2 F re ere e e e ee eee e Nene Nr. 142 Neckar⸗Bote(2. Blatt) Dienstag, 22. Juni 1937 Wie ſie hauſten Ein Augenzeugenbericht aus Bilbao. Der Sonderberichterſtatter des DNB gibt eine erſchiit ternde Schilderung deſſen, was er in dem befreiten Bilbao geſehen. Er ſchreibt: Ein Beſuch in der baskiſchen Märtyrerſtadt geſtaltet ſich für jeden zu einem unvergeßlichen Erlebnis Man emp⸗ findet tiefes Mitgefühl für die eiſtig und körperlich ſchwer erſchütterte Bevölkerung und Ekel und Abſcheu über die im Laufe einer elfmonatigen bolſchewiſtiſchen Diktatur began⸗ genen Morde und Verbrechen. Tauſende von Einwohnern die von den fliehenden Horden mehrere Kilometer mitge⸗ ſchleppt worden waren, kehrten mit ihrem letzten Hab und Gut in die Stadt zurück und belebten das Straßenbild. Es herrſcht in Anbetracht der grauſigen Erlebniſſe zwar kein lauter Jubel über den Einzug der nationalen Truppen, aber eine ſtille und aufrichtige Freude. Die erſten Laſtwagen⸗ züge mit Brot, das ſchon zum unbekannten Begriff gewor⸗ den wat, trafen wenige Stunden nach der Einnahme Bil⸗ baos ein. Zwei 1500⸗Tonnen⸗Schiffe ſind mit Lebensmitteln aus dem Hafen von Paſajes bei San Sebaſtian ausgelau⸗ fen, um wenigſtens die allergrößte Not zu lindern. 8 Die Stadt iſt durch die Sprengung der fünf ſchönen Brücken über den Nervion in zwei Hälften geeilt. Mit dem Auto muß man, um auf die andere Flußſeite zu gelangen, einen Umweg von über 40 Kilometern machen. Der Fuß⸗ verkehr führt über eine Pontonbrücke. In einer Hauptſtraße ſtehen die Tanks und Panzerwagen in Reih und Glied, die aber— ebenſo wie die Fußtruppen— ohne einen Schuß abzufeuern in die Stadt eingedrungen ſind Auf dem„Plaza de Arenal“, dem eigentlichen Stadtzentrum, fand ein Feld⸗ gottesdienſt ſtatt, an dem außer den ſiegreichen Truppen die befreite Bevölkerung ceilnahm. Die ſtille Dankbarkeit der Einwohner offenbart ſich in kleinen unauffälligen Szenen. Ich war wiederholt Zeuge, wie einzelne Frauen und ältere Männer auf Offiziere zugingen, ihnen die Hand drückten und mit tränenerſtickter Stimme unverſtändliche Dankes⸗ worte ſprachen. Seit mehreren Tagen gibt es kein Waſſer und kein Licht in der Stadt. Die Behauptung der Bolſchewiſten, die Waſſerleitungen ſeien durch Fliegerbomben zerſtört worden, ſtimmen nicht Einwohner und fleberläufer beſtätigen, daß bolſchewiſtiſche Sprengkommandos die Rohre an mehreren Stellen zerſtört haben. Die Stadt zeigt im übrigen, bis auf jene von den Bolſchewiſten durchgeführten Brandſtiftun⸗ gen, keinerlei Spuren von Bombardements. Die ruch⸗ loſeſte Tat, die die zurückflutenden Bolſchewiſten began⸗ gen haben, war die mit ungeheuren Dynamitmengen her⸗ vorgerufene Sprengung eines Bahntunnels. In dieſen Tun⸗ nel hatten ſich Frauen, Greiſe und Kinder geflüchtet, um ſich dem bolſchewiſtſchen Räumungsbefehl zu entziehen. Es 1 len rund 2000 Menſchen getötet oder verletzt worden ſein! Abgeſehen von dieſer mörderiſchen Tat hatten die Verbre⸗ cher in Bilbao die größte Markthalle unterminiert und woll⸗ ten ſie kurz vor dem Einzug der nationalen Truppen mit den in den dortigen Kellern ſich aufhaltenden Hunderten von Frauen und Kindern in die Luft ſprengen. Das ſchnelle Vordringen der Nationaltruppen konnte die Ausführung dieſer Freveltat verhindern. Die ſilbernen und goldenen Kelche wurden aus allen Gotteshäuſern geſtohlen. In einem Kloſter ſind 16 Men⸗ ſchen, in einem anderen Kloſter. ſi i die von nationalen Polizeibeamten gerettet wurden, alle Inſaſſen gemeuchelt worden. Die Nonnen wurden vor ihrer Ermordung noch das Opfer nicht zu ſchildernder Orgien. Die Zahl der während der Bolſchewiſtenherrſchaft in Bilbao ermordeten Perſonen geht in die Tauſende. Dar⸗ unter befinden ſich 500, die in Gefängniſſen und auf Ge⸗ fängnisſchiffen untergebracht waren. In den Banken von Bilbao 1 buchſtäblich kein Centimo zurückgeblieben. Ein Bankdirektor erzählte mir, daß man ſogar die Kupfermünzen mitgeſchleppt habe. Die Bank von Spanien hat alſo einen Tag vor dem Einmarſch der nationalen Truppen noch einen Kaſſenbeſtand von über einer Million Peſeten gehabt Alle Bankſafes ſind aufgebro⸗ chen. Dort liegende Juwelen ſowie ſämtliche Perſonal⸗ und Wertpapiere ſind geſtohlen worden. Der Geſamtwert des aus Bankſafes und Privathäuſern entwendeten Schmuckes beträgt mehr als 100 Millionen. Die Inhaber der Safes wurden der Form halber aufgefordert, mit einem Polizei⸗ beamten in die Bank zu kommen. Dort überredete man ſie mit entſprechenden Drohungen, ihr Vermögen„in Sicher⸗ heit“ bringen zu laſſen. Die„Sicherheit“ beſtand in der Verladung der Wertſachen auf ein Schiff, das in unbekann⸗ ter Richtung— man nimmt an, nach Frankreich— Bilbao bei Nacht und Nebel verließ. Der gleiche Bankdirektor be⸗ richtet, daß die Volſchewiſtenherrſchaft in Bilbao rund 600 Millionen Peſeten gekoſtet hat! In den Straßen Bilbaos herrſchte während der letzten Tage vor der Einnahme ein völliges Chaos. Schießereien waren an der Tagesordnung. Niemand war auf der Straße ſeines Lebens mehr ſicher. Die Bolſchewiſtenhäuptlinge haben, zuverläſſigen Ausſagen zufolge, bereits vor längerer Zeit Bilbao verlaſſen und ſind zum Teil nach Frankreich gegangen. Darunter befindet ſich auch der„Präſident“ des ſogenannten„Volksgerichtshofes“, Eſpinoſa, auf deſſen Konto die meiſten Mordurteile gegen nationale Einwohner kommen. Er iſt unter Mit na hme bon neun Millionen Peſeten zuſammen mit ſe i⸗ ner Geliebten nach Frankreich geflüchtet. Der„Gene⸗ ralſekretär des Innenminkſters“, Lulſa, verſchaffte„poli⸗ tiſch verdächtigen“ Frauen gegen gute Bezahlung und unter gewiſſen e die genau zu ſchildern der Anſtand verbietet,„Fluchtmöglichkeiten“. Bei einem Beſuch im Carlton⸗Hotel, wo bis in die frü⸗ hen Morgenſtunden der bolſchewiſtiſche Deſpot Aguirre mit ſeinen Spießgeſellen gehauſt hat, erfuhr der Sonderbe— richterſtatter des DRB noch folgende Einzelheiten: Das Ho⸗ tet, in denen Aguirre mit ſeinem Geſindel aus Furcht vor nen mit vielfachen Sandſackauflagen verbarrikadiert wor⸗ den. Im unterſten Stockwerk ſind Stahlkammern hergerich— tet, in denen Aguerri mit ſeinem Geſindel aus Furcht vor Attentat und Fliegern nächtigte. Ein einziges Mal iſt er im erſten Monat des Krieges auf einem Schimmel an der Front erſchienen, feuerte einen Schuß aus ſeiner Piſtole ab und erklärte:„Die Offenſive hat hiermit begonnen!“ Als ſeine eigenen Leute ihm dann nach dem Leben trachteten, zog er es vor, weitere Frontbeſuche zu unterlaſſen. Wäh⸗ rend die Bevölkerung darbte, ver geudete der Bolſche⸗ wiſtenhäuptling Aguirre ungeheure Geldſummen für luzuriöſe Wohnungseinrichtungen und üppige Ban⸗ ketts Für ein Badezimmer z. B wurden nicht weniger als 50 000 Peſeten verſchleudert! In einem Zimmer fand man noch die Reſte der von Aguirre und ſeinen Kumpanen ver⸗ anſtalteten Saufgelage: über 100 leere Likör⸗ und Kognakflaſchen. In der Nacht zum Samstag veran⸗ ſtaltete Aguirre ein„Abſchiedsfeſt“, das bis zum Morgen⸗ grauen dauerte und bei dem ſich die männlichen und weib⸗ lichen Teilnehmer, Verbrechergeſindel und Dirnen, nach Ausſage von Augenzeugen entſetzlich betranken. Die bolſche⸗ wiſtiſchen Milizen ahmten das Beiſpiel ihres„Präſidenten“ nach und betranken ſich zur gleichen Zeit in ihren Spelun⸗ ken, um in dieſem Zuſtand Pen am Morgen die Flucht nach Santander anzutreten. Friedrichs Prüfungsſtunde Zur Erinnerung an die Schlacht bei Kolin 1757. Zum Jahresbeginn 1757 hatte König Friedrich zu ſeinen Getreuen geſagt:„Es wird das Jahr ſtark und ſcharf hergehen. Aber man muß die Ohren ſteif halten, und jeder, der Ehre und Liebe fürs Vaterland hat, muß alles daranſetzen!“ Wirklich wurde dieſes Jahr der gro⸗ ßen Offenſiven Friedrichs das ſchlachtenreichſte des gan⸗ zen Siebenjährigen Krieges. Mit Siegen begonnen, mit Siegen beendet, brachte es aber auch die erſte Niederlage, die Friedrich einſtecken mußte, die Unglücksſchlacht von Kolin. Sie wurde zur Prüfungsſtunde des Feldherrn und ſeines Heeres, das plötzlich erkannte, daß auch der größte Führer nicht ſchickſalsgefeit oder unbeſiegbar ſei, brachte auch eine entſcheidende Wendung im Verlaufe des großen Krieges zuwege: Der Preußenkönig mußte von der Angriffstatik zur Verteidigung übergehen! Und doch hatte die Siegeshoffnung ſchon kurz vor ihrer Erfüllung geſtanden! Morgen nichts mehr von Dauns Heer zu ſehen war. Was aber als Mutloſigkeit des öſterreichiſchen Feldmarſchalls hätte gelten können, war wieder einmal der Ausdruck ſei⸗ ner zähen, abwartenden und ſichernden Klugheit. Als nämlich auf des Königs Befehl in der Mittagsſtunde die preußiſche Vorhut unter General von Hülſen vorgeht, in kühnem Sturme Dorf und Kirchhof Kretſchor einnimmt und dabei 24 Kanonen erobert, ſehen die wackeren Gre⸗ nadiere von der gewonnenen Anhöhe herab plötzlich Dauns Streitmacht unten in gut geſchütztem Talgelände— ſich an feſte Höhen anlehnend— kampffertig aufmarſchiert. Dennoch liegt alles noch günſtig für die Preußen. Den Reitern unter Zieten gelingt es, die feindliche Reiterei bis Kolin zurückzuwerfen und dort zu einer Untätigkeit zu zwingen, die ſie verhinderte, an dieſem Tage überhaupt wieder in den Kampf einzugreifen. Nun aber begann das Verhängnis hereinzubrechen; durch eine Kette von Fehl⸗ griffen und Mißverſtändniſſen, die in der Geſchichtsſchrei⸗ bung ſehr verſchieden dargeſtellt werden, ſchlug das Schlachtenglück Friedrichs zum Unheil um. Ungünſtig war es, daß die veränderte Haltung Dauns Friedrich zu einer Abänderung des vorentworfenen Planes verleitete. Da⸗ durch entſtanden Irrtümer bei den Generalen Moritz von Deſſau und von Manſtein. Es klafften plötzlich Lücken in der preußiſchen Front, denn Manſtein hatte ſich in ein unnötiges, wie er aber glaubte ihm anbefohlenes Ge⸗ fecht mit Panduren eingelaſſen. Infanteriereſerven ſtan⸗ den nicht mehr zur Verfügung. Der König ſelbſt führt die Kavallerie zur Ausfüllung der Lücken vor. Noch hat Daun nicht gemerkt, wie ſich ſeine Lage verbeſſert hat, ſchon läßt er ein ſchnell hingehauenes Notizblatt zu den Unterführern bringen, befehlend, daß ſie unauffällig den Rückzug vorbereiteten; da hält ein öſtereichiſcher General das Blatt auf. Er hatte nämlich die Wendung der Dinge erkannt. Friedrichs Reiterangriffe waren mehrmals in heftigem Artilleriefeuer zuſammengebrochen. Nun attak⸗ kieren die ſächſiſchen Korps. Die preußiſchen Linien ver⸗ wirren ſich; es kommt zur Flucht. Der König ſammelt 40 Mann um die Fahnen des Regiments Anhalt, hoffend, daß ſich die Weichenden anſchließen. Mit Hörnerſchall geht es zum Sturm; aber bald liegt das Häuflein tot und verwundet zu Boden. Nur der König ſcheint gefeit, ebenſo einige Adjutanten. Sie gehen vor und vor. Da ruft Major Grant ihm zu:„Majeſtät, wollen Sie die Batterie allein erobern?“ Friedericus wendet ſich. Selb⸗ viert ſtehen ſie dem Feinde gegenüber. Er hält ſein Pferd an, beſchaut die Feindſtellung in Ruhe durchs Glas, dann wendet er ſich langſam und gibt den Rückzugsbefehl, Wunderdinge an Tapferkeit aber hatten ſeine Solda⸗ ten allem Unglück zum Trotze verrichtet. Seydlitz hatte allein ſechs Fahnen und 40 Kanonen erbeutet. Hülſen hielt die gewonnene Höhenſtellung bis zum Schluß der Schlacht, Zieten ſelbſt war verwundet nach ſeinem Teil⸗ ſiege. Daun verzichtete bei der Haltung der Feinde auf ein Nachrücken, war zugleich ſo ritterlich, Friedrich die verwundeten Gefangenen nachzuſenden. Deſſen Infante⸗ rieverluſte betrugen zwei Drittel der früheren Stärke! Folge der Niederlage waren Aufhebung der Belagerung Prags und die Räumung Böhmens. Unglück allerlei Art folgte noch in dieſem heißen Jahre. Aber im Novem⸗ ber zeigten Preußens Heer und Herr, daß ſie die Prü⸗ fung wackeren Herzens beſtanden hatten; bei Roßbach war⸗ fen ſie die Franzoſen und bei Leuthen— im Dezember— die. Qeſterreicher. err eter terrwerfoeh ren, dern ghrer- Einſchließung einer öſterreichiſchen Hauptarmee geführt hatte. Friedrich durfte um ſo eher daran glauben, nun zur Entſcheidung zu gelangen, als er wußte, daß Maria Thereſia dem Feldmarſchall Daun es als ſeine Hauptauf⸗ gabe bezeichnet hatte, die von Preußen noch nicht beſetzten Erblande zu ſchützen. Mit kühnem Schwung wollte Friedrich nun ſeinerſeits die Defenſivpſtellung Dauns durchbrechen und bis Wien vorſtoßen, als unvermutet der Gegner ſeine Strategie änderte und ſich zum Angriff fer⸗ tigmachte, um die Feſtung Prag zu entſetzen. Zu guter Stunde noch wurde der Preußenkönig über die veränderte Taktik Dauns unterrichtet, und er beſchloß, dem Feindes⸗ heer durch einen überraſchenden Angriff zuvorzukommen und es zu zerſprengen. Zieten klärte durch einen kühnen Ritt die Lage auf und berichtete ſeinem Feldherrn:„Ein Angriff unſererſeits iſt zur Zeit unmöglich! Es gäbe ein Unheil! Am 17. 6. ſieht Friedrich ſelbſt von einer Vor⸗ poſtenſtellung aus die Ueberlegenheit Dauns, dem 54 000 Mann gegenüber 34000 Preußen zur Verfügung ſtanden. Mit dem zähen Eigenſinn, der Friedrich manchmal einen Streich ſpielte, war in ihm aber der verderbliche Ent⸗ ſchluß erwacht, ſein Schickſal in die Schranken zu for⸗ dern. Allerdings muß man es dem großen König zugute halten, daß wirklich jetzt außerordentlich viel an einer Entſcheidung gegenüber Oeſterreichgelegen war, da die Fran⸗ zoſen von Weſten und die Ruſſen von Oſten her auf ſeine Stammlande zudrängten! Hatte er Daun— ſeinen Haupt⸗ gegner— erledigt, ſo wollte er ſich jener anderen Feinde auch wohl erwehren! So kam der 18. Juni heran. Beſtärkt wurde Fried⸗ rich in ſeinem Angriffsentſchluß dadurch, daß am frühen Er wurde vor 170 Jahren, am 22. Juni geboren. Wer einmal die Berliner Prunkſtraße„Unter den Lin⸗ den“ entlang gegangen iſt und ſich recht bewußt dort um⸗ geſchaut hat, iſt der ruhmreichen Geſchichte Preußens und des Reiches nähergekommen, als wenn er dickleibige Werke der Geſchichtskunde ſtudiert hätte. Denn hier offen⸗ bart ſich in zahlloſen Gebäuden die preußiſche Hiſtorie durch das Andenken an unſeres Staates größte Söhne! Aus Stein und Erz, aus den Denkmälern deutſcher Füh⸗ rer vergangener, unvergänglicher Jahrhunderte lieſt der Leſekundige und Lernensfrohe die Kunde von den Män⸗ nern, die vor ihm die gleiche Straße ſchritten. N Kaum haben wir das Rauchſche Denkmal Friedrichs des Großen paſſiert, da begrüßen uns vor dem Muſen⸗ tempel der Friedrich-Wilhelm⸗Univerſität zwei weiß⸗ leuchtende Bildniſſe. Es ſind die Gebrüder Humboldt! Trug der eine— Alexander— als Reformator der Natur⸗ wiſſenſchaften ſeinen Namen durch die Welt, ſo diente der ältere der Brüder dem deutſchen Volke nicht nur als Staatsmann und der deutſchen Kultur als Sprachforſcher und Philoſoph, ſondern der Welt auch als Gründer 1 ſerer größten deutſchen Bildungsſtätte. Gerade in den Jahren der Not und Schmach ſchuf Humboldt eie Hochſchule, von der zuerſt und am mächtigsten durch 95 Mund Fichtes und Schleiermachers der Ruf nach der Frei⸗ heit, nach der Erhebung der deutſchen Nation erfolgen ollte! Und bei dieſem Befreiungswerke hat Wilhelm von 55 neben 5 Freiherrn vom Stein allergrößten Anteil an der Erweckung der Nation. Was Stein politiſch, Scharnhorſt und Gneiſenau militäriſch, Arndt und Jahn volkstümlich ſchufen, wurde durch Humboldt als Gelehr⸗ ten und zugleich als Unterrichtsdezernenten vervollkomm⸗ net. Humboldt ſicherte durch Sammlung einer völkiſch gleichſtrebenden Schar von Lehrern und Studenten die geiſtige Erhebung Preußen-Deutſchlands. Später war er auf dem Wiener Kongreß neben Metternich und Talley⸗ rand der bedeutendſte Diplomat. Als Geſandter und als Miniſter des Innern diente er dem Staate noch manches Jahr, bis ihn auf der einen Seite der Wunſch, ſeinen Studien zu leben, und das Gegenſpiel der Reaktion an⸗ dererſeits dazu beſtimmten, aus dem öffentlichen Leben auszuſcheiden. Unter dem Polizeiregime nach den Karls⸗ bader Beſchlüſſen von 1819 hatte ein freier und getreuer Geift wie der Wilhelms von Humboldt keine unverküm⸗ merte Wirkungsmöglichkeit mehr! Wir können dem Entſchluß Humboldts, ſich der Kunſt und Wiſſenſchaft ausſchließlich zu widmen, nur herzlich dankbar ſein. Sein Brieſwechſel allein iſt eine Fundgrube edelſter Geiſteskleinodien einer ohnehin überaus frucht⸗ baren Kulturzeit Deutſchlands. Hatte Humboldt Schiller als ſeinen beſten Freund zu früh betrauern müſſen, ſo iſt ſein Vermächtnis aus jener geiſtigen Epoche, die ihn des Umganges mit Weimars Größen in bevorzugter Weiſe teilhaftig werden ließ, überaus wertvoll. Goethe zählte ihn zu ſeinen Vertrauten! Der gebende Teil war oft Hum⸗ boldt, der als zugleich kühler Menſchenkenner und feuriger Kunſtfreund von ſeinen Weltfahrten prächtige Schätze an Beobachtungen und Darſtellungen für ſeine deutſchen Volksgenoſſen mitbrachte. Groß iſt Humboldts Einwir⸗ kung auf das Kunſtſchaffen ſeiner Zeit; noch größer viel⸗ leicht iſt ſeine förderliche Einwirkung auf das Kunſtver⸗ Moröòfall nach 20 Jahren neuaufgerollt Zwei Zeugen bezichtigen ſich des Meineids. Frankfurt a. M., 21. Juni. Im Auftrag der Staatsan- waliſchaft Frankfurt a. M. und in Verbindung mit dem Gauzägeramt für den Regierungsbezirk Wiesbaden hat ſich die Mordkommiſſion der Kriminalleitſtelle Frankfurt nach der Aufklärung des Mordes an dem Jagdhüter Hofmann in Köppern nunmehr zuſammen mit den örklichen Gendarme⸗ rie- und Polizeibeamten auch mit dem Mord an dem Jorſt⸗ meiſter Birkenauer aus Aſingen beſchäfkigt. Birkenauer wurde am 31. Oktober 1917 von Wil⸗ derern erſchoſſen und am 1. November 1917 in einer Futterraufe im Walde bei Oberhain im Taunus auf⸗ gefunden. Dringender Verdacht richtete ſich ſeinerzeit gegen den Wilhelm Mieger ſen. aus Köppern, der ſich mehrfach zum Wildern aus der Kaſerne in Frankfurt ent⸗ fernt hatte. Bei der Verhandlung vor dem Kriegsgericht in Frankfurt im Frühjahr 1918 wurde Mieger auf Grund der eidlichen Ausſage zweier Schutzzeugen freigeſprochen, die mit Mieger in der früheren Zeit gewildert hatten, aber nie⸗ mals eine Schrotflinte(Tatwaffe) geſehen haben wollten. Dieſe Perſonen haben nunmehr ein Geſtändnis abgelegt und den Wilderer Rieger ſen. als den Täter bezeichnet, der ſie auch zu dem Meineid angeſtiftet habe. Die 1 bemühen ſich zurzeit um die Wie⸗ derherbeiſchaffung der Mordwaffe, die durch mehrere Hände in Köppern gegangen iſt. Die Bevölkerung wird um Un⸗ terſtützung durch ſachdienliche Angaben gebeten, die an jede Poligeidienſtſtelle gegeben werden. ſtändnis der Nation. Ganz groß war ſeine Wirkſamkeit in Facharbeit als Staatsmann, in wiſſenſchaftlicher Berufung als Sprachforſcher, Philoſoph und Aeſthetiker vor allem deshalb, weil Humboldt ein Menſch war, dem man— ſo⸗ weit der Menſch dazu gelangen kann!— eine geiſtige und ſittliche Univerſalität zugeſtehen muß. Wilhelm von Hum⸗ boldt iſt vielleicht der idealſte Typus des hochgebildeten Kulturmenſchen, den ſich der ſchaffende Künſtler wünſchen kann! Daß er ſelbſt künſtleriſch und wiſſenſchaftlich tätig war und den Beſten ſeiner Zeit Genüge tat, ja ſelbſt heute noch als kaum überbotener Erzieher der jungen deutſchen Nation angeſehen werden kann, vervollkommnet uns das Bild dieſes Deutſchmenſchen, der auch in ſeiner Lebens⸗ führung und Erſcheinung das ſchöne Kulturwort erfüllte: „Im geſunden ſchönen Leibe wohne eine edle und kräftige Seele!“ 25 Es kann niemals überflüſſig ſein, wenn man bei einem Menſchen, der durch vielfache Tore in die Welt ge⸗ treten iſt, die Frage nach ſeiner Heimatgebundenheit ſtellt. Ebenſowenig wie Goethe, der ganz eng deutſch verwurzelt iſt, iſt Wilhelm von Humboldt trotz aller Weltläufigleit Weltkind. Immer bleibt er Sohn ſeiner Nation, der er innig angehört. Als es ſich darum handelte, ſein Staats⸗ amt aufzugeben, ſchreibt er an ſeine Gattin Caroline kurz und ſchlicht:„Wenn ich meinen Abſchied nehme, ſo gehe ich nicht wieder in Dienſt. Denn ich diene einmal feſt und gewiß keinem anderen Lande wie Preußen!“ Und aus dem gleichen Jahre— es iſt das Notjahr. ſtammt die⸗ ſes Bekenntnis:„Es gibt doch nie ein Vaterland, dem man lieber angehören möchte, als Deutſchland“? 7 — e. ſebmss „Einen Schritt wei Sven Hedin in der Gefangenſchaft der Tibeter Auf nach Lhaſa! Das war die Parole der Expedition, die Hedin im Jahre 1901, nach der Entdeckung der ver⸗ ſchollenen Wüſtenſtadt Lou⸗lan, antrat. Es galt einen Einbruch von Norden her in Tibet und einen Vorſtoß nach der unzugänglichen, ſagenumwobenen Hauptſtadt des Dalai⸗Lama, des eigentlichen politiſchen und religiö⸗ ſen Beherrſchers von Tibet, einer Stadt, in die bisher noch kein Europäer gelangt war, und die aufzuſuchen, mit Ge⸗ fahren verbunden war—: Sven Hedin ſollte dieſe Ge⸗ fahren am eigenen Leibe zu ſpüren bekommen. Die Karawane beſtand aus dem ruſſiſchen Koſaken Sirkin, dem burjatiſchen Koſaken Schagdur, dem Mongo⸗ len Schereb Lama, einem tibetiſchen Mönch alſo, der ſich ſchweren Herzens entſchloſſen hatte, dem Europäer Sven Hedin, an dem er mit allen Faſern hing, in Verkleidung Zutritt nach Lhaſa zu verſchaffen, was ein todeswürdiges Verbrechen war...— ferner den Mohammedanern Nollah Schah und Li Loje, Hedin ſelbſt und einer großen Reihe von Tieren und Laſten. Mühſam kämpfte man ſich über die nördlichen Gebirge Nachdem man die mörderiſchen Höhen unter großen Ver⸗ luſten an Tieren hinter ſich gebracht, ſtieß man auf Weide⸗ land. Hier beſchloß Hedin, ſein„Hauptquartier“ zu er⸗ richten. Er ſelbſt verwandelte ſich in einen vollkommenen Mongolen mit langem Rock und nackten Beinen, fettver— ſchmiertem Geſicht, geſchorenem Haupt, gelber Mütze und Roſenkranz... Dann trennte ſich die Karawane: alles blieb zurück. Hedin, Schagdur und Schereb Lama zogen mit einigen Pferden und Maultieren allein weiter ſüd⸗ wärts, mongoliſche Pilger nach der heiligen Stadt. Schag⸗ dur war nach außen hin der Herr der kleinen Schar, Hedin nichts als ein unſcheinbarer Diener Schnell erkannt Hedin hatte nicht mit der unerhörten Wachſamleit der Tibeter gerechnet, die rings um ihr einſames abge⸗ ſchloſſenes Gebirgsland Wachen und Späher aufgeſtellt hatten und einen vorbildlichen Meldedienſt beſaßen, um jedwedem Fremden den Weg in ihr Gebiet zu verlegen. Dieſe Poſten nahmen zu an Stärke und Betriebſamkeit, je näher man gen Lhaſa kam. Zunächſt ſtieß man auf anſcheinend harmloſe Noma⸗ den, die ſich um die Pilger gar nicht lrümmerten. Später eke ata, baß des Näches das Suget bel bret ſtels be⸗ ſchlichen wurde— einmal geſchah ſogar ein Ueberfall mit dreiſtem Pferderaub. Das wahre Abenteuer aber begann 270 Kilometer entfernt vom„Hauptquartier“, In einer ſtockfinſteren Nacht beſchleicht einmal Schag⸗ dur ſeinerſeits ein tibetiſches Nomadenzelt— und er er⸗ fährt aus dem Geplauder der Belauſchten: die ganze Ge⸗ gend iſt längſt in Aufruhr; man weiß längſt, daß ein „Schwed⸗Peling“(ſchwediſcher Europäer) auf dem Weg nach Lhaſa iſt und daß eine große europäiſche Karawane, eine wahre Heeresmacht, die dem„Schwed-Peling“ ge⸗ höre, hinter ihm her nach Süden ziehe, um die heilige Stadt zu bedrohen. Alles iſt verraten— alles iſt aus... Tatſächlich er⸗ ſcheint plötzlich am Morgen ſchon ein tibetiſcher Offizier in Hedins Zelt und unterrichtet ihn: „Keinen Schritt weiter!— Gefahr!— Ihr bleibt ſo lange hier, bis der Gouverneur von Nalkktſchu, Kamba Bombo, einen Brief mit Verhaltungsmaßregeln ſchickt oder ſelbſt kommt und über euer Los beſtimmt! Bis da⸗ hin ſeid Ihr Gefangene!“ Er öffnete Hedins Zelt und wies hinaus. Da draußen verſammelten ſich von allen Seiten her kleine Gruppen, bis an die Zähne mit Speeren, Lanzen, Säbeln und lan⸗ gen Gabelflinten bewaffneter Reiter. Eine militäriſche Mobilmachung alſo in regelrechter Form, um Tibet vor einem mehr oder weniger eingebildeten feindlichen Ein⸗ fall zu ſchützen— man nahm nämlich an, daß Hedin und ſeine Begleiter nur die Späher einer großen feindlichen Heeresmacht ſeien, die von Norden her auf Lhaſa zuziehe. Wie Pilze ſchoſſen dieſe ſeltſamen Soldaten aus der Erde auf— und alſobald ſchien das letzte Stündlein der drei gefangenen„Pilger“ geſchlagen zu haben: die Rei⸗ ter ritten nämlich plötzlich in geſchloſſenen Gliedern und in wilder Karriere auf das Zelt der drei los, die ſchon ihre Waffen bereit hatten, auf das Schlimmſte gefaßt und gewillt, ihr Leben ſo teuer wie nur irgend möglich zu verkaufen. Die Tibeter näherten ſich mit markerſchüt⸗ terndem Geheul und ſchwangen mit drohenden Gebärden Lanzen und Speere über ihren Köpfen. Jetzt waren ſie dicht vor dem Zelt, im nächſten Augenblick mußten ſie gleich einer Lawine darüber hinwegfegen. Aber als ſchon die erſten Pferde die Gefangenen mit Schmutz beſpritzten, teilte ſich die Angreiferſchar; die eine Hälfte machte rechts⸗ um, die andere linksum kehrt, und beide Abteilungen kehrten wieder nach ihrem Ausgangspunkt zurück. Noch ein paarmal wiederholte ſich dies beängſtigende Mansver, das offenbar nur zur Einſchüchterung dienen ſollte. Dann ritt die ganze Kavalkade davon— in Wirk⸗ lichkeit aber wurde fortan das Zelt der Gefangenen in weitem Umkreis von einer ſtarken Truppenmacht Tag und Nacht bewacht; die„Pilger“ konnten ſich nie mehr weiter als höchſtens 50 Meter von ihrem Zelt entfernen. Seine Exzellenz Kamba Bombo Langſam vergingen die Tage— aber ſie mußten durchlitten werden, der heimliche Einbruch nach Lhaſa war auf verhängnisvolle Art mißglückt. 2. Bis endlich Seine Exzellenz der Gouverneur Kamba Bombo perſönlich heranzog mit einer gewaltigen Reiter⸗ ſchar und Fußſoldaten, großen Schaf- und Yakherden. Im Handumdrehen wuchs ein ganzes Zeltdorf in einiger Entfernung von den Gefangenen in der Richtung nach Lhaſa aus dem Erdboden hervor. Dann ſtürmten die Reiterſcharen heran, in ihrer Mitte Seine Exzellenz in prachtvollem Gewand, umgeben von ſeinem Stab, von Militär⸗, Zivil⸗ und geiſtlichen Beamten—: hoher Be⸗ ſuch bei den Gefangenen und hochnotpeinliche Unterſu⸗ chung zugleich, denn die Tibeter fürchteten tatſächlich einen Einfall von Norden her und glaubten, die drei„Pilger“ ſeien nur der Vortrab. Das Ende vom Lied, trotz aller Gegenbemühungen Hedins und Schagdurs—:„Ich tue meine Pflicht und habe meine Befehle vom Dalai⸗Lama ſelbſt.“ Dabei führte Seine Exzellenz die Hand, flach wie eine Klinge, an ſeinem Hals entlang.„Zurück in euer Hauptquartier— und dann über die Grenze! Ihr ſollt ſogar genug Pferde und Proviant von uns erhalten, ohne es zu bezahlen! Aber eine große Eskorte wird euch bis zur Grenze bringen!— Hier habt ihr nichts zu ſuchen!— Sonſt: Kopf ab!“ a Und dabei blieb es. Keine Gegenvorſtellungen hal⸗ fen, keinerlei Beteuerungen der friedlichſten Abſichten. Die drei„Pilger“ erhielten Pferde und Lebensmittel, erhiel⸗ ten eine fürſtliche Begleitmannſchaft, die in Wirklichkeit nichts darſtellte als eine Gefangenenwache. Dann ritt Kamba Bombo nach pompöſem und keineswegs unhöf⸗ lichem Abſchied von dannen, froh und ſtolz im Bewußt⸗ ſein erfüllter Pflicht und der Erwartung hoher Beloh⸗ nung durch den Dalai-Lama wegen ſeines energiſchen Abſchlagens eines„feindlichen Angriffes“ auf Lhaſa.— Den drei„Pilgern“ aber blieb nun wirklich nichts anderes übrig, als ſich rückwärts, zum Hauptquartier und dann über die tibetiſche Grenze, geleiten zu laſſen.. Das Abenteuer hätte noch weit ſchlimmer ausfallen kön⸗ nen— nämlich wirklich:„Kopf ab!“.— Weshalb denn Sven Hedins Troſtworte auf dem traurigen Rückmarſch zu ſeinem prächtigen Koſaken lauteten: „Ja, lieber Schagdur, Lhaſa haben wir nun zwar nicht zu ſehen bekommen; aber am Leben ſind wir doch wenigſtens noch und haben allen Grund, dafür dankbar ou fein, 8 Der eingemauerte Mönch Im Herzen Tibets, Jahre nach dem zuletzt erzählten Abenteuer, kurz nachdem er den allmächtigen Taſchi⸗Lama, oder tibetaniſch, Pantſchen Rinpotſche, beſuchte, iſt Sven Hedin dies begegnet, das er noch heute zu ſeinen er⸗ ſchütterndſten und unvergeßlichſten Erlebniſſen rechnet. Er befand ſich in dem wilden My⸗tſchu⸗Tal, an deſſen Hängen Kloſter auf Kloſter der Lamaiſten klebt. Mit ſei⸗ nen Begleitern lagerte er in einer Talweitung, wo eine Brücke von zehn Bogen auf elf Pfeilern über den My⸗ tſchu führte. In einem kleinen ſteilen Tal zwiſchen den Bergen weſtlich des Fluſſes, lag das merkwürdige Kloſter Linga⸗gumpa, das aus etwa 40 verſchiedenen Häuſern beſtand und wie alles andere in dieſer ganzen verſchloſ⸗ fenen Gegend vor Hedins großer Forſchungsreiſe ins Innere Tibets, die im Jahre 1906 begann, jedem Euro⸗ päer völlig unbekannt war. Zu dieſem Kloſter ſtieg er aufwärts, fand hier eine ſolch myſtiſche Stimmung und ſo viel fremden Zauber, daß er einige Tage blieb, wohl aufgenommen von den ſtillen, ewig betenden Mönchen. Er ſtieg dann zu dem kleinen Tochterkloſter Samde⸗ puk hinauf und beſuchte ſchließlich die Einſiedelei Dup⸗ kang, die noch ein Stück höher, am Fuß einer Bergwand lag. Die Hütte war aus mittelgroßen Steinblöcken er⸗ baut und hatte keine Fenſteröffnungen; ihr Eingang war zugemauert. Durch die Mauer ging eine Scharte, durch die man auf einem Brett Nahrungsmittel hineinſchieben 1 und auf dem Dach erhob ſich ein kleiner Schorn⸗ lein. In dieſer ſtockfinſteren Höhle war ein Lama ſeit drei vollen Jahren eingemauert, ohne daß er ſich jemals wäh⸗ rend dieſer ganzen Zeit der Außenwelt hatte mitteilen können! Der Eingemauerte von Duplang Drei Jahre, bevor Hedin dieſe Gegend aufſuchte, war er nach Linga gekommen, namenlos, keinem bekannt. Da die Grotte leer ſtand, legte er das grauſamſte aller Mönchsgelübde ab: ſich für den Reſt ſeines Lebens ein⸗ mauern zu laſſen Kurz vorher war ein anderer Einſiedler geſtorben, nachdem er zwölf Jahre in der Höhlenwohnung zuge⸗ bracht hatte, und vor dieſem hatte ein Mönch hier— 40 Jahre lang in der Dunkelheit gelebt. Im Kloſter Lung⸗gandän⸗gumpa, in deſſen Nähe ſich eine ähnliche Grotte befand, hatten die Mönche dem Forſcher von einem Eremiten erzählt, der ganz jung in die Finſternis eingegangen war und 69 Jahre lang von Welt und Licht abgeſchloſſen gelebt hatte. Als er nun ſein Ende nahen fühlte, hatte er der Sehnſucht, die Sonne noch einmal zu ſehen, nicht mehr widerſtehen können und das Zeichen gegeben, das die Mönche berechtigt, ihm die Freiheit zu ſchenken. Aber der Greis war völlig erblindet, und er war kaum in das Sonnenlicht hinausgekommen, als er zuſammenbrach und ſtarb. Kein einziger von den Lamas, 6 ö nx* Deffen ... Aufnahme: Scherl⸗Bilderdienſt— M. Sven Hedin während der Tibet⸗Durchquerung vor ſeinem Zelt. die ihn vor 69 Jahren eingemauert hatten, war damals noch am Leben. Der Einſiedler, der hier in der Höhle bei Linga⸗ gumpa wohnte und den Ehrentitel Lama Rinpotſche,„der heilige Mönch“, trug, ſollte gegen 40 Jahre alt ſein. Sicher war er in Betrachtung verſunken und träumte vom Nirwana. Die Buße, der er ſich freiwillig unterwarf, würde ihn von der Qual der Seelenwanderung erlöſen, und nach ſeinem Tod würde er unmittelbar in die ewige Ruhe eingehen, in die Vernichtung. Jeden Morgen wurde ihm eine Schale mit Tſamba hineingeſchoben. Waſſer lieferte ihm die Quelle, die im Inneren der Grotte aufſprudelte. Die leere Schale ſetzte der Eingeſchloſſene wieder hin, damit ſie aufs neue ge⸗ füllt wurde. Jeden ſiebenten Tag erhielt er etwas Tee und ein Klümpchen Butter und zweimal im Monat einige Stücke Holz, die er mit Hilfe ſeines Feuerſtahls zum Brennen bringen konnte. Der Lama, der ihm täglich die Nahrung bringt, weiß, daß er ſich ewige Verdammnis zuzöge, wenn er durch die Scharte mit ihm zu reden ver⸗ ſuchte— und ſchweigt. Falls der Eingemauerte jedoch mit dem dienenden Bruder ſpräche, würden ihm die Jahre der Einſamkeit und Betrachtung, die ſchon ver⸗ floſſen ſind, nicht als Verdienſt angerechnet werden. Eines Tages iſt die Tſambaſchale unberührt. Da weiß der draußenſtehende Mönch, daß der Eingeſchloſſene ent⸗ weder krank oder tot iſt; er ſchiebt dann das Gefäß wie⸗ der hinein und geht, in ſchwermütige Gedanken verſunken, davon. Wenn die Speiſe auch an den folgenden Tagen unberührt bleibt, bricht man am ſiebenten Tag die Grotte auf; denn dann kann man ſicher ſein, daß der Einſame in der Dunkelheit geſtorben iſt. Der Tote wird hinaus⸗ getragen, und ſeine irdiſche Hülle wird im Feuer vernich⸗ tet wie die der Heiligen. „Hört er uns?“ fragte Sven Hedin die Mönche. „Nein“, antworteten ſie,„die Mauern ſind zu dick.“ Der letzte Gang Das Erlebnis der eingemauerten Mönche hat von all ſeinen Abenteuern mit den ſtärkſten Eindruck auf Sven Hedin gemacht— allein aus dieſem Grund ſchon darf es hier nicht fehlen. Seltſame Gedanken erfüllten mich, ſo bekennt er in ſeinem bei F. A. Brockhaus erſchienenen Werk„Mein Leben als Entdecker“. Der Menſch dort drinnen, nur wenige Schritte von mir, beſaß eine Willenskraft, mit der verglichen, alles andere unbedeutend erſcheint. Er hatte der Welt entſagt, er war ſchon tot, er gehörte der Ewig⸗ keit an. Der Soldat, der dem unentrinnbaren Tod ent⸗ gegengeht, iſt ein Held, aber er ſtirbt ſogleich. Der Lama Rinpotſche lebt körperlich jahrzehntelang, und ſeine Lei⸗ den dauern an, bis es dem natürlichen Tod gefällt, ihn zu befreien. Unauslöſchlich iſt ſeine Sehnſucht nach dem Tod. Das Bild des Lama Rinpotſche hielt mich mit un⸗ widerſtehlicher Macht in ſeinem Bann. Ich glaubte, ihn vor mir zu ſehen, wie er das erſte und letzte und einzige Mal in ſeinem Leben in feierlicher Prozeſſion, geleitet von den Mönchen, talaufwärts wanderte auf dem Wege zur Grotte. Schweigend ſchritten ſie dahin. Er fühlte die Wärme der Sonne und ſah die ſonnenbeſchienenen Felder auf dem Abhang, ſah ſeinen eigenen Schatten und die der anderen auf dem Boden. Niemals mehr würde er das Spiel von Licht und Schatten erblicken, denn er würde bis zu ſeinem Tode in undurchdringlicher Finſternis leben. Zum letztenmal ſah er den Himmel und die dahineilenden Wolken, die Berggipfel und ihre ſchimmernden Schnee⸗ felder.— En de.— Die Jugend von heute iſt der St aat von morgen. ö ee e oc r Pee A 2 ν ſe SSE 80 t + 2