f. „ ö Nr. 281 Reckar⸗Bote(2. Blatt) Oonnerstag, 28. November 1940 — Englands„neues Europa“ Die engliſchen Plutokraten haben offenbar das Gefühl, daß ſie irgend etwas unternehmen müßten, um das Volk zu beruhigen. Man kann das verſtehen, denn wenn man immer wieder melden muß, Deutſchland habe dies und je⸗ nes getan, muß allmählich auch„der Mann auf der Straße“ dahinter kommen, daß nicht England, ſondern Deutſchland das Geſetz des Handelns diktiert. Aber dieſe Meinung, obwohl ſie richtig iſt(oder gerade deshalb!) darf in Enaland nicht aufkommen. Sie könnte nämlich die Stimmung die ohnedies nicht mehr gerade roſig iſt, noch weiter verſchlechtern. Alſo muß etwas geſchehen. Man muß der politiſchen Aktivität Deutſchlands irgend etwas entge⸗ genſtellen. Aber was? Die Sache iſt recht ſchwierig. Des⸗ halb verfällt man auch auf ſo eigenartige— man könnte auch ſagen: ſo ſpaßige— Pläne, wie ſie die„Newyork Ti⸗ mes“ jetzt ankündigt. Da ſitzen nämlich in London einige beſchäftigungsloſe Leute herum, die ſich als tſchechiſche und als polniſche„Regierungen“ bezeichnen. Und mit dieſen „Regierungen“— ſo meldet die„Newyork Times“ aus London— plane die engliſche Regierung eine„Konferenz“, um eine Antwort„auf Hitlers ſogenannte Neuordnung Europas“ zu geben. Eine Konferenz von„Regierungen“, die gar keine mehr ſind! Wer lacht da nicht? Wie man ſich nun in England die Neuordnung Euro⸗ pas denkt, geht aus einem Rundfunkvortrag hervor, den der engliſche Journaliſt Montgomery im Auftrage des bri⸗ tiſchen Informationsminiſteriums hielt. Montgomery ſagte, daß die in London vereinigten Emigranten, regierungen“ jetzt ſchon Vorbereitungen träfen, um ihre gute Zuſammen⸗ arbeit mit England auch für die Nachkriegszeit ſicherzuſtel⸗ len.„Dieſe Regierungen vereinigen ihre wirtſchaftlichen und militäriſchen Reſerven. Sämtliche Flotten werden zu einer gemeinſamen Handelsflotte verſchmolzen“, erklärte er. Wenn das in der Tat eintreten würde, dann hätte England allerdings ſeinen ſehnlichſten Wunſch erfüllt, denn dieſes Zukunftsbild geht offenſichtlich darauf hinaus, daß die Flotten ſelbſtverſtändlich unter Englands Führung ver⸗ ſchmolzen werden ſollen und daß England damit auch wirt⸗ ſchaftliche und militäriſche Reſerven aller europäiſchen Völ⸗ ker in der Hand haben würde. Dann ſchwatzte Montgomery allerlei zuſammen, was erkennen läßt, wie tief die maß⸗ gebenden Leute drüben noch immer an längſt überholten kapitaliſtiſchen Begriffen feſthalten. Im ſelben Atemzug erklärte Montgomery allerdings auch, daß es notwendig ſei, daß die Welt auch für den einfachen Mann ein beſſerer Aufenthaltsort werden müſſe und daß zu dieſem Zweck der einfache Mann zwei Formen der Sicherheit beanſpruchen könne. Er müſſe ſeinen Lebensunterhalt verdienen können, um ſeine Familie ernähren zu können, und er brauche wirtſchaftliche Sicherheit. Dieſe beiden Forderungen ſind in Deutſchland durch den Nationalſozialis⸗ mus auch für den einfachſten Mann längſt nicht nur eine Zukunftsmuſik, ſondern Wirklichkeit geworden. Deutſchland gehört zu den wenigen Ländern, in denen es keine Ar⸗ beitsloſigkeit mehr gibt, wogegen England auch heute noch trotz aller Anſtrengungen über 600 000 Arbeitsloſe hat. Die Erklärung hierfür liegt ganz einfach darin, daß zwei ſo ent⸗ gegengeſetzte Intereſſen, wie die primitivſten Lebensanfor⸗ derungen des einfachen Mannes und die ſchrankenloſe Ge⸗ wing des lberglen Kapitalismus, die. Montgomern lich auch für die Nachkriegszeit als Ideal hinſtellt, ausdrü unvereinbar ſind, Montgomery weiß das auch ſelbſt, denn ſo ganz nebenbei bemerkt er bezüglich der wirtſchaftlichen Sicherheit des einfachen Mannes, daß„dieſe nicht immer ganz leicht zu gewährleiſten ſei“. Daß nach engliſchem Wunſch ſich nach dem Kriege in Europa nach Möglichkeit nichts ändern ſoll, läßt Mont⸗ gomery am beſten dadurch erkennen, daß er zum Schluß ſeines Planes über das neue Europa ausführt, daß in die⸗ ſem Europa„eine Art von Schutzmann, der an der Ecke Europas ſteht“ eingeführt werden müſſe, wobei aus ſeinen Ausführungen deutlich zu entnehmen iſt, daß er dieſe Rolle des Schutzmannes ſelbſtverſtändlich England zugedacht hat. Der engliſche Schumann über Europa— das alſo iſt, was die engliſchen Plutokraten erſtreben, oder wieder erſtreben, denn bis zu dieſem Krieg war es ſa ſo. Aber ſie werden dieſes Ziel nicht erreichen. Die Völker des europäiſchen Kontinents laſſen ſich nicht mehr ans britiſche Gängelband nehmen. Die Schattenregierungen, die da noch in London herumſpuken, haben dieſen Völkern nichts mehr zu N Und die Herren Plutkokraten an der Themſe auch nicht! Aber dieſe ganzen Sprüche werden ja— wir ſagten es ſchon— nur gemacht, um dem eigenen Volk Sand in die Augen zu ſtreuen. Daß man in den eingeweihten Krei⸗ ſen die wirkliche Lage Englands durchaus richtig ſieht, geht wieder einmal aus Aeußerungen hervor, die Lord Lothian, der britiſche Botſchafter in USA, gemacht hat, als et nach einem Beſuch in London wieder noch Amerika zuräckge⸗ kehrt war. Er ſagte nämlich zu den amerikaniſchen Jour⸗ naliſten, die ihn empfingen, England brauche jede Art von Kriegsmaterial, 3. B. Munition und Schiffe. Die England zur Verfügung ſtehenden Mengen an Gold und Wertpapie⸗ ren ſeien ziemlich erſchöpft, ſo daß das Finanzproblem dringlich werde.„Das nächſte Jahr wird hart und ſchwierig werden. Je mehr Lieferungen wit von den Vereinigten Staaten erhalten, deſto beſſer wird es ſein.“ 8 Das klingt denn doch wohl etwas anders als die Be⸗ richte, die man in London amtlich auszugeben oder durch⸗ zulaſſen pflegt. England iſt ſo weit, daß ſein Botſchafter in Amerika betteln muß. Darüber werden ſich auch die amerikaniſchen Kriegs lieferanten, L Lothian Honig um den Mund ſchmierte, mit der Verſiche⸗ rung, man empfinde in England Genugtuung über die amerikaniſche Unterſtützung und niemand denke, daß dieſe Unterſtützung ungenügend ſei, keiner Täuſchung mehr hin: geben Und die amerikaniſchen Kriegslieferanten werden ſich auch ihre Gedanken darüber machen, wenn ſie ſegt hören, wieviel und wie dringend London weitere Liefe⸗ 10 braucht, und wie wenig es davon noch bezahlen ann. Die Erklärungen des britiſchen Botſchafters in USA klingen auch anders als die Behauptung des früheren bri⸗ tiſchen Generalſtabschefs Sir Cyrill Deverell, daß man in England zurzeit alle Vorbereitungen treffe, um eines Ta⸗ ges mit einer Offenſive zu beginnen.(11) Dieſe Be⸗ auptung wurde in einer engliſchen Provinzſtadt in einer ede zur Eröffnung einer„nationalen Sparwoche“ aufge⸗ tellt. Mit ihrer Hilfe hofft man alſo, dem engliſchen Volk ie letzten Groſchen aus der Taſche zu locken für die Koſten des Krieges, den die Londoner Plutokraten ſelbſtverſtänd⸗ lich nicht ſelbſt zu finanzieren gedenken. Während aber der abgeſägte Generalſtabscheſ von einer Offenſive phanta ert, um das englische Volk über ſeine wabre Lage zu täuſchen, denen Lord * 8 elge Mauer aus Blut und Stahl Erlobnisbericht von Kämpfen einer Diviſion der Waffen ⸗, in der Panzerabwehrſchlacht bei Arras 5 Von ½ Kriegsberichter Hein Schlecht NS. Es kam in der Panzerabwehrſchlacht bei Arras nicht allein darauf an, den Angriff feindlicher Panzer aozu⸗ wehren, ſondern zur gleichen Zeit die engliſchen und franzö⸗ ſiſchen Panzerkampfwagen in ihren Verſtecken und Hinter⸗ halten aufzuſpüren, zu ſtellen und möglichſt zu vernichten; eine Aufgabe, die von jedem einzelnen Kämpfer ein Höchſt⸗ maß an Kühnheit und ſoldatiſcher Einſatzbereitſchaft erfor⸗ derte. Starke feindliche Panzerkräfte hatten ſich in der Ort⸗ ſchaft Siemencourt eingeniſtet, und es gelang einem Stoß⸗ trupp der V⸗Pioniere und // Panzerjäger, die anzugreifen und größtenteils zu vernichten. Die erfolgreichen Gefechte in und um Siemencourt in der Nacht vom 21. zum 22. Mal hat⸗ ten weſentlichen Anteil am Scheitern des engliſch franzöſi⸗ ſchen Panzerdurchbruchs bei Arras. n * 8— 7 7 5 ele eh e eee ge wendigen Packt Aci ſpuren die kleinen igen 8 ge. Sie rollen auf ihren Gummirädern Erst jetzt t harm i wie Spielzeugkanonen hinterdrein. Erſt jetzt kommt den Männern ſo recht zum Bewußtſein, was es heißt, // Panzerjäger zu ſein. Sie gehen ganz nach vorn an den Feind, alles macht reſpektvoll Platz wenn ſie mit il ren Kanonen angeraſſelt kommen. Sie ſpuren es ſormlüch, wie den Kameraden von der Infanterie bei Panzergefahr ein Stein vom Herzen fällt, wenn ſie in ihrer Nähe in Stellung gehen. Jetzt können die feindlichen Stahlkoloſſe ruhig an⸗ rollen, ihr grimmigſter Feind— die kleine unſcheinbare Pak mit der ungeheuren Feuerkraft— iſt auf dem Plan. Die Wagenkolonne hat haltgemacht. Zur Rechten rum⸗ melt ferner Kanonendonner. Er wird von dem langgezoge⸗ nen, klagenden Brüllen der Kühe übertönt, die verlaſſen und mit vollen prallen Eutern auf den Wieſen ſtehen und den auf der Straße vorbeihuſchenden Schatten ihre Not zurufen. Vor ihnen glimmt Feuerſchein. Dort liegt die brennende Ort⸗ ſchaft Siemeneourt. Die Pioniere ſind von den Laſtwa⸗ gen abgeſeſſen und verſchwinden— mit Sprenamunition und Geräten ſchwer bepackt— geräuſchlos in der Dunkelheit. Die Pakgeſchütze und der MG⸗Trupp gehen in Stellung und beherrſchen die zum umkämpften Dorf führende Straße. Jetzt beginnt, wie ſchon ſo oft, das ſtundenlange, zermütr⸗ dende Warten. Aber es hilft nichts— zunächſt muß durch den Spähtrupp feſtgeſtellt werden, was in Siemencourt los iſt. Indeſſen hat der Kommandeur mit den Kompanie⸗ und Zugführern die Lage eingehend beſprochen: Es muß damit gerechnet werden daß ſtarke fein dliche Panzer⸗ kräfte verſuchen werden, in die Flanke der Diviſion zu ſtoßen. Der Feind will die Umklammerung ſeiner Armee verhindern und die im zügigen Vorgehen befindlichen deut⸗ ſchen Truppen abſchneiden und möglichweiſe vernichten. Das Geſetz des Handelns darf keinen Moment aus der Hand ge⸗ geben werden. Die Diviſion hat an ihrer Stelle mitzuwirken, den großen ſtählernen Ring um die vom engliſchen Expeditionsheer verſtärkte franzöſiſche Armee zu ſchließen. Der Vormarſch der Diviſion darf unter keinen Umſtänden aufgehalten oder unterbrochen werden. Für die Panzerjäger hat die Stunde der Bewährung geſchlagen. Es kommt auf jede Kompanie, auf jedes Palgeſchütz und auf jeden einzel⸗ nen Mann an. Der Kampf auf der Dorfſtraße Bevor der Kommandeur auf ſeinem B⸗Krad zum anderen cabin bgeehe ſteckt er ſeinen Männern noch rer grübelk noch eine ganze Zeit über ſeine Worte nach. Auch er ſpürt jetzt die Müdigkeit— ſie ſind ſetzt wieder mal 36 Stunden auf den Beinen. Stunden ſind vergangen; die mit einem Infanterieſpähtrupp verabredenen Leuchtzeichen ſind nes Motoxengeräuſch läßt aufhorchen. Die Armhanduhr zeigt 2.30 Uhr. In zwei Stunden wird es hell ſein. Auf der Straße taucht ſchemenhaft ein B⸗Krad auf, es iſt mit drei Soldaten beſetzt, und fährt in Siemencourt ein Es verge⸗ hen wieder zwanzig Minuten, dann werden die Giebel in der Mitte der Ortſchaft ſekundenlang durch grellen Feuerſchein taghell erleuchtet; ein dumpfer Einſchlag wummert herüher. Dort iſt alſo etwas im Gange. Anſcheinend haben die Pio⸗ niere eine geballte Ladung geſporfen: vielleicht iſt auch eine Mine hochgegangen. Jetzt ſcheinen auch Schüſſe zu fallen. Dann wird es wieder totenſtill. 3 Es iſt ſoweit. Langſam und nach allen Seiten ſichernd. taſten ſie ſich mit ibren Geſchützen durch die Dorfſtraße von Siemencourt. Die Sicht iſt ſchlecht— es iſt weder hell noch dunkel, Inmitten der Straße finden ſie ein zuſammenge⸗ ſchoſſenes B⸗Krad; es ſteht in einer großen Blutlache— darüber ein leblofer Körper. Ein toter Zugführer der Pio⸗ niere— er gehört zum Stoßtrupp—, vor wenigen Stunden haben ſie noch mit ihm geſprochen. Sie wollen ihn heraushe⸗ ben. Da kracht es und ballert es von allen Seiten, Die Männer kleben eine Sekunde lang hinter den Stahlſchildern ihrer Kanonen, an den Häuſerwänden und in Türffllungen; ſie erkennen in der Straßenbiegung, noch keine hundert Me⸗ ter entfernt feuernde Panzerkampfwagen die ſich unaufhaltſam auf ſie zuwälzen. Sie ſind haargenau auf dieſe Situation eingeſpielt. Jeder einzelne meiß genau was er in dleſer Lage zu kun hat! Und ſchon peikſcht der erſte Pakſchuß aus dem Rohr. Der zweite, dritte und vierte folat blitzſchnell hinterher. Ein Panzer raucht, brennt lichterloh der andere ſchiebt ſich ſchwerfällig rückwärts um dem mörderiſchen Pak⸗ feuer zu entgehen. Irgendwo geht eine geballte Ladung hoch. Aha— die Pionfere— ſie haben das Dorf faſt zur gleichen Zeit von der anderen Seite her erreicht. Und dann bricht es las! Weiße Leuchtkugeln ziſchen hoch. Gut getarnt ſtehende feindliche Panzerkampfwagen feuern mit ihren Kanonen und Maſchinengewehren von allen Seiten. Ein links flankierend ſchießender Panzer macht jede Bewegung der Männer unmöglich. Gottlob— die Pak iſt zur Stelle, ihre gelben Flammenpfeile treffen haargenau den ſtählernen Leib des Rieſen— er raucht, bleibt bewegungsſos liegen, iſt für immer erledigt. Die Pioniere laufen zur Straßenkreuzung vor. Dort ſteht das zerfetzte B⸗Krad mit ihrem darüber hängenden toten Zugführer— ein trauriges Bild. Sie können noch ſehen, wie die Pak den Kampf erneut aufnimmt— jetzt heißt es auch für die Pioniere, raus mit den geballten Ladungen und ran an die Panzer. Geballte Ladungen 5 Es iſt einem ½ Pionier tatſächlich gelungen hinter einer Buſchhecke am Gartenzaun entlang das unabläſſig feuernde Ungetüm anzuſchleichen und ihm mit einer geballten La⸗ dung ſauber und vorſchriftsmäßig die Gleiskette zu zerreißen. Und nun beginnt ein erbittertes Ringen zwiſchen W 2 3 geſteht der britiſche Votſchafter in u Sg, daß England we⸗ der Schiffe noch Munition noch auch Mittel zur Bezahlung von dringend benötigtem Kriegsmaterial hat, d. h., daß die Exiſtenz des britiſchen Empire davon abhängt, wie viel es ſich irgendwo in der Welt noch zuſammenbettelt. Und dieſe Herrſchaften wollen die Welt noch glauben machen, ſie könnten ein„neues Europa“ begründen? Ein Europa mit dem engliſchen Schutzmann, das in Wirklichkeit nur das alte, jetzt glücklich überwundene wäre? Nein, die Welt glaubt ihnen das nicht mehr! Ob es ihnen das eigene Volk noch glaubt? ſfänldig die Händgranaten in die Koppel Der Zugfüh: — Menſch und Maſchine. Der Panzer läßt ſeinen Mo⸗ tor auf volle Touren laufen, ohne ſich vom Fleck zu rühren. Er hat ſeinen kühnen Angreifer erkannt und beſchießt ihn aus allen Rohren. Eine kurze Feuerpauſe genügt. Die zweite geballte Ladung zerbirſt auf der Panzerkuppel: man ſieht, wie ſich der Panzerſchütze vergeblich bemüht, den verklemm; ten Turm zu ſchwenken. Der Pionier ſpringt heran und klopft mit dem Piſtolenſchaft an den Panzerdeckel. Mit ver⸗ biſſenen, pulvergeſchwärzten Geſichtern ſteigen die Franzoſen ar ein Kapitän und ein Feldwebel. Sie ſtellen ſich an die Wand— in der Meinung— die Deutſchen wür⸗ den ſie ſofort erſchießen. Ein dritter bleibt tödlich getroffen im Panzer liegen. Inzwiſchen haben ſich weltere Pan⸗ zer in zwei⸗ bis dreihundert Meter Entfernung aufgebaut und halten den Kampfplatz unter Feuer. Der Pionier⸗Zug⸗ führer läßt den Stoßtrupp mitten im Ort in Deckung gehen und durch Minen, Maſchinengewehr und Pak ſichern. Dann nimmt er ſich einen Pionier mit, ſchleicht ſich durch den ver⸗ wilderten Garten und läuft durch den Hof auf eine Torein⸗ fahrt zu. Er kommt gerade zurecht. Ein feindlicher Panzer raſſelt mit ohrenbetäubendem Lärm in ſchnellem Tempo vor⸗ über. Aus der ſchmalen Fenſterritze im Parterre des verlaſ⸗ ſenen Hauſes iſt deutlich zu ſehen, wie der Kampfwagen die Pak erkennt ſtehenbleibt und zurückſtößt. Verflucht— jetzt geht es um Sekunden. Ein Sprung an die Toreinfahrt, der Panzer kommt zum zweitenmal vorüber, und ſchon erreicht dung, daß ſein Wieder einer geſchafft Panzer von allen Seiten Inzwiſchen ſchleppen zwei Pioniere neue Sprengmuni⸗ tion herbei. Sie müſſen damit durchs Feuer laufen. Es war die höchſte Zet, denn ſchon iſt ein neuer Gegner aufgetaucht. Er hält ſich reſpektvoll auf der anderen Seite und ballert in die Gegend. Jetzt kommt es darauf an, ihn ins Schußfeld der Pak zu kreiben. Eine hierüber geworfene geballte La⸗ dung' macht ihn ſtutzig. Mehrere willkürlich in die Straße ge⸗ worfene 1 he Schuß heraus. heranſchleppen. Die blinkenden Lichtpünktchen der Pakge⸗ ſchoſſe ziehen ihre todbringende Bahn, und ein Panzer nach dem anderen hüllt ſich in das gefährliche graue Wölkchen, das den Durchſchlag der Granate kündet; ihre Explo⸗ ſion zerreißt die Eingeweide der ſtählernen Koloſſe und läßt ihre Beſatzung in Sekundenſchnelle verbrennen. Sie kömmen kratzend und ſchiebend auf allen Straßen und von allen Seiten angerollt, ihre gepanzerten Feſtungen arbeiten ſich im Schutz der Häuſerfronten langſam an ihren Gegner heran und überſchütten die nach allen Richtungen feuernde Pak mit einem Hagel von Granaten und Maſchi⸗ nengewehrgarben. Ein Geſchütz ſetzt aus. Ein Treffer hat ſcheinbar das Rohr angeſchlagen. Die Bedienung ſetzt alles daran, die Ladehemmung zu beſeitigen. Denn es geht um Tod oder Leben, um Sein oder Nichtſein. Der Gegner ſchießt gegen die ſteinerne Mauer im Hintergrund ſo daß den Pan⸗ zerjägern am Geſchütz nun auch von rückwärts her die Split⸗ ter um die Ohren fliegen. Ein Geſchützführer bricht tödlich getroffen zuſammen. Letzter verzweifelter Durchbruchsverſuch Es iſt inzwiſchen hell geworden. Die träge dahinſchwe⸗ bende Wolke des Pulvergualms bildet für die Kanonen die einzige Deckung. Während die Männer noch immer verzwei⸗ felt verfuchen, eine Granate mit Gewalt in das verbeulte Rohr zu preſſen, hat lich der Gegner eingeſchoſſen. Der La⸗ deſchütze iſt mehrfach verwundet— es iſt nichts zu mach em, ſie müſſen es aufgeben und in Deckung gehen. Und ſchon zerſchlägt ein Volltreffer ihr wackeres Geſchütz in Atome. Mit grimmiger Wut ſchießen die Kameraden an den übrig⸗ gebliebenen Geſchützen weiter; bis ein Treffer am Rohr auch eine zweite Pak außer Gefecht ſetzt. Doch auch dem Gegner ſind furchtbare Wunden geſchlagen. Sieben Panzer liegen auf der Strecke ihre Beſatzungen ſind größten⸗ teils verbrannt. Die feindlichen Panzer halten ſich jetzt zu⸗ rück, aber ſie können jederzeit aufs neue vorſtoßen. Die Mu⸗ nition iſt mittlerweile knapp geworden. In dieſer kritiſchen Situation kommt der Abteilungs⸗Funkwagen an⸗ gepreſcht. Es iſt rätſelhaft, wie er überhaupt heil durchge⸗ kommen iſt. Und ſchon haut der Funker auf die Taſte und alle 11 die Verſtärkung wird nicht lange auf ſich warten laſ⸗ en. Weitere Teile der inzwiſchen herangezogenen/ Panzer⸗ jäger ſtehen im Morgengrauen an der Straße Beaumetz.— Siemencourt in Deckung. Ein Spähtrupp meldet daß eine Welle franzöſiſcher Panzerkampfwagen im Begriff ſei, in die rechte Flanke der im Marſch befindlichen Diviſion einzufallen. Ihre Staubwolken ſind bereits auf zwei Kilometer Entfernung deutlich zu ſehen. Der Abtei⸗ lungskommandeur läßt ſeine Geſchütze vor dem Ort Siemen⸗ court tief geſtaffelt in Stellung gehen. Die feindlichen Pan⸗ zer greifen aus zwei Richtungen an und haben ein raſendes MG⸗Feuer eröffnet. Bei den Panzerjägern rührt ſich nichts, bis die Kampfwagen in die von ihnen gebildete Sackgaſſe hin⸗ eingeſtoßen ſind. Dann erzielt ein aus allen Flanken eröffne⸗ tes kurzes Pakfeuer eine geradezu mörderiſche Wir⸗ kung. Vierzehn leichte und ſchwerere Panzer wurden bin⸗ nen kürzeſter Friſt ohne weſentliche eigene Verluſte in dieſem Gefecht regelrecht zuſammengeſchoſſen. Die feindlichen Pan⸗ zer ſetzten zweimal zum Angriff an dann gaben ſie es endgültig auf. Ihr Durchbruch war abgeſchlagenl! Anekdoten Robert Schumann erhielt einmal in Bonn den Beſuch eines Freundes aus Köln. Man ſetzte ſich gegenüber. Schu⸗ mann blickte ſeinen Freund an, lächelte freundlich ſprach aber dein Wort. Der Freund; verſuchte mit allen Mitteln, eine Unterhaltung in Fluß zu bringen— vergeblich. Schließlich ſtellte er ſeine Bemühungen ein, da Schumann anſcheinend wieder einmal einen ſeiner Schweigetage hatte Noch eine Weile ſaß man ſo. Schumann pfiff leiſe eine Melodie vor ſich hin, die ihm gerade durch den Sinn ging. Endlich erhob er ſich, gab dem Freunde die Hand zum Abſchied und ſagte: „Wenn ich demnächſt nach Köln komme, werde ich mir erlau⸗ ben, Sie zu beſuchen!“ Ernſthaft entgegnete der andere:„Das ſollte mich von Herzen freuen! Dann haben wir wenigſtens Gelegenheit, uns wieder einmal ordentlich miteinander aus⸗ zuſchweigen!“ * Ein keicher Protz bemerkte einmal in Herders Gegenwart in der Abſicht, mit dem Dichter ſeinen Spott zu treiben: „Das eine habe ich mir vorgenommen: Sollte ich jemals einen dummen Sohn haben, ſo laſſe ich ihn Dichter werden!“ Ohne eine Miene zu verziehen, antwortete Herder:„Na, mir ſcheint. Ihr Vater hat anders gedacht!“ Der Komponiſt Bernhard Scholz war mit Brahms eng befreundet. Einmal legte Scholz dem Meiſter ein neues, von ihm komponiertes Muſfikſtück mit der Bitte um Beurtei⸗ lung vor. Brahms ſchaute ſich die Arbeit lange und ein⸗ gehend an. Dann befühlte er prüfend das Notenpapier und ſagte:„Nun, verrate mir mal, Bernhard, woher du eigentlich dieſes ausgezeichnete Notenpapier bezjeblt!“ 5 N 7 9——+—v— 1 * 1 3 3 „Eeichte Fracht“ erobert den Suezkanal Wie England die Mehrheit der Kanalaktien erſchlich. Von Karl Ey. Als ſich der Earl von Beaconsfield, der Jude Dis⸗ raeli, am 5. Januar 1874 bei der Königin Victoria melden läßt, ſchickt die engliſche Herrſcherin ihr Gefolge mit einer ungeduldigen Handbewegung aus dem kleinen Audienz⸗ ſaal des Buckingham⸗Palaſtes. Die Queen liebt es, mit ihrem Premierminiſter vertraulich zu verhandeln. „Die indiſche Frage“, beginnt die Königin haſtig und legt ihre Hände um das ſchwere geſchliffene Glas, das immer in ihrer Nähe ſteht.„Sie bringen Depeſchen, Mylord?“ Disraeli ſchüttelt den zuckenden Kopf. Unaufgefordert nimmt er der Königin gegenüber Platz. Faſt ſagt er: „Ihr Weg zum indiſchen Kaiſerthron geht über den Suezkanal, Madame. Ismail Paſcha, der Vizekönig von Aegypten, hat heute noch die Aktienmehrheit, und der flüſternd Pariſer Baron Rothſchild hat Seine Hoheit feſt in der Hand. Wenn der Vizekönig ſeine Aktien abſtoßen muß, dann fürchte ich, wird Frankreich uns zuvorkommen, wenn nicht——“ Die Königin macht eine heftige Kopfbewegung; un⸗ willig ſtößt ſie hervor:„Aber wozu haben wir denn— pardon— unſere eigenen Juden? Der Vizekönig iſt ein unheiliger Menſch, aber man muß ihn bei ſeinen Schwächen faſſen. Vorſchläge, Mylord, Vorſchläge!“ „Sehr wohl, Madame. Wir müſſen unſere Geld⸗ vekleiher in der Nähe des Vizekönigs von Aegypten haben und eine Anzahl engliſcher Damen, die dafür ſorgen, daß das Geld auch ausgegeben wird.“ Man fieht es dem kleinen Dampfer„Celeſte“, der einige Wochen ſpäter unter griechiſcher Flagge durch die Straße von Gibraltar fährt, beſtimmt nicht an, daß er die Bahnbrecher an Bord hat, die für die engliſche Königin den Weg zum indiſchen Kaiſerthron und für die engliſchen, Geldſäcke der Londoner Eith den Schleichpfad zu den noch nicht völlig geplünderten Reichtümern eines 300-Millio⸗ nenvolkes ebnen ſollen. Sie ſind die einzigen Paſſagiere auf dieſer Arche Albions— neun Männer und ſiebzehn Frauen. Die Männer haben die träge augenblinzelnde Ruhe des Orien⸗ talen. Wenn ſie im Salon zuſammenſitzen und mauſchelnde, luſchelnde Geſpräche führen, dann jagen die Finger wie flinke Ratten über weißes Papier und lange Zahlenreihen entlang. Von den Frauen— meiſt jungen Chanſonetten aus Londoner Singſpielhallen— ſieht man nicht viel. Sie ſiegen ſeekrank in ihren Kabinen oder laſſen ſich von Kairo erzählen und von dem glänzenden Märchenhof, den der berſchwenderiſche Ismail Paſcha in ſeinen Paläſten am Nil führt. einer ſpaniſchen Jüdin einquartiert worden, die neun Männer haben britiſchen Konſulat deponiert. n nach wenigen Wochen ſcheinen ſie gefunden zu haben, was ſie ſuchten. In Port Said, in Kairo und Suez werden Banken eröffnet, ägyptiſche Offiziere und hohe Beamte, die ſeit Monaten keinen Sold aus der immer magerer werdenden Schatulle des Khedipen geſehen haben, gehen in dieſen Banken ein und aus. Die neuen Bank⸗ firmen geben Kredite, ſie bevorſchuſſen die Gehaltsforde⸗ rung an den Khediven und den Staat, ſie zahlen ſofort und nehmen 30 Prozent Zinſen. Als die Kunde auch bis an das geldlüſterne Ohr Ismail Paſchas gedrungen iſt und der Schatzmeiſter des Herrſchers perſönlich die neuen Bankhäuſer beſucht, da werden über dieſen Kaſtellen des britiſchen Goldes auch endlich die Firmenſchilder angebracht: Frühling, Goſchen, Rothſchild. 5 Alles iſt bereit für den Zugriff auf den größten Schatz des Khediven, auf ſeine Suezkanalaktien. Nur die ſiebzehn engliſchen Mädchen waren noch in der dumpfen Penſion der ſpanioliſchen Jüdin und hören kichernd den Unter⸗ richt an, den ihnen ein grinſender Eunuch, den die Bank⸗ firma Frühling, ſeiner Erfahrungen im Harem des Khediven wegen engagiert hat, täglich erteilt. 0 Um die Mitte der ſiebziger Jahre des vorigen Jahr⸗ hunderts zählt die Hofhaltung Ismail Paſchas zu den verſchwenderiſchſten der Welt. Eine⸗ Feſtlichkeit von un⸗ erhörter Pracht jagt die andere, In den Nächten ſprüht der dunkle Himmel wider von den koſtſpieligen Feuer⸗ werken, den Harem bewohnen die ſchönſten Frauen der orientaliſchen Welt. —— war ſo allein! Roman von Ir. Lehne. 1 66 „Sind es die Aerzte nicht oft auch, müſſen ſie es nicht ſein, wenn ſie eine Heilung erzielen wollen? In unſerem Alter haben wir beſcheiden zu ſein! Nehmen Sie das große Glück, das Helga Ihnen gab, als ein Geſchenk der Götter, als einen ſchönen Sonnenuntergang, der den Tag verklä⸗ rend abſchließt, und ſeien Sie glücklich in der Erinnerung. Stören Sie Helga die mühſam erkämpfte Ruhe nicht wie⸗ der; bleiben Sie für immer aus ihrem Leben. Man ſoll da, was zerriſſen war, nicht wieder neu knüpfen; vielleicht würden Sie eines Tages den Knoten ſchmerzlich fühlen müſſen. Man geht keine Wege zurück!“ Während Friedrich Weitbrecht mit ſeiner guten war⸗ men Stimme ſo überzeugend ſprach, ſaß Klemens Falke in beinahe teilnahmsloſer Haltung da, das Geſicht in der Hand vergraben, in trübes Sinnen verloren. Er hörte wohl gar nicht, was der andere ſagte. Schweigen hing laſtend im Raum. Angetrunken ſtand der Wein im Glaſe. Man hatte noch kein Licht gemacht. Die Bogenlampe vor den Fenſtern warf ihren Schein von der Straße her in das Zimmer, genug, um Friedrich Weitbrecht zu zeigen, wie blaß und verſtört das Geſicht des Freundes war, der ſich jetzt langſam erhob. In dieſem Augenblick hob die große Standuhr an zu ſchlagen. Sieben volle Töne fielen ſchwer in die Stille. Bei⸗ nahe erſchreckend. 5 ö „Abend!“ Mit ſpröder Stimme ſprach Klemens Falke dieſes Wort. Wie ein Schickſal klang es. Er machte eine abſchließende Handbewegung. Einen Augenblick ſtand er regungslos. In der nächſten Sekunde Ein wimmelnder Hofſtaat von Beamten, Verwandten, Scharlatanen und Betrügern umgibt den Khediven, der täglich den Reichtum ſeines Landes mit vollen Händen ausſtreut und täglich um neue Gelder verlegen iſt Ismail Paſcha war ſofort einverſtanden, als franzö ſiſche Kapitaliſten unter Leſſeps ihm das Projekt des Suez⸗ anals unterbreiteten, und hatte ſich mit weltmänniſcher Klugheit 51 Prozent, alſo die Mehrheit der Aktien dieſer größten Goldgrube in der Wirtſchaftsgeſchichte aller Zei⸗ ten, die bis vor kurzem noch müheloſe Milliardengewinne abwarf, geſichert. In ſtetem goldenen Strom fließt ſein Gewinnanteil in ſeine Schatulle, in ſtetem Strom ſickert er wieder in die offenen Hände der Schmeichler und Betrüger, die ihn um⸗ geben. Oft mußten die öffentlichen Kaſſen des Landes leiden, die Soldaten und Beamten ſich auf Monate hinaus vertröſten laſſen. Als Lady Jeſſe Orsley, die Gattin eines durchreiſen⸗ den hohen britiſchen Offiziers der indiſchen Armee, von dem Khediven durch ſeinen Harem geführt wird, gelingt es ihr, den Geſchmack des Fürſten auf europäiſche Frauen zu richten. „Ich wußte zufällig von einer Schar reizender Eng⸗ länderinnen“, ſchreibt die Lady in ihrem in Amerika er⸗ ſchienenen Buche„Auf den Wegen nach Indien“,„die nur auf das Glück hofften, von Ismail Paſcha aus⸗ gezeichnet und belohnt zu werden. Beim Beſuch des Bankhauſes Salomo Frühling hatte man mir von dieſer hübſchen Ueberraſchung für den Khediven erzählt. „Hier“, meinte Ismail Paſcha und zog einen koſt⸗ baren Ring vom Finger,„eine kleine Aufmerkſamkeit für Ihre Belehrung, Madame. Ich werde mit den Herren der Bank ſprechen.“ Ich weiß leider nicht, wie ſich dieſe Verhandlungen und dieſer galante Handel entwickelten. Frühling aber mußte zufrieden geweſen ſein mit meiner Anregung, denn von dem Bankhaus wurde mir ein Ring zuteil, der an Koſtbarkeit dem des Khediven nicht nachſtand.“ Mit dem Einzug der ſiebzehn jungen Engländerinnen in den Harem des Khediven erhält die britiſche Partei am Hofe des ägyptiſchen Herrſchers die Oberhand. Noch ſind es freilich nicht die rotröckigen Offiziere Ihrer Majeſtät, die aalglatten Diplomaten des britiſchen Außenamtes, die jüngeren Söhne des hohen Adels, die ſich an den Hof von Kairo drängen. Es ſind immer noch die von Disraeli entſandten Finanzjuden, welche Ismail Paſcha umlagern, ihm! rieſige Summen zu 30 bis 60 Prozent Zinſen aufdrängen, ihn mit Klageandrohungen und britiſchen Kriegsſchiff⸗ demonſtrationen ängſtigen, wenn er nicht zahlt, und ihn ſchließlich in der kurzen Zeit von wenigen Monaten zum Verkauf ſeiner Aktienmajorität der Suezkanalgeſellſchaft an ein engliſch⸗jüdiſches Konſortium zwingen. Im Sommer des Jahres 1875 muß Ismail Paſcha ſeine Aktien abtreten. Der franzöſiſche Finanzeinfluß auf Aegypten iſt ausgeſchaltet. Engliſche Kriegsſchiffe gehen vor Aleſſandria vor Anker, um die Küſte niemals wieder zu verlaſſen. 8 Gullivan findet Erz Aber heute iſt Calico eine ſterbende Stadt. In Amerika ſind ſoeben die Memoiren des erſten Ein wohners der einſt wektberühmten Erzminen⸗Stadt Calico Tommy Sullivans, erſchienen. Die abenteuerliche Ge⸗ ſchichte Calicos, dieſes Muſterbeiſpiel von In duſtrialiſie kung aus Profitſucht, lieſt ſich wie ein ſpannender Roman Dieſer Roman aber iſt wahr Acht Blockhütten umfaßt das Dorf, 37 Menſchen woh, nen darin, leben von Jagd und Fiſchfang, fühlen ſich wohl und glücklich in ihrem primitiven Daſein, als Tommr Sullivan und O'Kea weit außerhalb der Siedlung glän Als ein Jahr vergangen iſt und man 1904 N leben 4590 Menſchen im Ort, es gibt einen Bücgerneſe einen Sheriff, zehn berittene Poliziſten, ſechs Soldaten ein Rathaus— und das wichtigſte— das Calico⸗Erz. gruben⸗Syndikat. In den folgenden fünf Jahren wird eine Schule gebaut, ein Fußballplatz angelegt, ein Schwimmbad geſchaffen, ein Bahnhof errichtet, eine Tages. zeitung gegründet. Aerzte, Rechtsanwälte, Händler, Kauf. leute, Kinobeſitzer ziehen nach Calico, ſtaunen über daß Rieſenhotel mit ſeinen 225 Zimmern, über die ſchmuckey Straßen und Alleen, über die neuen Erzgeſellſchaften, die wie Pilze aus der warmen Erde ſchießen und alle glän⸗ zende Geſchäfte machen. Bei Ausbruch des Weltkrieges beſitzt Calico, einſt das Dorf der acht Hütten, 47 967 Ein wohner, Bars, Spielklubs, Kaffees, Weinlokale, ein Thea. ter, einen Zirkus, ein Vergnügungsviertel mit Tanz⸗ pavillons, Rutſchbahnen, Spielplätze und Würſtchenbuden Die Menſchen aber, auch die in den Arbeiterhäuſern ſchwimmen in einem unabläſſig fließenden Strom vor Geld, von Dollarnoten, mit vollen Händen ſtreuen ſie aus was ſie leicht verdienen, die Luxuslokale, die Gaſtſtätten verbuchen phantaſtiſche Einnahmen, die Spielklubs ſind belagert— Calico wird weltbekannt durch ſeinen Erz: reichtum, durch ſeinen ſchwindelnden Aufſtieg, durch das Steigen ſeiner Aktien, durch die Schilderungen der euro- päiſchen und amerikaniſchen Zeitungen, die der aufhor⸗ chenden ſtaunenden Welt erzählen, daß aus einem ſüdkali⸗ forniſchen Dörfchen innerhalb von zehn Jahren eine blühende In duſtrieſtadt entſtanden iſt, in der Geld weder bei reich noch bei arm eine Rolle ſpielt. Nur Tommy Sul⸗ livan und O' Kea gehen traurig umher und verwünſchen die Stunde, in der ſte das Erz gefunden das Erz, 1. Stadt glücklich machte und unglücklich machen bird. Weltkrieg! Goldene Zeiten für Amerikas kapitalien brechen an. Calicos Aktien Punkte, das Kapital muß erhöht werden, lichen Steigerung an Erzbedarf gewachſen Minen und Stollen werden in die Tiefe getrieben, eine neue Erzader geſucht. Doch ſie finden nichts mehr. Der Boden iſt erſchöpft, gibt nichts mehr her. Man hat ſich fürchterlich getäuſcht. Es iſt, als habe ein Fluch die Stadt der Erze getroffen; auch die alten Abbaufelder ſind unproduktiv. Lähmendes Entſetzen brei; tet ſich über Calico, als Tauſende von Arbeitern entlaſſen, Hunderte von Grundſtücken verkauft und vermietet, über⸗ all Möbel verladen und die Kinos, die Hotels, die Bars geſchloſſen werden. Die Natur, die 50 000 Menſchen in die ſe Stadt lockte, ſtößt ſie aus Calico heraus, denn die Natur iſt mächtiger als menſchlicher Ehrgeiz, menſchliche Tatkraft, Organiſationskunſt, ſie zwingt ihnen ihren Wil⸗ len auf. Und ſo wird es einſam in Calico: in den erſten ſechs Jahren nach Ausbruch des Weltkrieges wandern 30 000 Menſchen ab, die Straßen verkommen, die Häuſer ver⸗ fallen, die Waſſerleitungen berſten, die Büros leeren ſich, die Eiſenbahnen ſtellen den Betrieb ein, die beiden Zei⸗ tungen ſchließen, die Lebensmittelläden machen ſchließlich auch zu, und im Jahre 1926 iſt Calico, die weltbekannte und weltberühmte Stadt in Vergeſſenheit geraten. Wie Phönix, die Totenſtadt in Kanada, die heute verödet da⸗ liegt, wie Camberra in Auſtralien, das einſt die Haupt⸗ ſtadt dieſes Erdteiles werden ſollte und ſeinem Untergang entgegengeht, wie Großfontain, die Diamantenſtadt in Südafrika, ſtirbt alſo Calico den Tod aller Städte, di⸗ auf dem ungeſunden Boden der, Vrofitgier, der Habſucht des naclien Materialismus emporwuchſen und von einer Induſtrie abhängig waren, die lebensberechtigt und da⸗ ſeinsfähig hätten ſein können, wenn ſie dem Boden ver⸗ bunden geweſen wären. 45 Menſchen leben heute am Rande von Calico, ſie züchten ihre Aprikoſen, ſie begießen ihr Kraut und Ge⸗ müſe, ſie ſchauen auf die geſtorbene Stadt, auf die ver⸗ Rüſtungs⸗ ſteigen um 75 um der plötz⸗ zu ſein, neue zendes Geſtein finden, Geſtein, das jedem Hammer wider⸗ ſteht und ſchwer in den derben Fäuſten wiegt: Erz! Keine) von den Männern denkt an Gewinn, an Ausbeutung und Schürfung; aber ſie erzählen ihren Fund, berichten vor ihm in der 40 Kilometer entfernten Stadt, und ſie wun⸗ dern ſich, als knapp eine Woche ſpäter in ſauberen Pferde ö wagen gut gekleidete Männer erſcheinen, ſich einquartie⸗ ren, Eſſen und Trinken und Logis gut bezahlen und ihrer mitgebrachten Arbeitern Anweiſung gaben, mit der Arbei zu beginnen. Tagelang wird an den Stellen, wo Sulli⸗ van und O'Kea das Erz entdeckten, gebohrt, und gehack⸗ und gehämmert, werden bunte Stöcke in den Boden ge⸗ ſteckt, Zahlen geſchrieben, Meſſungen angeſtellt, Berech- nungen entworfen und verworfen. Und wieder eine Woch— ſpäter kommen neue Arbeiter und errichten ein Haus 0 bauen weitere Häuſer und fördern Erz, immer nur Erz 2— Er legte die Hand über die Augen, als ob die Flut de Lichtes ihn blendete, oder ſollte der andere das Naſſe in ſeinen Augen nicht ſehen?, 8 Die Nacht war lang für Klemens Falke. Stundenlang lief er am Ufer des Fluſſes auf und ab, ſtand auf der Brücke, in die toſende weiße Giſcht des eilig ſtrömenden Waſſers blickend, das, von ſteinernen Mauern eingeengt, gezwungen wurde, vorgeſchriebenen Wegen und Bahnen ſich zu fügen und nun trotzig dagegen aufbegehrte, aber er⸗ folglos. Das Bild der Geliebten ſtand lockend vor ihm. Sehn⸗ ſucht durchſchüttelte ihn, Sehnſucht nach den roten Lippen, die ihm letzte Seligkeit geſchenkt. und— wenn er nur wollte— war dieſes Glück noch nicht vorbei. Warum denn ſollte er verzichten! Jetzt ſchon? Sein Trotz bäumte ſich auf. 5 „Nein!“. Aber dann kam eine andere Stimme, die mahnte und drängte: 5 „Jugend gehört zur Jugend. Deine fünfzig Jahre müſ⸗ ſen zurücktreten. Das Schickſal hat es ſo beſtimmt; durch⸗ kreuze ſeine Wege nicht, da es dir in Geberlaune noch ein letztes köſtlichſtes Geſchenk gemacht. Sei glücklich in der Er⸗ innerung. Du haſt deine Arbeit; ſieh in ihr weiter deines Lebens Inhalt. Du kannſt vielen etwas ſein! And das iſt auch ſchön und beglückend für einen Mann!“ Schwer war der Kampf um ſein letztes Glück, auf das aber ein anderer ſchon ein Anrecht hatte. Doch er fand ſich zu ſich ſelbſt zurück; er wuchs über ſich 1 dem Befehl des Schickſals folgend und ihm ge⸗ orchend. In der Frühe des nebelverhüllten Herbſtmorgens ſchrieb er dem Freunde: „Verzichten müſſen iſt ſchwer, freiwillig verzichten noch ſchwerer, doch opfern gibt Kraft. Sie haben in allem Recht gehabt, lieber Freund. Der Tag gehört nicht mehr uns; flammten die Lampen des Zimmers auf er gehört den anderen. Fertig. Schluß. e i ſterbende Stadt“ ſagen; ſie weiß es. wüſteten Villen, die brüchigen Grubenſchornſteine, die ver⸗ laſſenen Förderanlagen, Sullivan, der 77jährige, aber. ſaß in ſeiner Hütte und ſchrieb ſeine Erinnerungen, die ein New⸗Norker Buchverlag jetzt unter dem Titel„Die an die Oeffentlichkeit bringt. Am er⸗ ſchütterndſten in ſeinem Lebensbericht wirkt der Satz: „Hätte ich doch nie das Erz von Calico gefunden! Viel 11165 und Enttäuſchung wären ſeinen Menſchen erſpart ge⸗ blieben f Altſtoffe ſammeln und durch die Schuljugend abliefern: auch eine kriegswichtige keiſtung der fieimat! e e Aber einmal werden Sie ihr noch von mir ſprechen, darum bitte ich. Es muß nicht jetzt ſein, nicht morgen. Viel⸗ leicht dann, wenn ſie ihr Erſtgeborenes auf den Armen hält. Daß ich ſie geliebt habe, brauchen Sie ihr nicht zu Aber daß ſie den Mann über dem Weltmeer in Erin⸗ nerung behalten ſoll, das mögen Sie ihr ſagen. Ich ſprach Ihnen von Rio, daß ich zu dort Beziehungen be. Ich werde meine Zelte hier abbrechen und dort neu aufbauen, dazu bin ich noch nicht zu alt, und kann drüben meinem Vaterland vielleicht noch mehr und beſſer dienen als hier. So ſchnell als möglich werde ich alles einleiten; es wird bald geſchehen ſein. Meine Frau bleibt hier; es wird ihr an nichts fehlen! 5 Ich gehe mit einer, meiner Erinnerung! e Sie ſoll nicht mit leeren Händen in Ihr Haus kommen und zu dem künftigen Gatten. Auf meiner Bank werden für ſie achtzigtauſend Mark zur Verfügung liegen, die ſie verwenden ſoll wie ſie will. Sie werden von der Bank direkt hören. Wenn ich Deutſchland für immer verlaſſe, werden Sie noch erfahren, damit Sie einen einſamen Wanderer in Ge⸗ danken begleiten können. Möge das Leben der beiden jungen Menſchen zu einem Segen für Sie und für ſich ſelbſt werden! 5 Klemens Falke.“ Er trat an das Fenſter, ſtieß beide Fenſterflügel wett auf. Kühl ſtrömte es herein. f a Lange ſah er in das graue Wogen und Wallen, das ihm als ein Bild ſeines Lebens erſchien. Bald lichtete es ſich, wurde im vergeblichen Kampf mit der Sonne dünner, durchſichtiger, als ſilberner Schleier vor dem Tagesgeſtirn hängend, das auch dieſes letzte Hindernis überwand und nun freundlich ſeine Strahlen in mildem Glanz der herbſt⸗ lichen Erde ſchenkte. 5 i * Ende.— rPPffffßffßcff—————————————————— 2 FA Seeg: San e 8