—̃ Nr. 228(2. Blatt). Uechar Bete Dienstag, 29. September 1936 Mit 100 km von Bruchſal nach Frankfurt Zur Eröffnung der neuen Reichsautobahnſtrecke Mannheim — Heidelberg— Bruchſal. Mit kaum faßbarer Geſchwindigkeit ſchieben ſich die Reichsautobahnen in das Herz und in die Grenzmarken des deulſchen Landes vor. In verſchiedenen Gebieten des Reiches fand am Sonntag die Eröffnung und Freigabe von Teil⸗ ſtücken ſtaktt, von denen uns neben der Strecke Mannheim— Heidelberg— Bruchſal, der die vorliegende Schilderung ge⸗ widmet iſt, noch beſonders die Linie Frankfurt a. M.— Bad Nauheim mit ihren 42 km intereſſiert, weil damit ein zuſammenhängendes Stück— Bad Nauheim— Bruchſal — mit einer Geſamtlänge von 160 km ſein vorläufiges Ende erreicht hat. Die neueröffnete Teilſtrecke Mannheim— Heidelberg— Bruchſal hat eine reine Länge von 27,5 km. Zählt man die etwa 5,5 km Zufahrtsſtraßen und Anſchlußſtellen mit, ſo kommt man auf eine Bauleiſtung von 38 km. Eine Fläche von 800 000 qm mußte zunächſt gerodet werden. Die Erd⸗ und Felsbewegungen beliefen ſich auf 2 Millionen cbm, die Menge des benötigten Bauwerkbetons und der Fahrbahndek⸗ ken auf insgeſamt 144000 cbm. Nicht weniger erſtaunlich ſind die Zahlen, die den Bedarf an Kies, Sand und Stei⸗ nen kennzeichnen. 250000 Tonnen dieſer Materialien und dazu noch 40 000 Tonnen Zement hat die Strecke verſchlun⸗ gen, während an Stahl und Eiſen 4500 Tonnen benötigt wurden. Das erfreulichſte Ergebnis iſt aber doch die Tat⸗ ſache, daß 2000 Volksgenoſſen allein beim Bau Arbeit und Brot fanden, während die gleiche Anzahl bei der Lieferungsinduſtrie zuſätzlich beſchäftigt wer⸗ den konnte. Es wird im Deutſchen Reiche wohl nur wenige Strek⸗ ken geben, die in der Verkehrsbedeutung dieſer neuen Teil⸗ ſtrecke gleichkommen. Denn gerade die Verbindungsſtraße zwiſchen Heidelberg und Bruchſal hatte von jeher eine unge⸗ heure Belaſtung auszuhalten, die an Ausflugstagen geradezu zur Gefahr anwuchs. Auch der ſtändige Wechſel zwiſchen Ortſchaft und freier Strecke war nicht dazu angetan, dem Autofahrer eine ungetrübte Freude zu bereiten. Man ſchätzt den Werktagsverkehr auf rund 4000, den Sonn- und Feier⸗ tagsverkehr ſogar auf 10000 Kraftfahrzeuge. Wird nun dieſer Verkehr zum großen Teil auf die Reichsautobahn ver⸗ legt, dann kann man ſich ſelbſt ein Bild davon machen, in welchem Umfange ſich die Entlastung vollzieht. Der Bauer wird faſt ungehindert die alte Straße benützen können, und auch die übrigen Verkehrsteilnehmer werden weitaus gefahrloſer ihr Ziel erreichen. Auf der an⸗ deren Seite hat der Autofahrer völlige Bewegungsfreiheit; in beliebigem Tempo kann er dem weißen Rand der Reichs⸗ autobahn Kilometer um Kilometer entreißen und hat dabei noch Muße, die Schönheiten des Kraichgau und Bruhrain zu genießen. Von ausſchlaggebender Bedeutung aber iſt die Zeiterſpar⸗ lis, die die Reichsautobahn dem Fahrer zu bieten vermag. Rechnen wir für eine Fahrt vom Heidelberger zum Bruchſaler Bahnhof 47 Minuten. In dieſer Zeitſpanne ſind 7, km Ortsdurch⸗ fahrten mit 30 km Geſchwindigkeit und 25,8 km freie Strecke auf der alten Straße mit 50 km Geſchwindigkeit enthalten. Auf der Reichsautobahn wird ſich dieſe Fahrtdauer für die gleiche Strecke auf mindeſtens 33 Minuten vermindern; denn die Ortsdurchfahrten zu und von den Anſchlußſtellen ermäßi⸗ gen ſich auf 2,5 km, und die freie Fahrtſtrecke von 27,4 km auf der Autobahn kann mit einer Durchſchnittsgeſchwindigkeit von 80 km eingeſetzt werden. Die neue Strecke iſt in ihrer Linienführung dem Land⸗ ſtrich, den ſie durchſchneidet, angepaßt. Sie weiſt alſo nur geringe Steigungen auf, die z. T. ſogar— um die land⸗ ſchaftlichen Schönheiten beſſer zur Geltung zu bringen— auf künſtlichem Wege, d. h. durch Ueberführungen, geſchaf⸗ fen worden ſind. Man hat außerdem bewußt auf eine ſchnurgerade Ausfübeung verzichtet, um die berüchtigte einſchläfernde N zu beſeitigen. Weit ausholende Kurven bringen dem r immer wieder den Wald vor Augen oder zwingen ihn, ſeine Aufmerkſamkeit den vielen Naturſchönheiten zuzuwenden. Beginnt er ſeine Fahrt in Bruchſal, ſo nimmt ihn nach kurzer Zeit der prächtige Lußhardtwald. früher einer der größten deutſchen Eichenwälder, auf, ſchmaäle Lichtun⸗ gen und Wieſenſtücke laſſen den Blick für kurze Zeit in die Ebene ſchweifen. Der Mittelteil führt in ein Stückchen frucht⸗ barſter deutſcher Erde, die ſo koſtbare Dinge wie Hopfen, Tabak und Spargel hervorbringt. Und wieder umſäumt dich⸗ ter Wald, diesmal die Schwetzinger Hardt, die Bahn und be⸗ gleitet ſie ein ſchönes Stück auf ihrem Wege zur Abzweig⸗ ſtelle Heidelberg Mannheim. 41 Bauwerke ſind auf der Strecke verteilt, wobei ſich Anter⸗ und Ueberführungen etwa die Waage halten. Die Decke beſteht nach bewährtem Muſter aus Betonaſphalt, nur ein kurzes Stück bei der Abzweigſtelle Heidelberg— Mannheim trägt eine Decke aus Teerbeton. Im übrigen haben ſelbſtverſtändlich alle für gut befundenen Neuerungen auf dem Gebiete des Reichsautobahnbaues Verwendung ge⸗ funden. So iſt auf beiden Seiten der Fahrbahnen eine Reihe von Parkplätzen geſchaffen worden, auf denen der Fahrer in aller Ruhe ſeine Reparaturen durchführen kann, weiter laden an den ſchönſten Ausſichtspunkten Raſtplätze mit Tiſchen und Bänken zur Un⸗ terbrechung der Fahrt ein.— Man hat übrigens beim Bau der Strecke, die ein wichtiges Mittelſtück zur kommenden Fortſetzung der Linie Frankfurt— Stuttgart und Frankfurt— Karlsruhe darſtellt, beſonders darauf geachtet, daß das fruchtbare Land möglichſt wenig Schaden zu leiden hatte. Erfreulicherweiſe brauchte nicht ein einziges⸗ mal von dem Mittel der Zwangsenteignung Gebrauch ge⸗ macht zu werden. Vielmehr gelangten die betroffenen Bauern durch das Feldbereinigungsverfahren zu einem abgerundeten Beſitztum. Die landſchaftliche Eingliederung geſchieht bei unſerer Teilſtrecke u. a. dadurch, daß man die Fahrbahn ſelbſt als techniſches Bauwerk betrachtet und die notwendigen Böſchungen als Flächen und fließende Linien prechen läßt. Ein Beiſpiel hierfür bieten die bekannten Sandhäuſer Dünen, die nicht mehr als Einſchnitte, ſondern vielmehr als Hügel neben der Bahn in Sicht kom⸗ men. Auch die Straßengräben alten Stils wurden vermieden. Durch flache Mulden wurden harte Uebergänge ausgeſchal⸗ tet und das Prinzip der weichen naturnahen Formen betont. Ein beſonders wichtiges Kapitel iſt die Bepflanzung der Autobahn. Sie erfolgte aufgrund pflanzenſoziologiſcher Un⸗ terſuchungen, wobei Grundwaſſerſtand, Bodenklima, Pflan⸗ zengemeinſchaft der umſäumenden Wälder und nicht zuletzt der Vogelſchutz eine überragende Rolle ſpielten. Man wird ſogar, um eine möglichſt enge Landſchaftsverbundenheit zu Ae Obſtbäume unmittelbar an die Autobahn heran⸗ ziehen.. Kohle, der deutſche Heizſtoff Von Staatsrat Dr. jur. h. c. Fritz Thyſſen, Mülheim⸗Ruhr. Die bei weitem wichtigſte Grundlage der deutſchen Ener⸗ gieverſorgung ſtellt die Kohle dar, insbeſondere die Stein⸗ kohle, deren Vorräte allein ausreichend ſind, die Verſorgung Deukſchlands mit Wärme und Kraft für viele Jahrhunderte ſicherzuſtellen. Die deutſchen Steinkohlenvorräte, die in Tie⸗ fen bis 1200 m liegen, betragen rund 120 Milliarden t und werden bis 2000 m Tiefe auf 280 Milliarden t ge⸗ ſchätzt. Hinzu kommen die Braunkohlenvorräte mit etwa 56 Milliarden t, die, auf den Wärmewert der Steinkohle umgerechnet, rund 12 Milliarden t Steinkohlen entſprechen. Mit dieſen Kohlenſchätzen beſitzt Deutſchland rund 6 Prozent der Weltkohlenvorräte und 35 Prozent der europäiſchen Vorräte; es iſt alſo ein ausgeſprochenes Land der Kohle, auf der das Schwergewicht ſeiner Wärme⸗ und Energiewirt⸗ ſchaft ruht. Die Kohle iſt zu 88 Prozent an der deutſchen Energieverſorgung beteiligt, während die reſtlichen 12 Pro⸗ zent durch ſonſtige Energieträger, wie Erdöl, Waſſerkraft, Torf und Holz befriedigt werden. Zurzeit werden in Deutſch⸗ land jährlich 140 Millionen t Steinkohle gefördert und bei einer Kohlenausfuhr von 30 Millionen t rund 110 Millionen t verbraucht. Förderung und Verbrauch an Braunkohle be⸗ tragen jährlich 140 Millionen t, die einem Wärmewert von 31 Millionen t Steinkohle gleichkommen. Mit dieſer För⸗ derung ſteht Deutſchland an dritter Stelle in der Welt. Die Steinkohle wird nun nicht allein in ihrer Urſprünglichen Form verfeuert, ſondern zum großen il auch in veredelter Form als Koks, Gas und Benzol den Ver⸗ brauchern zugeführt. Jährlich werden rund 40 Millionen t Steinkohle verkokt und dabei etwa 30 Millionen t Koks, 13 Milliarden ebm Gas, 300 000 t Benzol und weitere wertvolle Teer⸗ und Ammoniakerzeugniſſe gewonnen. Koks und Gas dienen in beſonders großem Ainfange zur Wärme⸗ erzeugung und werden vor allem bei den Hauptwärmever⸗ brauchern abgeſetzt. Der Gasabſatz hat im letzten Jahrzehnt einen erheblichen Aufſchwung genommen durch die Entwicklung der Ferngasverſorgung, die zurzeit rund 3 Milliar⸗ den ebm Gas jährlich den von den Kohlenrevieren entfernt liegenden Städten, Gemeinden und induſtriellen Werken zu⸗ führt. Es entſpricht dem Fortſchritt der Technik, unſerer wiſ⸗ ſenſchaftlichen Entwicklung und den Bedürfniſſen unſerer natio⸗ nalen Wirtſchaft, den wertvollen Rohſtoff Kohle, anſtatt ihn unmittelbar zu verfeuern, in ſeine verſchiedenen Beſtandteile zu zerlegen und dieſe in veredelter Form der Verbraucherſchaft zur Verfügung zu ſtellen. Die bisherige Verkokung der Kohle unter Gewinnung wertvoller Nebenerzeugniſſe bleibt nach wie vor eines der wichtigſten Veredlungs verfahren; daneben tritt als weſenklich breitere Veredlungsgrundlage die reſtloſe Verflüſſigung und Vergaſung der Kohle. Das ſo gewonnene Benzin ſoll die deutſche Wirtſchaft von der ausländiſchen Erdöleinfuhr, die zurzeit über 3 Millio⸗ nen k beträgt und ſich mit zunehmender Motoriſierung noch ſteigern wird, entlaſten. Das Gas iſt ein Edelbrennſtoff und ſtellt nach ſeiner Weſensark diejenige Energieform dar, die insbeſondere zur Deckung jedes Wärmebedarfs als die techniſch und wirtſchaftlich beſte gelten kann. Die Vorteile der Gas feue⸗ rung ermöglichen nicht nur eine Senkung der Herſtellungs⸗ koſten, ſondern auch eine Steigerung der Leiſtungsfähigkeit nach Menge und Qualität der Erzeugniſſe und ſchaffen dem Gasverbraucher in ſeiner Wettbewerbsfähigkeit einen beträcht⸗ lichen Vorſprung. Damit bildet das Gas eine wichtige Vor⸗ ausſetzung für das Aufblühen von Gewerbe und Induſtrie, beſonders in Gegenden, die von den Kohlenvorkommen wei⸗ ter entfernt liegen. Bei den Verfahren zur Kohle veredelung werden wertvolle Nebenerzeugniſſe, wie Teer, Benzol, Ammoniak, Schwefel und Naphtalin gewonnen, die in der Kohle enthal⸗ ten ſind, die aber bei Verbrennung der Kohle, z. B. zur Er⸗ zeugung von Elektrizität, verlorengehen. Für dieſe Aufgabe ſind vornehmlich minderwertige Brennſtoffe und Abfallpro⸗ dukte der Kohle zu verwenden. Den Nebenerzeugniſſen kommt für unſere nationale Rohſtoffwirtſchaft eine beſondere Be⸗ deutung zu. Die Teer⸗ und Ammoniakgewinnung der Zechen iſt zu einer der wichtigſten Rohſtoffgrundlagen der hochentwik⸗ kelten deutſchen chemiſchen Induſtrie geworden. Das Benzol iſt aus dem deutſchen Kraftverkehr nicht mehr wegzudenken und erſetzt einen großen Teil auslän⸗ diſcher Kraftſtoffe. Einen weiteren Erſatz für ausländische Kraftſtoffe bietet das Gas ſelbſt, das als Treibſtoff ſehr geeignet iſt und in hochverdichtetem Zuſtand durch Gastank⸗ ſtellen dem Kraftverkehr zugänglich gemacht wird. Die Schwefelgewinnung aus dem Zechengas iſt ſo weit fortgeſchritten, daß bereits ein Drittel des deutſchen Schwe⸗ felbedarfs hierdurch gedeckt wird. Ohne Zweifel wird mit der erweiterten Veredlung der Kohle die Gewinnung dieſer wertvollen Nebenerzeugniſſe geſteigert, die deutſche Rohſtoff⸗ wirtſchaft geſtärkt und damit eine wichtige nationale Auf⸗ gabe erfüllt. Marktberichte Mannheimer Großviehmarkt vom 28. September. Am Großviehmarkt waren aufgetrieben: 48 Bullen, 158 Ochſen, 106 Rinder, 122 Kühe, zuſammen 434 Stück Großvieh. Dieſe erfreuliche Beſchickung, die einen Mehrauftrieb von 24 Stück gegenüber der Vorwoche bedeutete, iſt auf die Zuführung von Huſumer und norddeutſcher Ware zurückzuführen, die bei unveränderten Höchſtpreiſen von Bullen 43, Ochſen 45, Rin⸗ dern 44, Kühen 43 Pfg., einen lebhaften Abſatz fanden. — Am Kälbermarkt ſtanden 564 Tiere(plus 28). Das Ge⸗ ſchäft entwickelte ſich ſehr langſam, da die Käufer bei dem reichlichen Angebot an Großvieh nicht willens waren, die ſeitherigen Höchſtpreiſe zu zahlen, ſo daß ein ſtarker Preis⸗ rückgang für Kälber die Folge war und ein Höchſtpreis von 86 Pfg. erzielt wurde.— Sehr gut beſchickt war der Schweine⸗ markt. Hier ſtanden 2324(plus 600) Tiere zum Verkauf bei einem unveränderten Höchſtpreis von 57 Pfg. Trotz die⸗ ſes reichlichen Angebotes und des amtlichen unveränderten Höchſtpreiſes wurden die Tiere entſprechend der Kontingente den Käufern zugewieſen. Mannheimer Getreidegroßmarkt vom 28. September. Braugerſte, inl., ausſortierte(Ausſtichware bis 1,50 Mark per 100 kg höher) 23,20 ab Verladeſtation. Alle übrigen Notierungen unverändert. 5— Wiſſenſchaft als ewiger Revolutionär In Dresden begann unter der Schirmherrſchaft des Reichsſtatthalters von Sachſen, Mutſchmann, und unter Vorfitz des Berliner Mediziners, Pro⸗ feſſor Sauerbruch, die 94. Tagung der deutſchen Naturforſcher und Aerzte. Daß es in Deutſchland eine Geſellſchaft gibt, die Na⸗ turforſcher und Aerzte, und zwar die beſten und größten von ihnen, vereinigt, daß ferner dieſe Geſellſchaft ſchon mehr als hundert Jahre beſteht, das iſt ein ſtolzer Beweis dafür, wie ein Gedanke der Einheit der Wiſſenſchaft ein wahrhaft deutſcher Gedanke iſt. Die Gründer dieſer Ge⸗ ſellſchaft wollten, daß die Spezialfächer die Fühlung mitein⸗ ander in immer wiederkehrenden Ausſprachen pflegen, und ſie hatten klar erkannt, wie wichtig gerade für die Medi⸗ zin der ſtändige Anſchluß an die Fortſchritte der Natur⸗ wiſſenſchaft iſt. Andererſeits kann auch die naturwiſſen⸗ ſchaftliche Forſchung ſtarke Anregungen von dem Auf⸗ gabenbereich des Arztes her empfangen. Die Geſchichte der bislang 94 Tagungen der Geſellſchaft iſt eine Ge⸗ ſchichte des fruchtbarſten Zuſammenwirkens zweier großer für das Wiſſen und das Wohlergehen der Menſchen ent⸗ ſcheidender Forſchungszweige.— Es ſcheint manchmal, als zob gerade in unſerer Zeit dieſes Zuſammenwirken geſtört ſei, als ob tiefe Gegenſätze zwiſchen der natur⸗ wiſſenſchaftlichen und einer vom Leben her kommenden edizin, zwiſchen der reinen und der auf praltiſche Ziele ausgerichteten Naturforſchung aufgeriſſen ſeien. Es darf olche Gegenſätze nicht geben; ſolange Wiſſenſchaft über⸗ haupt nach Wahrheit ſucht, ſchreitet ſie zwar von Revolu⸗ tion zu Revolution fort, denn die Wiſſenſchaft iſt der größte Revolutionär, wie der Tagungsvorſitzende, Pro⸗ ſeſſor Sauerbruch, in ſeiner Begrüßungsanſprache an die tauſendköpfige Verſammlung ausführte. Aber ſie ſucht in der Umwälzung nichts anderes als den ewigen Fort⸗ ſchritt und im Fortſchritt die Einheit der Erkenntnis. Der Baum der Wiſſenſchaft iſt breit und groß. In ſeinem Schatten leben viele Menſchen, und ſeine Wurzeln finden in vielen Völkern Nahrung. Wer der Forſchung dient, dient ihr am beſten, indem er ſich ſtets deſſen be⸗ wußt iſt, wo ihre Wurzeln ſich gründen. Ein eigentüm⸗ licher Zwieſpalt tut ſich auf, wenn man die Forderung: „Die Wiſſenſchaft diene dem Volke!“ falſch verſteht und dahin auslegt, daß die Forſchung ihr Augenmerk nur auf die Verwertung ihrer Erkenntniſſe für das Volk zu rich⸗ ten habe. Wäre das der wahre Sinn, dann würde die Wiſſenſchaft bald verarmen. Denn das iſt gerade das Eigentümliche der echten Erkenntnis, daß ſie oft zuerſt gar keine Richtung auf bekannte Ziele zu nehmen ſcheint. Daß ſie plötzlich wie ein Wunder vor uns ſteht, geboren aus einem reinen Drang nach Wiſſen und Wahrheit. Fa⸗ raday ahnte nichts, ſo erinnerte Sauerbruch an einige be⸗ rühmte Beiſpiele zunächſt ſcheinbar nur theoretiſcher For⸗ ſchungsergebniſſe, von der gewaltigen elektriſchen Indu⸗ ſtrie, die ſich an ſeine Geſetze anſchließen ſollte. Röntgen dachte nur an ſeine Strahlen, nicht an Krankheitsheilun⸗ gen, als er eine der größten Entdeckungen der Neuzeit machte. Immer muß es Pioniere geben, die ſich in Neu⸗ land vorwagen, ohne zu ahnen, was ſie finden werden. Daß es überhaupt nur ein Mißverſtändnis iſt, wenn mancher heute einen grundſätzlichen Gegenſatz zwiſchen dem theoretiſchen und dem lebendigen Wiſſen ſieht, das zeigte Sauerbruch an der Entwicklung des letzten Jahr⸗ hunderts. Er ſieht das Grundübel vor allem darin, daß die Philoſophie wie auch die Biologie zunächſt mit der großartigen Entwicklung der Naturwiſſenſchaft nicht Schritt gehalten haben. Während die Naturforſchung von einer Entdeckung zur anderen eilte und ihr exaktes Bild der Natur von Generation zu Generation vervollkomm⸗ nete, konnte weder die Philoſophie ihre Erkenntniſſe in ein Weltbild vom gleichen Rang einordnen, noch gelang es der Biologie, die Stellung des Lebensproblems gegen den Angriff der exakten Forſchungsmethoden zu verteidi⸗ gen. So mußte ſchließlich die Naturwiſſenſchaft zu einer alles beherrſchenden Stellung gelangen, die man ihr heute verargen möchte. Ihre Methoden ſind ſo beſtechend und ihre Erfolge ſo niederwerfend, daß ein Fechner allen Ern⸗ ſtes eine Seelenphyſik forderte, und daß Philoſophen ſo⸗ gar an eine Phyſik der Weltgeſchichte dachten. Das waren Ueberſchreitungen deſſen, was die Natur⸗ forſchung leiſten kann. Sie iſt wohl imſtande, die Kräfte und die Geſetze des Lebensgeſchehens zu finden, aber ſie gibt keine Antwort auf die Frage:„Was iſt Leben?“ Wenn man einen Baum betrachtet, ſo hat man ſein Weſen nicht damit erſchöpft, daß man den Aufbau ſeiner Zellen erſchöpft, daß man den Aufbau ſeiner Zellen erforſcht und die Reaktionen ſeiner Säfte erkennt. Das iſt noch nicht der Baum, ſein Weſen kann man nur als Ganzes erfaſſen. Aber es gehört dazu nicht nur die„Schau“ mit Sinnen und Seele, ſondern auch das Wiſſen um die Einzelheiten. So darf auch die Naturheilkunde, deren beſte Gedan⸗ ken immer Eigentum der echten Aerzte waren, nicht in den Fehler verfallen, nach den myſtiſchen Hintergründen des Geſchehens im Menſchen zu ſuchen und das exakte Wiſſen um die Geſetzlichkeiten des Lebensablaufs vernachläſſigen. Gerade Paracelſus, der eines der großen Vorbilder der ſogenannten biologiſchen Medizin war, hat erklärt, daß der gute Arzt zwar den Boden kennen müſſe, auf dem ſeine Kranken groß geworden ſind, und das Klima und die Früchte, daß er die Verwurzelung in Blut und Boden kennen müſſe, daß er aber dennoch ein Stümper ſei, wenn er nicht auch ſeine Arzneien, alſo das Wiſſenſchaftliche ſeines Arzttums, beherrſche.— Das Wiſſen iſt auch für einen Paracelſus eine weſentliche Vorbedingung des Hei⸗ lens geweſen. Und ſo richtete Sauerbruch die ernſte Mahnung vor allem auch an die akademiſche Jugend, nicht zu vergeſſen, daß Wiſſen und Können hart erarbeitet werden müſfen. Ein großer Könner legte Bekenntnis ab, indem er von den bitteren Zweifeln und den Sorgen ſprach, durch die der Weg zur Meiſterſchaft immer führt.— nd gerade das überragende Wiſſen und das meiſterliche Können ſind es ja wieder, die dann dem Volk, dem Ganzen, der Ge⸗ meinſchaft zum Nutzen dienen. 5. Der Blick in den Wurflkeſſel Eine Hausfrau läßt im allgemeinen den Mann nicht gern in den Kochtopf ſehen. Schon zwiſchen Sokrates und Kanthippe ſoll es darüber gelegentlich zu Debatten geringeren philoſophiſchen Grades gekommen ſein. Nicht, daß die Hausfrauen irgend etwas zu verbergen hätten, aber es gilt nun einmal als Grundſatz: der Mann gehört nicht in die Küche, ſo ſehr ihn die Neugier des Magens auch plagen mag. Wie nachhaltig werden ſich alſo die Männer freuen, wenn ſie einmal geradezu aufgefordert werden, gemein⸗ ſam mit den Frauen„in den Topf zu gucken“. Und zwar nicht nur in einen beſcheidenen Suppentopf, ſondern gleich in einen rieſenhaften Wurſtkeſſel! Auf der„Schau der 1000 Freuden“, auf der am 7. Oktober beginnenden„Jah⸗ resſchau für das Gaſtſtätten und Beherbergungs⸗Gewerbe und das Bäcker⸗ und Konditorenhandwerk“ in den Aus⸗ ſtellungshallen am Kaiſerdamm in Berlin, wird eine moderne Fleiſcherei in vollem Betrieb gezeigt. Zum erſten Male wird das deutſche Fleiſcherhandwerk unter dem Dach der Berliner Ausſtellungshallen in dieſer Form ver⸗ lockend duftenden Anſchauungsunterricht ſeines Schaffens geben. Hier ſoll das Publikum greifbar erkennen, was alles ihm in des Wortes wahrem und angenehmſtem Sinne„Wurſt iſt“, und wie dieſe Wurſt, ob gekocht oder geräuchert, entſteht. Die Reichsfachſchule der Fleiſcher ſtellt für die Halle U eine Leiſtungsſchau des deutſchen Fleiſcherhandwerks zuſammen. Den Mittelpunkt dieſer Parade nahrhafter und wohlſchmeckender Dinge wird eine Art Ladenfront bilden, eine Reihe von Räumen, an deren Schaufenſtern die Beſucher wiſſensdurſtig und aufſchnitthungrig vor⸗ überwandern werden. Aber ſelbſt das Anſchauen des von morgens bis abends laufenden Fleiſcherei⸗Betriebes, der in dieſen Räumen untergebracht iſt, bliebe Theorie, wenn man nicht gleich an Ort und Stelle probieren könnte, was die Fleiſcher nach alten und neuen Rezepten in ſauberſter, gediegenſter Handwerksarbeit vor den Augen des Publi⸗ kums herſtellen. Die Ladenfront reiht vier große Räume aneinander. Da iſt zunächſt der Rohwurſtraum mit der Räucherkam⸗ mer. Aus Hartholzſpänen ſteigt der Rauch und bringt die Würſte in jenen Zuſtand, der ſie— in faſt unwahr⸗ ſcheinlicher Mannigfaltigkeit— aus einem ſachlichen Nah⸗ rungsmittel zu den köſtlichſten Leckerbiſſen macht. Man wird hier auch das moderne„Schwitzverfahren“ beobach⸗ ten können, das den Räucherprozeß beſchleunigt und eine Wurſt anſtatt in acht oder zehn Wochen ſchon in rund ſechs Tagen vollkommen ſchnittfeſt und verkaufsfertig macht. Wer angeſichts dieſer vorbildlichen Arbeitsſtätte und ihrer Ware noch an Appetitloſigkeit leidet, dem wird nur ſchwer zu helfen ſein. Nebenan, im Kochwurſtraum, brodelt es in den ge⸗ waltigen Keſſeln. Wolf und Kutter, ſämtliche modernſten Hilfsmaſchinen, ſtehen ſtumm, aber tätig ihnen zur Seite. Dienſt an Tafelfreuden, die kein Luxus ſind, ſondern das Schmackhafte mit dem Nützlichen verbinden. Bevor ſich aber das Publikum in den angrenzenden Kojen für die Würſte praktiſch„erwärmen“ darf, ſollen ſich die Würſte für das Publikum ein wenig„abkühlen“. Jedenfalls ſollen ſie zeigen, wie ſie ſich in geſunder„Kalt⸗ luft“ nach beſten hygieniſchen Prinzipien friſch halten laſſen. Da findet man alſo einen neuzeitlichen Kühl⸗ raum, in dem ſich Wurſt und Aufſchnitt ſo wohlbefinden wie wir, wenn ſie auf dem Teller liegen. Der zweite Teil der Koje beherbergt den Gefolgſchaftsraum eines Fleiſchereibetriebes wie er ſein ſoll. In dieſem und dem letzten Raum— einem vorbild⸗ lich eingerichteten Fleiſchereiladen— iſt dem Publikum Gelegenheit zum Verzehr gegeben. Rundherum aber werden die Gäſte ungezählte, höchſt„anregende“ Platten mit Wurſt und feinem Aufſchnitt ſehen, kleine und große Dekorationswunder des Fleiſcherhandwerks. Wobei man feſtſtellen wird, daß die einſt üblichen„Modellier⸗Arbei⸗ ten“, etwa die Loreley, die Wartburg oder ein Roſen⸗ ſtrauß aus Talg in unſeren Tagen mit Recht als Kitſch und Verſchwendung abgetan ſind. Heute wirken in der Dekoration das Material, die Kunſtfertigkeit in der Zu⸗ ſammenſtellung und die geſchmackvolle Garnierung. Sämtliche deutſche Wurſtſorten und Waren des feinen Aufſchnitts entſtehen in dieſem Tag für Tag laufenden Fleiſcherei⸗Betrieb,— den Hausfrauen und den Män⸗ nern, den Fachleuten und den Laien gleichermaßen zur „Anka“ 29 Roman von Hans Pofſendorf. „Woraus ſchließen Sie das, Exzellenz?“ „Aus dem ganzen Verfahren. Man hatte freilich aller⸗ lei Verdachtsgründe— und keine ganz ſchlechten: früherer Ritt durch zeig e e Generalſtabsoffizier, dazu die beiden Anzeigen! Da fragt man dann nicht mehr viel nach wirklichen Beweiſen. Vielleicht glauben die Herren Ruſſen ſelbſt nicht mal an dieſen„Spion“. Die Herren in Tiflis und Wladikawtas wollen doch auch mal ihre Tüch⸗ tigkeit zeigen, damit man ſich ihrer wieder erinnert!— Nein, offen geſagt, ich glaube an keine Wiederaufnahme, mit der man ja den eigenen Irrtum eingeſtehen würde. — Eher hoffe 175 noch auf Abkürzung der Haft durch Be⸗ gnadigung. Ich denke, wenn wir in dieſer Richtung arbei⸗ 55 1 meine perſönlichen Beziehungen zu Hofkrei⸗ 5 Der Botſchafter brach ab, überlegte ein Weilchen und ſchloß dann: Jedenfalls gaben Sie mein Wort darauf, daß ich alles nur Denkbare in der Sache tun werde.“ Eliſabeth von Aue erhob ſich. Sie war zu erregt, um ein Wort herauszubringen, ſo ſehr hatte ſie enttäuſcht, was der Botſchafter von der ruſſiſchen Militärjuſtiz geſagt. Mit Tränen in den Augen ſtreckte ſie ihm, dankend für ſein Wohlwollen, die Hand entgegen. »Ich darf Ihnen wohl verſichern, mein gnädiges Fräu⸗ lein,“ jag der Botſchafter, ſich über Eliſabeths Hand beugend, daß mir Ihr Beſuch eine Freude und— eine Ehre 14 8 0 5 e e —— —* Die Unterlaſſung der Vereidigung Ankas war nicht ab⸗ ſichtlich oder böswillig erfolgt, aber es war dem ruſſiſchen Militärgericht durchaus willkommen, daß ſie nicht mehr ſtattfinden konnte. Anka war nach ihrem Zuſammenbruch im Gerichtsſaal nicht wieder zum Bewußtſein gekommen, ſondern mußte als Schwerkranke in das Hospital von Wladikawkas eingelie⸗ CCCCCCVVVVVVVJJJ///// ĩĩͤ ͤĩ„ Freude. Der Blick in den Wurſtkeſſel und in die Räucher⸗ kammer zeigt den Ernſt der Handwerksarbeit, der Schnitt in die Wurſt bringt das Wohlbehagen des Verzehrs. Gutes Licht ſteigert die Leiſtung Eingehende Unterſuchungen des Amtes„Schönheit der Arbeit“ der DAF. in Zuſammenarbeit mit der Deut⸗ ſchen Lichttechniſchen Geſellſchaft haben ergeben, daß auch heute noch der weitaus größte Teil der Arbeits⸗ plätze aller deutſchen Betriebe völlig unzureichend beleuchtet iſt. Dies überraſcht um ſo mehr, als man weiß, daß die Leiſtungsfähigkeit des Menſchen, ſein kör⸗ perliches Wohlbefinden und nicht zuletzt die Güte ſeiner Arbeit in hohem Maße von der richtigen Beleuchtung ab⸗ hängen. Um die Geſundheit des Arbeitenden und die Güte der Arbeit zu heben, hat die deutſche Beleuchtungsinduſtrie eine Reihe von Sonderleuchten entwickelt, die eine rich⸗ tige Beleuchtung des Arbeitsplatzes gewährleiſten ſoll. Nun genügt es allerdings nicht allein, neuzeitliche und lichttechniſch richtige Leuchten anzuſchaffen. Es kommt vor allem darauf an, dieſe Leuchten auch lichttechniſch richtig anzuwenden. In zahlreichen Betrieben, in denen die Ar⸗ beit an das Auge beſonders hohe Anforderungen ſtellt, iſt neben der Allgemeinbeleuchtung der einzelnen Werk⸗ plätze noch eine Arbeitsplatzbeleuchtung durch Sonderleuchten erforderlich. Die zuſätzliche Son⸗ derbeleuchtung von Werlplätzen hat ſich überall da ein⸗ geführt und bewährt, wo in einem Raum nur wenig Ar⸗ beitsplätze beſetzt oder nur einzelne Maſchinen in Betrieb ſind. Auch bei wechſelnden Arbeitsverhältniſſen läßt ſich die Einzelplatzbeleuchtung den jeweiligen Bedürfniſſen beſſer anpaſſen als die Allgemeinbeleuchtung. Ihre Wirtſchaftlichkeit ergibt ſich aus der Tatſache, daß ſich bei Verwendung geeigneter Leuchten bereits mit ver⸗ hältnismäßig ſchwachen Glühlampen hohe Beleuchtungs⸗ ſtärken erzielen laſſen. Um dieſe Verbeſſerung der Ar⸗ beitsplatzbeleuchtung in allen deutſchen Betrieben zu er⸗ reichen, führt die Deutſche Arbeitsfront auch im Winter 1936/37 ihren Werbefeldzug unter dem Stichwort „Gutes Licht— gute Arbeit“ durch. Zur Unter⸗ ſtützung dieſer Aktion der DAF. haben ſich erſte Fachleute und die Verbände des deutſchen Handwerks zur Ver⸗ fügung geſtellt. . Weltbild(M). Der Abſchluß der großen Herbſtübungen. Der Führer und Generaloberſt von Seeckt am Schlußtag im Manövergelände in Heſſen. Der Führer beobachtet den Durchbruchsverſuch eines Panzerregiments bei Maus⸗ winkel am Vogelsberg. Trotz des ſcharfen Proteſtes des Verteidigers ſtellte das Gericht Ankas unbeeidete Ausſage als gültig in die ſoge⸗ 1 Beweiskette ein und ſo war die Verurteilung er⸗ olgt.— Wochenlang lag Anka in völliger, bald in halber Be⸗ wußtloſigkeit an einem Nervenfieber darnieder. Die furchtbare Schuld, daß ſie ſich von einem Augen⸗ blick tollſter Eiferſucht und tieſſter Verletztheit zu jener vernichtenden Ausſage hatte hinreißen laſſen, hatte ſchon in ihren Fieberträumen ihr Gehirn gemartert. 8 Als ſie aber das erſtemal wieder bei ganz klarem Be⸗ wußtſein war, überkam ſie eine wilde Verzweiflung. Sie ſchickte ſofort nach Gerharts Verteidiger. Von ihm erfuhr ſie zu ihrem Entſetzen, daß man den Baron nach Kraßnojarsk in Sibirien geſchickt hatte; daß dies auf Kör⸗ rings eigenen Wunſch geſchehen, verſchwieg ihr der Ruſſe jedoch. Er war wütend über Ankas Ausſage und dachte gar nicht daran, ihren Qualen und Selbſtvorwürfen auch nur im geringſten Milderung zu verſchaffen. „Und wenn i meine Ausſage jetzt zurücknehme?“ fragte Anka atemlos. „Dann behalten wir Sie fürs erſtemal hier, mein edles Kind. And dann verſuche ich, die Wiederaufnahme des Verfahrens zu erreichen.“ „Er wird dann freigelaſſen? Bald? Sofort?“ Der Verteidiger lachte hart auf und dann gab er ihr etwa die gleichen troſtloſen Erklärungen, wie ſie Eliſabeth mul Aue von dem deutſchen Botschafter hatte vernehmen müſſen. „Aber deswegen müſſen Sie 95 Ihre falſche Ausſage jetzt zurücknehmen. Das iſt Ihre heilige Pflicht!“ ſchloß der Verteidiger endlich. Einen Augenblick zögerte Anka noch. Blitzſchnell über⸗ legte ſie, daß ſie ihrer Freiheit beraubt, dem Geliebten nichts würde nützen können. Nur wenn ſie frei war, konnte vielleicht ihr phantaſtiſcher Plan glücken: den Baron mit Liſt zu befreien! Und ſie erwiderte dem Verteidiger mit mühſam erzwungener Kühle: „Ich danke für Ihre Auskunft. Meine Ausſage kann ich nicht zurücknehmen, weil ſie der Wahrheit entſpricht.“ Wie dieſer kindliche Plan einer Befreiung Körrings auszuführen ſei, darüber war ſich Anka ſelbſt nicht klar. Sportnachrichten Fußball im! Bezirk Anterbaden⸗Weſt. Alemania Ilvesheim— VfR. Feudenheim 6:1 Germania Friedrichsfeld— 08 Hockenheim 7:2 Fortuna Edingen— Olympia Neulußheim 325 Die Tabelle: Vereine Sp. gew. unent. verl. Tore Punkte Alem. Ilvesheim 4 4 0 0 1 8 Phönix Mannheim 3 3 0 0 812 6 Germ. Friedrichsfeld 3 2 0 1 136 4 Amicitia Viernheim 3 2 0 1 7 5 4 SC. Käfertal 3 2 0 1 825 4 08 Hockenheim 4 2 0 2 1212 4 Olympia Reulußheim 3 1 1 1 8 7 3 Fortuna Heddesheim 3 1 1 1 5276 3 Kurpfalz Neckarau 3 1 0 2 510 2 08 Mannheim 3 1 0 2 49 2 Bf Tu. R. Feudenheim 5 1 0 4 145 2 Fortuna Edingen 5 0 0 5 7719 0 Handball der Kreisklaſſe. Tbd.„Jahn“ 1— VfL Neckarau I ausgeſallen Tbd.„Jahn“ Igd. Poſtſportverein Igd. nicht angetr. Die 1. Mannſchaft des hieſigen Tbd. zwingen dieſes Jahr die verſchiedentſten Umſtänden, in der Verbands⸗ runde reichlich ſpät in Aktion zu treten. Trat beim erſten angeſetzten Spiel die Viernheimer Amicitia nicht an, ſo blieb die Mannſchaft am nächſten Sonntag ſpielfrei und nun machte am vergangenen Sonntag der Wettergott einen dicken Strich durch die Rechnung. Der Kampf muß nun auf einen ſpäteren Termin verlegt werden, da beide Mannſchaften zur Stelle waren, der Schiedsrichter den Platz aber für unbeſpielbar erklären mußte. Ein wenig glücklicher war die Jugend, die infolge Nichtantritts von Poſt 2 Punkte buchen konnte. Sport in Kürze Oeſtereich und Ungarn lieferten ſich am Sonntag in Budapeſt vor 30 000 Zuſchauern einen Freundſchaftskampf im Fußball, den die Ungarn überraſchend ſicher mit 5˙3 (3:2) gewinnen konnten. Bei den Meiſterſchaften der Tennislehrer in Berlin gab es am Sonntag eine Rieſen⸗Ueberraſchung, da Nüßlein gegen Ramillon mit 6:4, 2:6, 2:6, 4:6 verlor. Nüßlein wurde aber doch deutſcher Meiſter, da er im Geſamten das beſſere Satzverhältnis aufzuweiſen hatte. Ramillon wurde Zweiter vor Goritſchnig und Rott. In Monza wurde um die Internationale Ge⸗ ſchwindigkeits⸗Trophäe für Motorräder ge⸗ kämpft. Tenni⸗Italien verteidigte dabei in der 500 cem⸗ Klaſſe auf Guzzi die Trophäe vor Aldrighetti(Guzzi), Gall und Ley(beide BMW). In der 350 cem⸗Klaſſe ſiegte Sunnqpiſt⸗Schweden(Husqvarna) vor Nocchi⸗Itolien und „Grizzly“-Belgien. Bei den 250 cem⸗Maſchinen fiel der Sieg an Aldrighetti(Guzzi) vor Pagani(Italien). Die deut⸗ ſchen Teilnehmer waren überall ſtark vom Pech verfolgt. Kilian-Bopel gewannen erwartungsgemäß das Londo⸗ ner Sechstagerennen mit Rundenvorſprung vor Aerts⸗ Buyſſe und Ignat⸗Diot. Auch am Schlußkage des Wiener Reitturniers feierten die deutſchen Reiter noch einen großen Erfolg. Rittmeiſter Brandt(Alchimiſt) und Rittmeiſter Momm (Baccarat) gewannen den Siegerpreis vor dem Italiener Capt. Montfort auf Felino. Südweſt gegen Württemberg ſtanden ſich in Haßloch vor 1000 Zuſchauern in einem Handballtreffen gegenüber. Nach einem ſpannenden Kampf ſiegte Südweſt knapp mit 8:7(3:2). In Nürnberg wurde der„Große Europa⸗Preis“ für Steher ausgefahren. Sieger wurde Erich Metze vor Severg⸗ nini⸗Italien, Möller⸗Deutſchland, Alkema⸗Holland und Kre⸗ wer⸗Deutſchland. Nur das eine wußte ſie: ſie hatte ihm jetzt auf dem ſchnell⸗ en Wege nach jenem abgelegenen Ort in Sibirien zu fol⸗ gen! Doch ſie war jetzt völlig mittellos. Ihr einziger Beſitz war Janos, der Lipizzanerhengſt. Blutenden Herzens ent⸗ ſchloß ſie ſich zum Verkauf des geliebten Pferdes. Schon am zweiten Tage nach ihrer Entlaſſung aus dem Hoſpital gelang es ihr, einen Käufer zu finden. Aber es war höchſtens die Hälfte des wirklichen Wertes, was ſie erhielt, und davon gingen noch die Koſten für die wochen⸗ lange Wartung und Fütterung des Pferdes ab.. Als der Hengſt weggeführt wurde, brach Anka in Schluchzen aus. Es war, als ſei ihr letzter Freund und Helfer mit ihm davongegangen. Schon am Tage nach dem Verkauf des Lipizzaners reiſte Anka nach Orenburg ab. Dieſe Stadt war damals noch die letzte Eiſenbahnſtation auf dem Wege nach Sibirien und man lien das Mädchen von hier aus nicht allein nach Sibirien weiterreiſen. Der gezwungene Aufenthalt in Orenburg ließ Ankas Barſchaft weiter zuſammenſchmelzen. Endlich, nach drei Wochen ungeduldigen Wartens, traf ein großer Zug von Verbannten und Sträflingen ein. Die⸗ ſem traurigen Transport ſchloß ſich Anka an. e Werſt Fußmarſch hatte ſie nun vor ſich. Mehr als zwanzig Werſt am Tage konnten dieſe Transporte, zu denen auch Greiſe, Frauen und Kin⸗ der gehörten, nicht bewältigen. Und dazu kamen noch die ſonnkäglichen Raſten. Wenn alles glatt von ſtatten ging, konnte man alſo Kraßnojarsk erſt in hundertundfünfzig Tagen erreichen,— eine ſchier endloſe Zeit, die weit in den fürchterlichen ſibiriſchen Winter hineinragte. Doch Anka war bereit, alle Qualen und Strapazen, die ihrem durch die ſchwere Krankheit geſchwächien Kör⸗ per bevorſtanden, auf ſich zu nehmen: Nur den Geliebten zu erreichen,— ihn befreien!— Am 1. Auguſt. 1885, an einem glühend heißen Vor⸗ mittag,— an demſelben Tage, an dem Eliſabeth ihre Reiſe nach St. Petersburg zu dem gleichen Zweck angetre⸗ ten hatte— brach Anka mit einem langen Zug von Men⸗ ſchen, Tieren und Wagen nach Sibirien auf. ——— 2 — ee 1