Nr. 8 Neckar-Bote(2. Blatt) Mittwoch, 15. Januar 1958 genügen zwei Reglerungspräsidenten? vorschläge für eine einfachere und billigere Staatsverwaltung Stuttgart(Zst. Die Kommission von neun unabhängigen Verwaltungssachverstän- digen, die im Auftrag des Landtags Vorschläge für die Vereinfachung, Verbesserung und Ver- billigung der Staatsverwaltung ausgearbeitet at, bejaht in ihrem jetzt dem Parlament zu- geleiteten Gutachten grundsätzlich die Ein- richtung regionaler Mittelinstanzen. Die Mehr- heit dieser Kommission schlägt jedoch eine Beschränkung auf zwei Mittelinstanzen vor, deren Amtsbereiche sich mit den alten Län- dern Baden und Württemberg decken sollen. Die am 17. Juli 1957 bestellte Sachverstän- digen- Kommission hatte sich bei ihrer Arbeit von dem Grundsatz„so wenig Staat wie mög- Ach“ leiten lassen. Sie stellt in ihrem dem Landtag zugeleiteten Gutachten fest, daß dem Gesetzgeber und den Verwaltungsbehörden mit Recht der Vorwurf einer übersteigerten Vervollkommnung gemacht werde und emp- Hehlt Zurückhaltung sowohl bei der Schaffung neuer gesetzlicher Aufgaben als auch in der Intensität, mit der die Verwaltungsbehörden die gesetzlichen Aufgaben erfüllten. „Großkreise“ keine geeignete Form Der Ausschuß hatte unter anderem zu un- tersuchen, ob ein Ausbau der Landkreisver- Waltung die Regierungspräsidien überflüssig machen könnte. Nach seiner Ansicht kann je- doch der Grundsatz, daß die Ministerien regie- ren, aber nicht verwalten sollen, auch dann micht ohne Hilfe von Regierungspräsidien ver- Wirklicht werden, wenn die Landkreise als untere Verwaltungsbehörden zu„Großkrei- Sen“ erweitert würden. Als einen wesentlichen Gesichtspunkt für die Notwendigkeit regio- maler Mittelinstanzen nennt das Gutachten die Aufgabe, bei Interessengegensätzen, wie sie inerhalb des Bezirks einer Mittelbehörde so- Wohl in lokaler als auch in fachlicher Hinsicht Zuftreten können, ausgleichend zu wirken. Rationeller und sparsamer Von einer Beschränkung auf zwei Regie- rungsbezirke erhoffen sich die Sachverständi- gen, die für die Zweierlösung eintreten, eine Tationellere Verwaltung sowie Personalein- sparungen. Nach ihrer Auffassung spricht für die Zweierlösung auch der Umstand, daß viele rechtlich selbständige Verwaltungseinrichtun- gen, wie die Sparkassen- und Giroverbände, die Girozentralen und Landesversicherungs- Anstalten sowie die Gebäudeversicherungs- Anstalten, die Versorgungskassen für Ge- meinde- und Körperschaftsbeamte und die Landeskreditanstalten, nach den Grenzen der alten Länder Baden und Württemberg unter- gliedert sind. Wie die Regierungspräsidien sollen nach den Vorschlägen der Mehrheit der Sachverständi- gen-Rommission auch die übrigen selbstän- digen Mittelbehörden auf zwei verringert wer- den, Danach soll es künftig anstelle von drei Oberfinanzdirektionen, vier Oberschulämtern und vier Forstdirektionen nur noch jeweils zwei dieser den Regierungspräsidſen nicht un- terstehenden Landesmittelbehörden geben. Die Minderheit des Ausschusses, die für die Beibehaltung von vier Regierungspräsidien eintritt, befürchtet dagegen, daß die Aufgaben von zwei großen Regierungspräsidien nicht mehr im richtigen Verhältnis zu denen der Landesregierung stehen und daß sich daraus unter Umständen ein unerwünschter Dualis- mus ergeben könnte. Größe der Landkreise ist ausreichend Die durchschnittliche Größe der Landkreise hält der Sachverständigenausschuß für aus- reichend und zweckmäßig. Er regt jedoch an, die in der Größe unter dem Durchschnitt lie- genden Gemeindeverbände auf ihre Wirt- schaftlichkeit ind Leistungsfähigkeit zu über- prüfen. Für eine Ubertragung von Befugnis- sen der Regierungspräsidien auf die unteren Verwaltungsbehörden und Sonderbehörden eignen sich nach Ansicht der Verwaltungs- Sachverständigen alle Aufgaben, die einer- seits nicht für eine Mehrheit von Stadt- und Landkreisen einheitlich entschieden werden müssen, andererseits aber von den Behörden in der Kreisebene ohne Personalvermehrung erledigt werden können. Die Regierungspräsi- dien sollten ihre S Befugnisse von den obersten Landesbehörden, den Ministerien, übernehmen, Als Aufgabengebiete, die an die Mittelinstanzen delegiert werden könnten, nennt das Gutachten unter anderem Entschei- dungen über die Gewährung von Förderungs- mitteln des Landes und die Ubernahme von Bürgschaften sowie Befugnisse des Beamten- rechts. Sparanreize noch unvollständig Minister Dr. Lindrath in Heidelberg Heidelberg sw). Die steuerlichen Spar- anreize sind noch unvollständig und un- gerecht. Diese Ansicht vertrat Bundesminister Dr. Hermann Lindrath auf einer Veranstal- tung des Evangelischen Arbeitskreises der CD in Heidelberg. Es sei zum Beispiel falsch, sagte Dr. Lindrath, daß sich der Steuernach- laß beim Sparen nicht auf die Gröhße der Volks wirtschaftlichen Leistung, sondern auf die Höhe des Einkommens beziehe. Damit würden praktisch die höheren Einkommens- Klassen begünstigt werden. 7 Dr. Lindrath trat ferner für eine Anderung der Verwaltungspraxis bei Liegenschaften des Bundes ein. Land sollte auch gegen Geld zu verkaufen sein, meinte er. In der bisherigen Praxis, nur Land gegen Land zu geben, komme ein gewisses Mißtrauen gegen die Währung zum Ausdruck, zu dem keinerlei Anlaß bestehe. Die neuen Zweimarkstücke Geld, das bald in unseren Taschen klimpern soll! Das sind die neuen Zweimarkstücce, die im März von den Banken ausgegeben werden. 75 Millionen Stüc werden davon zur Zeit in den vier bundesdeutscken München, Hamburg, Stuttgart und Karlsruhe geprägt. Unser Bild aus der Hamburgischen Münze zeigt eine automatische Zählmaschine Munganstalten Wirlſcha tliches Energieangebot größer als 1957 Das Angebot an Energie wird im Jahre 1958 größer sein als die Nachfrage, weshalb mit einem Preisdruck gerechnet werden kann. Diese beruhigenden Schlußfolgerungen zieht das Bun- deswirtschaftsministerium auf Grund seiner jüngsten Berechnungen, die zur Aufstellung einer Energiebilanz geführt haben. Insgesamt wird für 1958 ein Angebot an Primärenergie(in Steinkohleneinheiten) von 198 Millionen Tonnen im Vergleich zu 190 Millionen Tonnen im Jahre 1957 erwartet. Obwohl für 1958 mit einem reich- lichen Energieangebot zu rechnen ist, sollte mit der vorhandenen Energie sparsam umgegangen werden. Aus dem Bundeswirtschaftsministerium verlautete hierzu, daß es sich bei dem errech- neten günstigen Angebot um eine kurzfristige Vorschau handelt. Eine Schlußfolgerung auf län- gere Sicht könne daraus nicht gezogen werden. Erstes deutsches Schiff mit Gasturbine Der 720 BRT große Trawler„Sagitta“, das erste mit einer Gasturbine getriebene deutsche Schiff, ist am Montag von der Bremerhavener Rickmers-Werft an die Hochseefischerei Busse in Bremerhaven abgeliefert worden. Das über 67 Meter lange und fast 10 Meter breite Schiff ist mit einer 1800 PS starken Gasturbine aus- gerüstet, die eine Geschwindigkeit von 15 See- meilen pro Stunde ermöglicht. Die„Sagitta“ ist ein sogenannter Heckfänger, bei dem das Fisch- netz über das Heck eingezogen und der Fang vom Oberdeck in das darunterliegende Arbeits- deck gebracht wird. Der Frischfischraum hat ein Fassungsvermögen von 5200 Zentnern. Devisenreserven stiegen um 5,8 Milliarden Die Devisenfeserven der Bundesbank waren am Jahresende 1957 mit 23 841 Millionen DM um 5,8 Milliarden höher als 1956, während im Vor- jahr gegenüber Ende 1955 ein Zuwachs um 4,9 Milliarden verzeichnet worden war. Von den gesamten Reserven entflelen 10 602 Millionen auf den Goldbestand, der Ende 1956 rund 6 231 Mil- lionen betragen hatte. Der Zahlungsmittelumlauf hat zum Jahresultimo nur mehr relativ gering um 818 Millionen auf 17 273 Millionen DM zuge- nommen. Er lag damit um 1682 Millionen über dem Stand vom 31. Dezember 1956. Die Bundes- guthaben bei der Notenbank betrugen am Jah- resende noch 4093 Millionen DM, waren damit um 279 Millionen höher als Ende 1956. Die Post braucht Geld Die Bundespost legt in Kürze die zweite Aus- gabe ihrer 160-Millionen-DM- Anleihe in Höhe von 80 Millionen DM auf. Hiervon werden 75 Millionen DM von einer Bankengruppe über- nommen. Die Bedingung der zweiten Ausgabe entspricht mit einer Verzinsung von 7,5 Prozent bis auf den Emissienskurs, der 96,5 Prozent be- zt, dem der ersten Ausgabe in gleicher Höhe. Die Anleihe wird zwischen dem 14. und 20. Ja- nuar zur öffentlichen Zeichnung aufgelegt. Starke Nachfrage nach Industriemeistern Die Nachfrage nach Industriemeistern hält nach einer Mitteilung des Deutschen Industrie- und Handelstages, DIHT) unvermindert an, Sie ist darauf zurückzuführen, daß die jetzt tätigen Meister zu alt sind und andererseits der zuneh- mende Mangel an qualiftzierten Arbeitskräften mehr und mehr in den Betrieben fühlbar wird. Schokolade und Sügwaren werden teurer Für die Süßwarenindustrie der Bundesrepublik sei die neue Zuckerpreiserhöhung größtenteils nur durch Weitergabe der Kostensteigerung zu verkraften, erklärten maßgebende Kreise der In- dustrie. Bei Kleinpreisartikeln müßten daher wieder Gewichtsverminderungen vorgenommen werden. In anderen Fällen werde der Preisauf- schlag durch entsprechende Anpassung der Ab- gabepreise offenkundiger werden. Auch für die Markenfabrikate werde ernsthaft die Frage Akut, wie lange der Preis für Markenschokolade mit 1,30 DM je 100-g-Tafel im Ladenverkauf zu halten sein werde. Zumindest dürfte der bei der Zuckersteuersenkung im April 1956 auf 1,20 DM je Tafel ermäßigte Preis für Marken-Halbbit- ter-Schokolade auf alle Fälle wieder auf 1,30 DM erhöht werden. Karlsruher Schlachtviehmarkt vom 14. 1. Auftrieb: Rinder 359, Kälber 288, Schafe 44 Schweine 1735. Preise: Ochsen A 100110, B 81100 Bullen A 105115, B 95104, Färsen A 108116, B 100—105, Kühe A 97, B 68-78, C 58—70, D bis 30 Kälber A 160175, B 145—156, C 125—140, D 100-120 Schafe A 90-95, B bis 85, Schweine A 115—121, B 1 116—124, B 2 116126, C 116126, D 115—125, E 110—122 G 1 105116. Marktverlauf: Ochsen langsam, ge- räumt. Bullen und Färsen schleppend, Uberstand Kühe langsam, kleiner Uberstand. Kälber langsam kleiner Uberstand. Schweine schleppend, Uber- stand. Freiburger Schlachtviehmarkt vom 14. 1. Auftrieb: Rinder 207, Kälber 189, Schweine 514 Schafe 44. Preise: Ochsen A 104-108, B 82-100, Bux len A 102110, B 93-98, Kühe ein Stück Spitzen preis 103, A 8795, B 72-85, C 60—74, Färsen A 104 bis 112, B 100103, Kälber A 150160, B 13014 C 120125, Schweine A nicht notiert, B 1 123-128 B 2 124128, C 126130, D 126-130, E 125—128,& 1 110120, Schafe& 95. Marktverlauf: Rinder schlep- pend, Kälber schleppend, Schweine schleppend Schafe langsam. Ubperstand: Rinder 41, Kälber 80 Schweine 135, Schafe 8. E Erfolgreicher Speisekartoffelanbau Im allgemeinen Kartoffelanbau sollte mehr als bisher auf den voraussichtlichen Verwen- dungszweck der Kartoffel Bedacht genommen werden. Ist z. B. eine industrielle Verwendung wahrscheinlich, dann haben bei der Auswahl der Sorten die stärkereichen Kartoffeln den Vorzug, da nach Stärkeprozenten bezahlt wird. Bei der Auswahl von Speisekartoffelsorten ist von vornherein an den Abnehmer der Speisekartoffeln zu denken, dessen Wünsche erfüllt sein müssen. So ist z. B. die bereits weitgehend eingeführte mittelfrühe Sorte „Olympia“ eine bevorzugte Speisekartoffel. Sie schmeckt bis zur neuen Ernte ausgezeichnet und ist im Winterlager vollkommen ruhig. Be- kannt ist auch ihre recht gute Widerstands- fähigkeit gegen Phytophthora. Der interessierte Speisekartoffelanbauer schaut aber rechtzeitig voraus und wählt aus den Neuzüchtungen das für seinen Betrieb Richtige aus. Bei den Speisewertprüfungen 1957 in Hamburg hat bei den mittelfrühen und mittelspäten Sorten die von Kamek'sche Neu- züchtung„Delos“ am besten abgeschnitten. Diese mittelspät reifende Kartoffel eignet sich für leichte wie auch für schwerste Böden. Sie hat alle Vorzüge einer guten Speisekartoffel. Die langovale tiefgelb- fleischige Knolle hat Tachliegende Augen. Sie liefert einen hohen Anteil ansprechender Marktware, ist sehr er- tragreich, abbaufest und feldresistent gegen Krautfäule. Diese absolut lager- und mieten feste„Delos“ ist ein sogenannter Stengeltyp und kommt nur im Anfang etwas langsam vom Poden weg. Es wird empfohlen, diese Sorte erst in Keimstimmung in den Boden zu brin- gen, d. h., wenn wenigstens kleine weiße Keim- spitzen an der Knolle sich bilden. Eine weitere von Kamek'sche Neuzüchtung ist die sehr gute Speise-Stärke-Sorte„Da- tura, die 8—10 Tage vor„Ackersegen“ reift, recht gute Stärkeerträge aufweist und auch für alle Böden geeignet ist. Neben ihren son- stigen guten Qualitäten im Aufwuchs, Ertrag, in der Knollenform, ist besonders auch ihre große Widerstandsfähigkeit gegen Krautfäule erfreulich. Diese tiefgelbfleischige„Datura“ ist lager- und mietenfest und wird sich viele Freunde schaffen, die eine gesunde, ertrag- reiche Speise-Stärkesorte schätzen. Bei einer reichlichen Phosphatdüngung im Rahmen einer Volldüngung erreicht man kräf- tige Keimanlagen und die gewünschte gute Ausreifung der Kartoffel. Eine starke Phos- phatdüngung erleichtert auch die Erkennung Viruskranker Stauden, Thomasphosphatgaben mit 6—8 dzyha sind trotz ihres Kalkgehaltes in jeder Weise nützlich, sie verursachen keine Förderung des Schorfbefalles. Die Thomasphosphat verbesserte Struktur durch Auf allen Böden hilft neben Gründüngung und Stalldunggaben sehr, toffelaufwuchs bei besten Erträgen zu einen gesunden Kar- er- zielen. Rechtzeitiger Saatgutwechsel im Kar- toffelanbau ist stets Wirtscheftlich. . aden . 7 Gs Sci Nö ö n e Copyright by E. Picard-Verlag und Gayda-Press durch Verlag v. Graberg& Görg, Wiesbaden (34. Fortsetzung) „Es ist wegen des Geldes“, fuhr Sybil zag- haft fort und blickte erschreckt zur Seite, als sie gewahrte, daß die Miene ihrer Hauswirtin sich unverkennbar verfinstert hatte.„Der Doktor muß bezahlt werden, und ich bin Ihnen das Essen schuldig und die Medizin, die Sie mir besorgt haben. Deshalb möchte ich Sie bitten, für mich etwas zu verpfänden oder zu verkaufen.“ „Was ist es denn?“ fragte Mrs. Lawson un- Willig. „Ein Kleid und ein Mantel.“ Die Augen von Mrs. Lawson wanderten zu den zum Trocknen an dem Haken an der Tür aufgehängten Kleidungsstücken. „Nein, die sind es nicht“, sagte Sybil schnell, bevor die andere eine Bemerkung machen Konnte.„Es ist ein Complet von Michael Sor- rel mit echtem Biber besetzt. Es ist bestimmt eine ganze Menge wert.“ „Ich möchte es erst einmal anschauen“, sagte Mrs, Lawson. In ihrer Stimme lag nicht viel Hoffnung. „Es befindet sich in meinem Koffer“, sagte Sybil. Mrs. Lawson zog den Koffer unter dem Bett hervor, öffnete den Deckel nd hob das rosa- farbene Kleid und den pelzbesetzten Mantel hervor. Gegen den Hintergrund des schäbigen Zimmers mit seinem häßlichen Linoleumbelag nahm sich diese Eleganz höchst deplaeiert aus. „Wie um alles in der Welt kommen Sie zu einer solchen Garderobe?“ fragte Mrs. Law- Son. „Es ist ein Geschenk“, erwiderte Sybil. Mrs. Lawson warf ihr unter gesenkten Lidern einen Seitenblick zu. Ihre Gedanken waren leicht zu erraten. — 8 Sybil errötete, aber sie empfand instinktiv, daß Erklärungen die Situation nur peinlicher machen würden, als sie ohnehin schon war. So beschränkte sie sich darauf, hinzuzufügen: „Es ist auch ein dazu passender Hut da.“ Mrs. Lawson zog ihn unter Seidenpapier hervor. Sie nickte anerkennend.„Das mag ja hübsch teuer gewesen sein“, murmelte sie vor sich hin, als sie den schwungvoll gestickten Namen ‚Michael Sorrel' entdeckte.„Dafür kön- nen Sie so viel bekommen, daß es für eine Woche oder sogar zwei reicht.“ „Würden Sie so liebenswürdig sein und es zum Pfandleiher tragen?“ stammelte Sybil noch einmal. „Wohl oder übel muß ich es ja tun. Wie soll ich sonst zu meinem Geld kommen?“ Mrs. Lawson hing sich Kleid und Mantel über den Arm, klappte den Koffer zu und be- Törderte ihn mit einem Tritt unter das Bett. „Wenn ich morgen einkaufen gehe, nehme ich die Sachen mit“, versprach sie.„Gute Nacht. Vergessen Sie nicht, nachher noch Ihre Tablet- ten zu nehmen.“ „Ich danke Ihnen für alles“, sagte Sybil. Aber die Tür war hinter der würdigen Dame bereits zugefallen. * Sybil schloß die Augen. Der Anblick der Kleidungsstücke war schmerzlich gewesen; sie stellten das letzte Verbindungsglied zu Tally dar. Ihr Verschwinden war für sie mit ganz- licher Verlassenheit gleichbedeutend. Nichts blieb von der Vergangenheit als ihre Erinne- rungen und ihre Liebe zu ihm. Und diese Emp- kindungen verstärkten sich in demselben Grad, in dem das Gefühl der Einsamkeit zunahm. Damals in St Moritz hatte sie geglaubt, daß Mre Liebe eiten Höhepunkt erreicht habe, der keine Steiger g hrer Gefühle mehr zulassen könne Die tödliche Qual ihres Sehnens, die sie nun befiel, belehrte sie eines anderen, In der Abgeschiedenheit dieses häßlichen Raums War sie ihr hilflos ausgeliefert. Sie war dem Arzt dankbar, als er bei seinem dritten Besuch damit einverstanden war, daß sie das Aufstehen probieren wollte. Doch als sie sich die Treppen hinunterschleppte, schwand ihr jeglicher Mut, und der Wunsch, die Augen schliegen zu dürfen und zu sterben, war stär- ker als jede andere Sehnsucht. Mrs. Lawson war ungewöhnlich gütig zu ihr. „Setzen Sie sich an den Kamin, liebes Kind“, sagte sie zu ihr.„Hier, diese Decke legen wir über ihre Knie. Und nun ruhen Sie sich aus. Niemand wird Sie stören.“ „Wie soll ich Ihnen danken“, sagte Sybil schwach. „Später am Nachmittag kommt auch ein Streifen Sonne ins Zimmer“, fuhr Mrs. Law- son mit ungewohnter Redseligkeit fort.„Ich hätte ja gerne für mich ein Südzimmer gehabt, aber in meinem Fall haben natürlich die Mie- ter das Vorrecht. Nachher bringe ich Ihnen eine Tasse Tee, und wenn Sie das Abendessen hier unten einnehmen wollen, ersparen Sie mir einen Gang.“ „Ich weiß wirklich nicht, wie ich Ihnen dan- ken soll“, wiederholte Sybil.„Sie beschämen mich durch Ihre Güte.“ Mrs. Lawson kauerte sich vor dem Kamin nieder und stocherte in den Flammen.„Um der Wahrheit die Ehre zu geben“, sagte sie mit belegter Stimme, die Sybil an ihr nicht kannte, „Sie erinnern mich an meine Tochter. Sie starb mit zehn Jahren— jetzt wäre sie so alt wie Sie. In Ihrer Art zu sprechen und den Kopf zu drehen, liegt eine gewisse Aehnlichkeit mit ihr; sie war ein hübsches Kind..“ Die Flammen züngelten empor, und Mrs. Lawson erhob sich und hing den Feuerhaken an den Ständer. „So“, sagte sie.„Das Feuer wollen wir nicht ausgehen lassen, damit Sie nicht frieren und sich von neuem erkälten.“ Dann ging sie hin- aus und Sybil glaubte, den Schimmer einer Träne in ihrem Auge entdeckt zu haben. Sie kuschelte slch in den Lehnstuhl und seufzte. Wieviel unglückliche Menschen gab es auf der Welt und wieviel gute Menschen gab es doch! Sie war froh, daß sie Mrs. Lawson wenigstens alles auf Heller und Pfennig be- zahlen konnte. Sie hatte vom Pfandleiher acht Pfund nach Hause gebracht, welch lächerliche Summe für eine Schöpfung des großen Michael Sorrel! Im Augenblick brauche ich mir keine Sorgen zu machen, überlegte Sybil, und nächste Woche werde ich mir eine Stellung suchen. Sie versank in Gedanken. Wie lange mußte sie sich vor Tally versteckt halten, und würde er überhaupt den Versuch machen, die Ver- bindung mit ihr wieder aufzunehmen? Mußte nicht ihre Flucht seinen Wünschen entgegen- kommen? Vielleicht würde er Nachforschungen anstellen, danach aber vergessen, daß sie je einmal existiert hatte. Nach reiflicher Ueber- legung erschien ihr dies als die wahrschein- lichste Lösung; aber in einem Winkel ihres Herzens brannte der heiße Wunsch, daß es anders, ganz anders wäre! An der Wand neben ihrem Sessel befand sich ein kleiner, oval gerahmter Spiegel. Sybil warf einen Blick hinein. Was würde Tally sagen, wenn er sie so sehen würde? Ihr Gesicht war während ihrer Krankheit sehr schmal und durchsichtig geworden, Ihre Augen erschienen unnatürlich grog und die einzige Farbe an ihr war das schimmernde Gold ihrer Haare. Sie schloß die Augen— ihr Anblick hatte Erinnerungen geweckt, von denen sie nichts wissen wollte. Sie mußte eingeschlafen sein, denn als sie die Augen wieder öffnete, war das Zimmer in Dunkelheit gètaucht und das Feuer zusammengesunken. Gleich darauf trat Mrs. Lawson ein. „Ganz im Finstern!“ rief sie und drehte das Licht an.„Ich habe dem Mädchen gesagt, daß sie nachsehen und die Vorhänge vorziehen Sollte. Sicher hat sie Ihnen auch keinen Tee gebracht.“ „Ich wollte gar keinen“, sagte Sybil schnell, Lich habe Seschlafen.“. f (Schluß folgt) CCC ˙ A„ ee T