es iſt mir ein beſonderes Bedürfnis, hier vor Ihnen dieſen Behauptungen enkgegenzutreten und mich mit inne⸗ rer Ueberzeugung zu der deutſchen gemeindlichen Selbſtver⸗ waltung zu bekennen. Wir haben die Gewißheit, daß wir an die echten Weſensmerkmale der Selbſtverwaltung nicht gerührt haben. Wir haben den deutſchen Gemeinden nicht nur die Allzuſtändigkeit ihres Wirkungsbereiches gelaſſen; wir haben darüber hinaus die denkbar wirkſamſten Siche⸗ rungen zum Schutze dieſer Allzuſtändigkeit getroffen. Wir haben nicht nur die Eigen verantwortlichkeit der deutſchen Gemeinden in weiteſtem Umfange anerkannt, ſondern dieſe Eigenverantwortlichkeit zugleich eingepaßt in ein Gefüge echter, nämlich perſönlicher Eigen verantwortung. Wir haben der Bürgerſchaft zahlreiche Wirkungsmöglich⸗ keiten in der Gemeindeverwaltung eröffnet und die Bedeu⸗ tung ehrenamtlicher Mitwirkung in ganz beſon⸗ derer Weiſe betont. Wir haben nicht ekwa zu einem Präfekturſyſtem gegriffen, ſondern ein Ausleſe verfahren für die wurden mit großem rholte, als Vizepräſi⸗ an den Die Ausführungen Beifall aufgenommen ich wiede dent Dr. Jeſerich folgendes Telegramm Führer und Reichskanzler verlas: 5. Gemeindekongreß, zu dem Vertreter von 35 Nationen nach Berlin und München zu⸗ lammengekommen ſind, entbietet dem Staatsoberhaupt des Deutſchen Reiches ehrerbietige Grüße.“ Der Vorſitzende des Deutſchen Gemeindetages Oberbürgermeiſter der Hauptſtadt der Bewegung, Reichsleiter Fiehler, entbot dem Kongreß im Namen der mehr als 50 000 Ge⸗ meinden den Gruß der geſamten deutſchen Selbſtverwal⸗ tung. Seit dem letzten Internationalen Gemeindekongreß in London ſeien vier Jahre voll großer Veränderungen und zrundlegender Wandlungen in der Welt verſtrichen; und es gabe zuweilen den Anſchein gehabt, als ſei es ausſichtslos, Vertreter verſchiedener Nationen zu ſachlicher Arbeit zu bereinen. Jedoch beginne die Vernunft ſich durchzu- ſetzen. Der große Friedenswettkampf der Nationen Olympia werde Deutſchland in dieſem Jahre Kampfplatz gerüſtet finden. Nehmen Sie das als ein Zeichen, erklärte Reichs⸗ leiter Fiehler unter ſtürmiſchem Beifall, 5 daß Deutſchland für immer entſchloſſen iſt, ein fried. licher Kampfplatz der Nakionen zu ſein. Der Vorſitzende des Deutſchen Gemeindetages wandte ſich dann den beiden Themen zu, die den 6. Internationalen Kongreß beſchäftigen. Die freundſchaftliche Fühlungnahme mit den Kongreßteilnehmern ſolle ſich jedoch nicht nur auf die behandelten Arbeitsgebiete beſchränken; es ſei vielmehr der Wunſch des Deutſchen Gemeindetages, daß die Teilneh⸗ mer nach Möglichkeit die geſamte deutſche Selb ſt⸗ verwaltung in ihrer neuartigen Form kennenlernen und verſtehen möchten. Das Verkrauen und die Treue, die das deutſche Volk mil ſeinem erwählten Führer verbindet, wirke bis in die kleinſte deulſche Gemeindeverwalkung. Von einer Diktakur ſei daher bei uns nichts zu finden. Vor allem ſei der Führer der Gemeinde, wie ihn die neue deutſche Gemeindeordnung eingeſetzt habe, kein diktator, vielmehr verkrauens⸗ voll mit ſeinen Bürgern verbunden. Auch der 6. Internationale Gemeindekongreß ſei durch die gemeinſame Liebe zur Arbeit in der Selbſtverwaltung und damit für das gemeinſame Wohl zuſammengeführt wor⸗ den. Die Liebe zu dieſer Arbeit werde alle Beratungen und Ausſprachen erfüllen und damit werde dieſer Kongreß in beſonderem Maße das ſein, was die Nationen von ihm er⸗ warten: Ein Kongreß der Verſtändigung! „Der 6. Internationale und Kinderzahl und Begabung 1 NS. Die großen Menſchen unſerer Geſchichte, die Bahnbrecher und Führer auf den allerverſchiedenſten Gebie⸗ ten, ſtammten faſt alle aus kinderreichen Familien und wuch⸗ ſen dort nicht als die erſten oder zweiten Kinder heran, ſon⸗ dern erſt als ſpätere Kinder langer Geſchwiſter⸗Reihen. Z. B. war Friedrich der Große das vierte, Bismarck ebenfalls, der Freiherr vom Stein das fünfte, Blücher das ſechſte, Richard Wagner gar das neunte, Johann Sebaſtian Bach das achte, ebenſo Heinrich S te⸗ phan und von unſeren Helden wuchs Kar! Peters als achtes, Otto Weddigen als achtes, Boelke als viertes, Le 0 S chlageter als ſechſtes von ſieben Geſchwiſtern auf. Ja— wo wäre eigentlich die deutſche Geſchichte hinge⸗ kommen, wenn früher die Kleinfamilie die Norm geweſen wäre? So kann man wohl fragen. Dann wären nämlich alle die Männer, die als Politiker und Heerführer, als Gelehrte und Künſtler, als Pioniere und Draufgänger an der Spitze ſtanden— nicht geboren worden! Und glauben wir daß wir in der Zukunft ausreichend viele ſolche Männer haben werden, wenn wir den Kindern, die nach dem zweiten kommen würden, den Eintritt ins wor, lo denkt, der hängt noch der überholten liberaliſtiſchen Meinung an, daß die Lebensbedingung einem aus der Amwelt anfliege und nicht angeboren ſei. Nur allzu viele glauben heute noch daran, das Einzelkind oder das Pärchen“ könne man ſorgfältiger erziehen, ihm beſſere„Manieren“ an⸗ gewöhnen, man könne es beſſer ernähren, in mehr Schulen ſchicken, ihm mehr„Berechtigungsſcheine“ und mehr Geld mitgeben— alſo müſſe es im Leben weiter kommen. Da iſt leider manches daran, vor allem was Geld und Berech⸗ tigungsſcheine anbetrifft. Aber das iſt eben liberaliſtiſch dom einzelnen Elternpaar und deſſen Wünſchen aus geſehen. Der Volksgemeinſchaft iſt damit nicht geholfen, denn wenn ſchon einmal die führenden Menſchen nach der geſchicht⸗ de de mee cen in den großen Geſchwiſterreihen 3 iden ir ie au ünfti 16 e dann wird man ſie auch künftig dort zu Nun werden aber leider neuerdings eben dieſer geſchicht⸗ lichen Erfahrung ſtatiſtiſche Feſtſtellungen entgegengehalten die nicht unwiderſprochen bleiben dürfen, nicht weil man mit Ziffern rechnen möchte, ſondern einfach deshalb, weil dieſe Schulſtatiſtiken falſch ſind. 5 a In dieſen Statiſtiken ſind nämlich zwei ganz ver⸗ ſchiedene Arten von kinderreichen Familien in eine Kategorie zuſammengezogen: Die geſunden und die kranken die erhtüchff f 5 stete. ſozi 5 die erbtüchtigen und die erbbelaſteten, aſozialen oder Trin⸗ lerfamilien. Wenn beiſpielsweiſe in einer Schulklaſſe von 50 Kindern 10 Kinder aus erbtüchtigen Vollfamilien ſind, die Durchſchnittsnolen von 1,6 haben und außerdem 10 Kinder aus Trinkerfamilien, deren Durchſchnittsleiſtungen mit 44 bewertet ind, ſo errechnet man daraus, daß„die Kinder aus kinderreichen Familien“ im Durchſchnitt mit 3,0 benotet ſeien. And damit wird dann„ſtatiſtiſch bewieſen“, daß die Kinder aus„kinderreichen Familien“ recht mittel⸗ mäßige Schulleiſtungen aufweiſen. Man geht noch weiter indem man feſtſtellt, in den Hilfsſchulen ſeien un gew öhn⸗ lich viele Kinder„aus kinderreſchen Familien“(natürlich aus erbbelaſteten!, aber das wird in Bauſch und Bogen auf Konto„Kinderreiche“ geſchrieben). Dagegen ſeien in den höheren Schulen ungewöhnlich wenige„Kinder aus kinderreichen Familien“. Der Grund hierfür liegt nahe— weil nämlich die kinderreichen Familien, auch die Vollwer⸗ tigen und Begabten, das Geld nicht haben, um ihre Kinder ſo in Maſſen auf die höhere Schule zu ſchicken, wie die Ein⸗ kindfamilien. And aus all dieſen unhaltbaren Berechnungen wird dann gefolgert, daß eben jene„Kinder der Kinderreichen“ weniger begabt ſeien. Es iſt an der Zeit, dieſe irrigen Rech⸗ nungen zu berichtigen und die bedenklichen Vorurteile, die damit gegen die Vollfamilie entſtanden ſind, endlich nieder⸗ zuſchlagen. 5 Die Erbgeſetze ſagen Ans, daß begabte Eltern auch be⸗ gabte Kinder haben, die Geſchichte ſagt uns, daß überragende Begabungen unter den ſpäteren Geſchwiſtern häufiger zu fin⸗ den ſind und die tägliche Erfahrung ſagt uns, daß die Geſchwiſter⸗Erziehung, die es nur in der kinderreichen Familie gibt, die eigentliche natürliche Erziehung zur Gemeinſchaft iſt, die durch nichts anderes erſetzt werden kann, denn ſie lee aufrechte, anſpruchsloſe und charakterlich tüchtige Men⸗ hen. 1 5 — Marktberichte (Ohne Gewähr.) Mannheimer Großviehmarkt vom 8. Juni. Dem Mann⸗ heimer Großviehmarkt waren 37 Bullen, 46 Ochſen, 79 Rin⸗ der 188 Kühe, insgeſamt 295 Stück Großvieh, zugeführt. Der unzureichende Auftrieb war der Kommiſſion Anlaß, die Zuteilung an die Metzger entſprechend ihrem Kontingent an⸗ teilig vorzunehmen. Höchſtnotiz für Bullen 43, Ochſen 45, Rinder 44, Kühe 43 Pfg. Der Kälbermarkt war mit 515 Tieren und genügend befahren. Das Geſchäft verlief lebhaft, wobei ein Höchſtpreis von 76 Pfg. zuſtande kam, was einem Aufſchlag von 3 Pfg. gegenüber der Vorwoche entſpricht. Am Schweinemarkt betrug das Angebot 2236 Tiere; auch Bürgermeiſter und Beigeordneten unſerer Gemeinden ge⸗ funden, in dem die örtlichen Kräfte(Partei und Staat) in ſinnvoller Weiſe zuſammenwirken. Das ſind nach unſerer Auffaſſung die echten Elemente, die zum Weſen der Selbſt⸗ verwaltung gehören. 3. Eine Feriengeſchichte aus der Kinderlandverſchickung der NS V. den Grothenhof, einen ſchönen, ſtattlichen Erbhof, nicht etwa ſeiner Größe wegen ſo benannt, ſondern Steppke kommt auf weil der Beſitzer Grothe heißt.„Johann Chriſtian Grothe“ ſteht über dem rund⸗ bogigen Hoſftor dieſes alten Erbhofes. Es ſind nette, freundliche Bauersleute. Die noch junge Erbhofbäuerin iſt eine grund⸗ gütige Frau mit einem gutmütigen, runden Geſicht und warmen, freundlichen Augen, zu der Steppke auf den erſten Blick gleich ein ungeheures Vertrauen faßt.„Herzlich willkommen, mein Junge!“ ſagt ſie freund⸗ lich und führt ihn in eine ſchöne, behagliche Wohnſtube. Da ſteht ſchon ein Kaffeetiſch für den kleinen Gaſt gedeckt. Die Kaffee⸗ kanne ſteckt unter einer bunten Wollhaube und ein rieſiger Napfkuchen, ſo einer, wie ihn Steppke in der Stadt zuweilen hinter den hellen Scheiben der Bäckerläden be⸗ wundert hatte, prangt mitten auf dem Tiſche. Die junge Bäuerin ſchenkt ihm affee ein und ſäbelt, unaufhörlich zum Zulangen auffordernd, große Stücke von dieſem roſinengeſpickten Napfkuchen herunter, O, wie gut gefällt es ihm hier! Nach⸗ dem er ſich ausgiebig geſtärkt und auch das Bere Giebelzimmerchen beſichtigt hat, in em er nun ſchlafen wird, geht die Erbhof⸗ bäuexin mit Steppke in den Garten, der breitet, daß mit der Lebenstüchtigkeit abnehmen. man die harten Tatſachen der Ken diner der Harfe nest Pr in e großer, ſchöner Garten mit vielen ſchattigen alten Obſtbäumen, durch einen grün⸗ geſtrichenen Lattenzaun von der Straße getrennt. Seitlich liegen ſorgſam gepflegte Gemüſerabatten und buchsbaumgeſäumte Blumenbeete ſowie eine kleine, luftige, grünberankte Sommerlaube mit einem Rundbeet hochſtengliger Roſen davor. 2 4 ni Ein kleiner, pausbäckiger Bub läßt mit lautem Hott⸗Hott ſeine hölzernen Schimmel⸗ chen über den Gartenweg traben. Aber als er die Mutter kommen ſieht, läßt er die Schimmelchen im Stich und kommt mit ſeinen kurzen, ſtrammen Beinchen, was haſte, was kannſte, und unter einem fröh⸗ lichen Gekreiſch angetrudelt. Auf der kleinen Bank, im Schatten der grünbewachſenen Laube, ſitzt ein altes verwittertes Mütterchen mit einem Strick, ſtrumpf in den fleißigen Händen. Schloh⸗ weiß iſt das Haar über dem verknitterter und verwitterten Altfrauengeſichtchen. Wit ein Rillenſieb hat ſich die Stirn gefaltet aber die Augen, die Steppke hinter blanker Brillengläſern freundlich zunicken, haber noch die klare, helle Bläue der Jugend, Gewiß glauben dies viele, Zahl der Kinder deren Begabung und Mit ſolcher Irrmeinung ſtellt Geſchichte auf den Kopf. Und Leben verwehren? es iſt ſogar die Meinung ver⸗ * im 9 hier war das Geſchäft lebhaft zum Höchſtpreis von 57 Pfg. Rahmen der Kontingente. Mannheimer Getreidegroßmarkt vom 3. Juni. Notie⸗ rungen unverändert. „Wie alt biſt du denn?“ „Neun Jahre und im Dezember werde werde ich zehn!“ gibt Steppke zur Antwort. „Hm, noch ein bißchen mieſepetrig für dein Alter!“ meinte Oma Grothe.„Heide iſt acht und...“„Ja, wo ſteckt denn das Mädel ſchon wieder!“ unterbricht die junge Bäuerin. „Heide, Heide!“ Von irgendwoher kommt Antwort und dann pendeln aus luftiger Höhe zwei braune Beinchen, die in Sandalen und roten Söckchen ſtecken. Das zu dieſen rot⸗ beſtrumpften Beinchen gehörende Oberteil bleibt einſtweilen noch im grünen Laub⸗ verſteck des tiefherabhängenden Blätter⸗ daches eines alten, krummen Apfelbaumes verborgen. „Aber, Heide, Herrgott, Mädel, mußt du denn immer in den Bäumen herum⸗ turnen!“ tadelt die Mutter. Gleich darauf kommt Heide vollends zum Vorſchein— rund und roſig, ein ſtrammes, pausbäckiges Bauernmädchen mit flachsblonden Hängezöpſchen. „So, nun komm, Heide, und ſag deinem neuen Spielgefährten mal ſchön guten Tag. Und nun vertragt euch gut, Kinder! Heide, und du könnteſt dem kleinen Jungen, Steppke heißt er, mal alles ſo ein bißchen zeigen. Ich habe noch zu tun!“ Das iſt die alte Oma Grothe. Sie hat ſich müde geplagt auf dem großen Erbhofe und jetzt wollen die alten Knochen nicht mehr, aber die zerſchafften alten Hände müſſen ſich noch immer unermüdlich regen. „Heil Hitler!“ grüßt Steppke ſtramm. „Heil Hitler, mein Jung!“ gibt die alte Frau freundlich zurück. „Ja, Oma, nun iſt er da und nun haben wir zu unſeren beiden noch ein drittes Kind, noch eins mehr, was du unter deine großmütterlichen Fittiche nehmen kannſt!“ ſagt die junge Bäuerin und lächelt ein wenig:„Stephan heißt er— aber daheim hat man ihn immer Steppke gerufen!“ Willig kam Heide der Aufforderung nach. Der Bann war ſchnell gebrochen und die erſte Scheu überwunden. „Heißt du eigentlich Steppke?“ forſcht Heide nach einer kleinen Paufe. 1 „Nein, eigentlich Stephan, aber ſie haben mich alle Steppke gerufen!“ „Komiſch, ich heiße Adelheid, und Heide wird zu mir geſagt!“ i „Uebrigens, wenn du Stachelbeeren magſt, du kannſt eſſen, ſo viel du willſt. Die Büſche hängen ſo ſtoppevoll; aber kein Waſſer darauf trinken, ſonſt wirſt du krank und mußt ſterben.“ „Die Birnen ſind auch ſchon reif! Dieſe da,“ Heide zeigt auf einen alten, großen Birnbaum,„die ſind ſehr ſaftig.“ Auch den alten, krummgewachſenen Graven⸗ ſteiner, zwiſchen deſſen dichtem Laubverſteck oben in der Aſtgabelung ein luftiger Sitz gezimmert war, muß Steppke bewundern. „Wenn du mal mit raufkommen willſt, das Brett iſt lang genug, daß auch gut zwei drauf ſitzen können!“ O ja, iſt das fein, da oben in den Zweigen zu ſitzen. Der Baum ſteht dicht am Zaun, unten gehen die Leute vorüber und ſehen Steppke und Heide nicht. Durch Garten und Hof, durch Scheune und Stall führt die kleine Heide den neuen Hausgenoſſen. Das große Viehhaus gleich neben der Scheune ſteht jetzt leer. Die Geſpanne ſind im Heu und die Kühe auf der Weide. Aber Steppke intereſſiert ſich für die Namentafeln, die über den Stall⸗ barren angebracht ſind.„Haben denn Kühe auch Namen“ fragt er verwundert. 1 „Ei freilich!“ erklärt Heide wichtig,„da lies nur, und unſere Guſte, die Magd, die kennt jede einzelne Milchkuh und weiß, wieviel Liter Milch ſie gibt. Lies mal, hier ſteht die Bläß, da die Lieſe, die Lotte und Trine und Regine und Lore und Fix und Mohrchen und Schecke.“ „Iſt keine Heide dabei?“ erkundigt ſich See e e eee e ) O AAN Arne Borg ſchwimmt Rekord. (2. Fortſetzung.) Arne Borg, das ſchwediſche Schwimmwunder, größte Schwimmer aller Zeiten! Arne Borg gewinnt, wie er will! Arne Borg ſchlägt jeden Rekord! Noch nicht allzulange iſt es her, als man dieſe und ähn⸗ liche Schlagzeilen in den Zeitungen leſen konnte... in Zeitungen, die aus dem Sportsmann einen Star machten für die der Rekord nichts, die Perſon alles war! Kein Wunde, wenn ſolche Sportſtars gefeiert wurden wie Filmdiven und größenwahnſinnig würden, wie es eigentlich nur Hohlköpfe werden können. Arne Borg war wirklich ein großer Schwimmer Der Rummel, der um ſeine Perſon inſze⸗ niert wurde, intereſſiert uns nicht... uns 7 der U Mit oſſenheit griffen ſeine Arme aus, A ſtießen 1 J Weicht mir aus, iſt feige einen neuen Weltrekord auf, nur ), das kann ich i und geh um mir zi aber 1 ich will hatte vor kurzem von Charlton gef Die erſten hu intereſſieren nur ſeine ſportlichen Leiſtungen. 5. 24 2 Boy Charlton will nicht Im Januar des Jahres 1924 kam Arne Borg wieder einmal nach Auſtralien, nach Sydney. Er kam, um ſich an der Meiſterſchaft von Neu⸗Südwales zu beteiligen. Nicht, weil ihn der Titel eines Meiſters von Neu⸗Südwales reizte.. Revanche wollte er nehmen an Boy Charlton, dem auſtraliſchen Meiſter, der ihn in drei Wettkämpfen einwandfrei be⸗ ſiegte. Arne Borgs Schlappe nicht. Zehntauſend Menſchen umſäumten das Schwimmbaſſin, das vom Meer durch ein rieſiges engmaſchiges Drahtnetz abgeteilt war, das den etwa herankommenden Halifiſchen den Zutritt verwehren ſollte. Arne Vorg brannte darauf, die Scharten, die er gegen Boy Charlton erlitt, auswetzen zu können. Da teilte man ihm mit, daß Charlton ſeinen Titel freiwillig abgetreten habe und ſich nicht an dem Rennen beteiligen werde! Arne Borg wurde bleich vor Zorn. Charlton kniff! Charlton hatte Angſt! Er wollte weiter als dreifacher Sieger über einen Arne Borg herumlaufen, wollte weiter glänzen können im Triumph ſeiner Ueberlegenheit! Es ließ ſich nichts daran ändern. Charlton ſchwamm nicht.. man mußte ſich damit abfinden. Aber während Arne Borg noch unter den Hän⸗ den ſeines Maſſeurs lag, kam plötzlich ein Mann in die Kabine, grüßte und ſagte, anſcheinend ſo ganz nebenbei: „Charlton ſteht auf dem Sprung.. er ſtartet! Er will einen neuen Weltrekord aufſtellen!“ Arne Borg fuhr hoch. Starrte den Sprecher an. Wollte nicht glauben, was der da ſagte. „Wie war das?“ fragte er. „Hnen neuen Weltrekord über 500 Meter will er auf⸗ ſtellen!“ Im Nu ſtand Arne Borg auf beiden Beinen. „Aha! Ich verſtehe! Gegen mich tritt er nicht an aber das Theater mit dem Weltrekord inſzeniert er!“ Der Maſſeur packte Arne Borg und legte ihn wieder auf die Bank, bearbeitete ihn mit ſo feſten Griffen, daß der Meiſterſchwimmer ſtöhnte. Von draußen hörte man das Lärmen der ehntau⸗ ſend. Alles ſchrie durcheinander, nichts war zu verſtehen. Der Mann, der die Nachricht von Charltons Start brachte und dann hinausgegangen war, kam wieder zurück. „Charlton hat einen neuen Weltrekord aufgeſtellt zwei Sekunden beſſer als die alte Zeit!“ Arne Borg erhob ſich. 5 Ganz ruhig war er. Maß den Ueberbringer der Nach⸗ richt mit einem faſt geringſchätzigen Blick und ſagte: „Zwei Sekunden? Ganze zwei Sekunden?“ „Genügt das nicht?“ „Nein, das genügt nicht!“ ſchrie Borg jäh.„Ich werde euch zeigen, wie man einen Weltrekord aufſtellt!“ Er ging hinaus. Draußen wurden die Vorbereitungen zu dem Kampf um die Meiſterſchaft über die engliſche Meile getroffen. Die Teilnehmer an dem Rennen ſtanden ſchon ſtartbereit da. Nur Arne Borg fehlte noch. Er warf einen Blick zur Startbrücke hinüber. Boy Charlton ſtand nicht dabei. Der Leiter des Rennens näherte ſich Arne Borg. „Miſter Borg.“ Arne unterbrach ihn: „Sorgen Sie für Zeitnehmer! Drei für fünfhundert Meter, drei für tauſend, drei für die Meile!“ Der Leiter ſtarrte den Schweden an. „Eben hat Charlton 8 „Was Charlton hat, intereſſiert mich gar nicht..ich ſchwimme heute Weltrekord!“ Ich ſchwimme heute Weltrekord Und ruhig ging er zum Startplatz. Das Rennen begann. Fünf ſchlanke Körper flogen gleichzeitig ins Waſſer, tauchten auf und ſchoſſen davon. Arne Borg übernahm ſofort die Führung. Ehrgeiz verwand die N Arne Borg ſchwmm Ihn kümmert das Lärmen nicht in dieſen Minuten. Er hatte nur einen Ehrgeiz, hatte nur einen Willen: Welt⸗ rekord... immer wieder Weltrekord! Es war ihm gleichgültig, was die Menſchen taten ihn kalt, daß ſie mit fieberhafter Eile Wetten ab⸗ ſchloſſen auf ihn, daß die einen behaupteten:„Er ſchlägt alle Rekorde!“— und die andern:„Lange macht er das nicht mehr! Noch ein paar hundert Yards.. und er iſt ſchlapp!“ Arne Borg ſchwamm 800 Meter: 11 Minuten und 16 Sekunden! 900 Meter: 12 Minuten und 40,8 Sekunden! 1000 Meter: 14 Minuten und 7 Sekunden! Der Lärm war etwas abgeebbt. Es war, als hätten ſich die Menſchen müde geſchrien. Als aber die Zeit über einen Kilometer bekanntgegeben wurde, ſchwoll das Bei⸗ fallsraſen an zu nie gehörter Stärke. Das waren keine Menſchen mehr, die da brüllten das ſchienen Wahnſinnige zu ſein, irgend⸗ einem Irrenhaus entſprungen! Von ihren Sitzen ſprangen ſie auf, ſtürmten vor, dräng⸗ ten ſich an den Rand des Baſſins.. ſchrien dem Mann, der da unten unentwegt, unbeirrt einen Rekord nach dem andern purzeln ließ, ihre Bewunderung, ihre Begeiſterung über die unerhörte Leiſtung zu Arne Borg hatte alles andere, was ihn ſonſt bewegte, vergeſſen. Vergeſſen war Boy Charlton, der Konkurrent.. vergeſſen war, was er jemals erlebte Er ſchwamm! Er wußte von nichts ſonſt etwas er wußte nur, daß er in der Form ſeines Le⸗ bens war, daß es in dieſer Minute auf d ganzen Welt keinen Schwimmer gab. de ihn hätte ſchlagen können. 1100 Meter in 15 Minuten und 31,4 Se⸗ kunden! 1200 Meter in 16 Minuten und 57 Se⸗ kunden! Die Menge hörte nicht mehr. Die Stimme des Anſagers vermochte trotz des Rieſen⸗ megaphons, das er benutzte, den Lärm nicht mehr zu übertönen. Die Menge brüllte, raſte Daran, daß da irgendwo, um Runden zu⸗ rück, noch vier andere Teilnehmer ſchwimmen, dachte niemand. Wo waren die vier andern? 1300 Meter in 18 Minuten und 23 Se⸗ Aufnahme: Schirner— M. Arne Borg(rechts) am Start. 1 Minute und 12 Sekunden ſtoppten die Zeitnehmer. Arne Borg hatte ſchon kehrt gemacht und jagte in mör⸗ deriſchem Tempo zurück. 200 Meter: 2 Minuten und 34,6 Sekunden! Das war ein bißchen unwahrſcheinlich. Die Zeitnehmer ſtarrten auf die Stoppuhren, ſahen ſich an, zuckten die Schultern. nichts zu machen es ſtimmte Arne Borg ſchwamm Zähe und verbiſſen ſchoß er dahin. In ihm wühlte Charlton weicht mir aus! Dir werde ich zeigen, mein Junge zeigen So. wieder zurück 300 Meter in genau 4 Minuten! 400 Meter in 5 Minuten und 28 Sekunden! 500 Meter in 6 Minuten und 53,5 Sekunden! Arne Borg ſchwamm und ſchwamm Unermüdlich raſte er vorwärts... er kannte keine Schwäche, kein Nachlaſſen des Tempos. Er wollte Welt⸗ rekord ſchwimmen Und während er in wilder Entſchloſſenheit Meter um Meter zurücklegte, bereitete ſich langſam ſchon die Sen⸗ ſation vor: Die Zeitnehmer hatten 500 Meter geſtoppt und wußten nicht, was ſie denken ſollten. Das war doch ganz unmög⸗ lich... 11 Sekunden beſſer als Charlton noch vor knapp einer halben Stunde? Stimmten die Uhren? Sie verglichen, ſteckten die Köpfe zuſammen und muß⸗ ten ſchon wieder ſtoppen: 600 Meter in 8 Minuten und 22,8 Sekunden! Jetzt wurde auf der Zeittafel die Zeit für 500 Meter bekanntgegeben: 500 Meter in 6 Minuten und 33,5 Sekunden! Der kaum eine halbe Stunde alte Weltrekord von Charlton um 11 Sekunden geſchlagen! Da begann es: Ein Schreien, Toben, Brüllen, Heulen, ein wüſtes Durcheinander von zehntauſend Stimmen ein Lärm, gegen den nichts anderes mehr aufkam. „Arne Borg! Arne Borg!“ Hundertmal brüllten die Zehntauſend den Namen. Boy Charlton, der vor wenigen Minuten noch Gefeierte, war vergeſſen... Boy Charlton ſtand in der Nähe der Zeitnehmer und ſtarrte auf den Rivalen, der mit immer gleichbleibender Schnelligkeit durchs Waſſer ſchoß, einer Maſchine gleich, die nicht eher ſtillſteht, als bis das Werk vollendet iſt. „Rekord! Rekord!“ Eine Stimme klang durchs Megaphon, gab eine neue Zeit bekannt: 700 Meter in 9 Minuten und 49 Sekunden! Die Menſchen faßte ein Taumel der Begeiſterung. Das Toben der Zehntauſend hörte ſich an wie ein Orkan, der übers Meer dahinbrauſt und alles andere verſchlingt Wut dir werde ich kunden! Das war doch unmöglich! So etwas hatte es noch nie gegeben, daß ein Menſch wie eine Maſchine von der erſten Minute an ein ſo wahnſinniges Tempo ſchwamm und es ohne die geringſte Pauſe durchhielt! 1400 Meter in 19 Minuten und 51 Sekunden! Die letzten Minuten des großen Rennens in Sydney vom 29. Januar des Jahres 1924 kamen. Die Menſchen waren nicht mehr zu halten. Einige beſonders Temperamentvolle waren im Uebereifer des Umherſpringens ins Waſſer gefallen und mußten heraus⸗ gezogen werden. 1500 Meter in 21 Minuten und 15 Sekunden! Und nun begann Arne Borg den Endſpurt! Er ſchoß dahin mit wundervoller, unvergleichlicher Regelmäßigkeit. lang dehnte ſich der prächtige, ſchlanke Körper, zog ſich zuſammen und ſchwang ſich wieder vor⸗ wärts Unaufhaltſam. Die letzten Meter Und nun das Ziel Eine Meile in 22 Minuten und 34 Sekunden! Langſam kletterte Arne Borg aus dem Baſſin. Durch 995 Lärm ſchmetterte die Muſik die ſchwediſche National⸗ ymne Lange, lange nach ihm kam der zweite erſt ans Ziel. Ganze Arbeit gemacht Arne Borg hatte ſämtliche Rekorde von 100 Meter bis zur engliſchen Meile hinweggefegt! Den Weltrekord über die Meile, den ſeit Jahren der Kanadier Hogdſon hielt, hatte er um eine Minute und 0,5 Sekunden unterboten! Die Menſchen ſtürzten auf ihn zu, ſchüttelten ihm die Hände, ſchrien ihm etwas zu, das er nicht verſtand Auf einmal ſtand Boy Charlton vor ihm und ſtreckte ihm die Hand entgegen. Der Auſtralier lächelte. Ganz offen und bewundernd lächelte er.„Du biſt der beſte Schwimmer der Welt, Arne!“ ſagte er. Und es klang ehrlich und neidlos. Arne Borg lachte. Der Zorn war verrauſcht. Das Rennen um den Weltrekord hatte den Zorn auf⸗ gefreſſen. Er drückte die Hand Voy Charltons. „Du ſtehſt auch deinen Mann, Boy, wenn es ſein muß!“ erwiderte er und meinte es auch ſo. Sein Maſſeur kam und 1 55 ihm den Bademantel um die Schultern. Langſam ſchritt Arne Borg ſeiner Kabine zu. Boy Charlton ging neben ihm. Und da legte Arne kameradſchaftlich den Arm um den Auſtralier.. ganz impulſiv. Die Menge hinter ihnen brüllte und tobte und jubelte (Fortſetzung folgt.) Druckarbeiten für Handel, Gewerbe und industrie liefert schnellstens Neckar-Bote- Druckerei