1 . 0 ker F r e, e 8 7 5 2. Seite/ Nummer 2 Neue Mannheimer Zeitung/ Abend Ausgabe Freitag, 2. Januar 1931 den öſterreichiſchen Bundesbahnen und der Verſuch der Chriſtlichſozialen, den Grazer Vizebürgermeiſter Dr. Strafella trotz eines für ihn ungünſtigen gericht⸗ lichen Urteils in einem Preſſeprozeß als General⸗ direktor der Bundesbahnen durchzudrücken, führte am 25. September zum Sturz der Regierung Schober und zur Betrauung des Vizekanzlers Vaugoin mit der Kabinettsbildung. Das bedeutete die Sprengung der bisher beſtandenen bürgerlichen Koalition. Die großdeutſche Volkspartei und der Landbund weiger⸗ ten ſich, ein Kabinett Vaugoin zu unterſtützen, das nun als chriſtlichſoziales Minderheitskabinett ge⸗ bildet wurde und ſich aus ſeiner Iſolierung durch ein Bündnis mit der Heimwehr zu befreien ſuchte. So kam das Kabinett Vaugoin⸗Seipel⸗Starhemberg zu⸗ ſtande, in dem Seipel das Aeußere und Fürſt Ernſt Rüdiger v. Starhemberg, dex inzwiſchen auf der Heimwehrführertagung in Schladming anſtelle der bisherigen Dr. Steidle und Dr. Pfrimer zum Bun⸗ desführer der Heimwehr gewählt worden war, das Reſſort des Inneren übernahmen, während das Reſ⸗ ſort der Juſtiz mit dem Heimwehrlandesführer Dr. Hueber beſetzt wurde. Das neue Kabinett dtellte ſich dem Nationalrat, in dem es ein ſicheres Mißtrauens⸗ votum zu gewärtigen hatte, garnicht erſt vor, ſondern der Bundespräſident Miklas löſte kraft der durch die Verfaſſungsnovelle dem Bundespräſidenten erteil⸗ ten neuen Machtvollkommenheiten das Parlament auf. Die Wahlſchlacht fand am 9. November ſtatt und geſtaltete ſich beſonders intereſſant durch das Auf⸗ treten der beiden neuen Blocks, des Schober⸗ und des Heimatblocks. Auch die Hitlerpartei ging, nach ihrem großen Wahlſieg in Deutſchland, mit großen Aſpira⸗ tionen in den öſterreichiſchen Wahlkampf, ohne jedoch bet dem ganz auf die Intereſſen der großen Parteien zugeſchnittenen Wahlſyſtem für ihre 100 000 Stimmen auch nur ein einziges Abgeordnetenmandat erlangen zu können. Die Koſten des Wahlkampfes trugen die Ehriſtlichſozialen, die 7, der Schoberblock, der 2 Man⸗ date verlor, von denen 8 der Heimatblock und eines die Sozialdemokraten gewannen, obwohl die Letzteren einen poſitiven Stimmenverluſt von faſt 50 000 Stim⸗ men erlitten hatten. Durch die Uneinigkeit und Zer⸗ ſplitterung der bürgerlichen Parteien war eine Ge⸗ legenheit, dem Auſtromarxismus in Oeſterreich eine Niederlage zu verſetzen, verſäumt worden. Trotz der numeriſchen Schwäche von 19 Man⸗ daten war der Schoberblock durch das Wahlergebnis das Zünglein an der Waage geworden. Ohne ihn konnte keine bürgerliche Regierung gebildet werden und ſo konnte er ſeine Bedingungen ſtellen. Dieſe waren: Ausſchluß der Heimwehr aus der neuen Re⸗ gierungskoalttion undRuck nach der Mitte. Das Ergebnis war die Bildung des Kabinetts durch den Vorarlberger Landeshauptmann Dr. Ender, in das Dr. Schober als Vicekanzler eintrat. Das Kabinett verfügt jedoch nur über eine ſchwache Mehrheit von 5 Stimmen und ſo muß ſeine Lebensfählgkeit mit einer gewiſſen Skepſis beurteilt werden. Dr. Gr. 5. 5 5* 8 Warenhausbrand in der Silveſternacht Ein Brand, der in der Silveſternacht in der erſten Etage des Warenhauſes Preuß in Moabit aus⸗ brach, verſetzte die Berliner Feuerwehr in die höchſte Alarmſtufe. Den Bewohnern der über dem Waren⸗ haus liegenden Stockwerke war durch den ſtarken Qualm und durch das Flammenmeer, das an dem reichen Verkaufslager immer neue Nahrung fand, der Weg ins Freie abgeſchnitten, ſo daß die Feuer⸗ wehrleute, mit Rauchſchutzhelmen ausgerüſtet, die Bewohner ins Freie bringen mußten. Vom Hof und von der Straße aus errichtete man Leitern und drang durch Einſchlagen der Fenſterſcheiben in die inneren Räume ein. Eine ungeheure Menſcheumenge hatte ſich alsbald eingefunden. Scharen halbwüchſiger Burſchen ver⸗ ſuchten, die Abſperrung der Schutzpolizei zu durch⸗ brechen. Es kam zu heftigen Zuſammenſtößen, bei denen die Polizei mehrere Verhaftungen vornahm. Sprottau, 2. Jan. In der Weihnachtslotterie der Arbeiterwohlfahrt gewann der Bäckerlehrling Lindner aus Sprottau den Hauptgewinn in Höhe von 25 000 Mark. Der Gewinner iſt ein Waiſen⸗ knabe. Wie ich zur Nalurwiſſenſchaft kam Von Wilhelm Bölſche Zum 70. Geburtstag des Naturphiloſophen Für das geiſtige Schickſal meines Vaters und da⸗ mit indirekt auch meines iſt in einem drolligen Zu⸗ ſammenhang Alexander von Humboldt be⸗ deutſam geworden. Als Humboldt 1837 zur Jubel⸗ feier der Univerſität nach Göttingen kam, überreich⸗ ten ihm drei begeiſterte und nach Kräften dichtende Jünglinge eine Huldigungsſchrift, dabei der ſpätere Aeſthetiker Carriere und mein Vater. Die Verſe aber gefielen der damaligen hannöveriſchen Regie⸗ rung nicht. Als mein Vater, ein Bauernſohn aus der Heimat des Deutſchlandlied⸗Sängers, Fallers⸗ eben, der ſonſt brav proteſtantiſche Theologie ſtu⸗ diert hatte, eine arre bekommen ſollte, legte man ihm einen Revers vor, daß er alle künftig zu drucken⸗ den Gedichte vorher einer wohllöblichen Behörde Unterbreiten wolle. Im Trotz unterſchrieb er nicht, ndern ging ohne Staatsamt in die freie Journa⸗ tik. Es mag aber doch ſchon eine ſtille Liebe zur ographie neben der Theologie mitgeſpielt haben, er nachher ſein ganzes langes und reiches Leben bleiben ſollte. Humboldt, den er damals auch önlich geſprochen, blieb ihm eine Art Heiliger. te vieljährige ſpätere Tätigkeit bei derKöl⸗ chen Zeitung aber ſtellte er ganz beſonders in den Dienſt geographiſcher Förderung. Es waren die Tage grobartigſter, auch deutſcher Entdeckungen. Berühmte Forſchungsreiſende aller Länder verkehr⸗ ten bei uns im Hauſe. Perſönliche Freundſchaft ver⸗ knſtpfte ihn mit Auguſt Petermann, der wegen ſeines Eintretens für deutſche Nordpolfahrten eine Inſel bei Spitzbergen nach ihm benannte.. In dieſem Milieu bin ich aufgewachſen. Eine ge⸗ wiſſe Miſchung des frei Literariſchen mit dem ſtreung Wiſſenſchaftlichen iſt mir früh wie etwas ſcheinbar Selbſtverſtändliches darin mit⸗ gegeben worden. ein Vater hauſte in einer rieſigen Bibliothek, Karten bedeckten die Wände. Aber er hatte auch ſonſt gemeinnützige Intereſſen, wo etwas au Naturwiſſenſchaft anklang. Vogt, Moleſchott, Roß⸗ Die Stetillage Hetzer an der Arbeit Telegraphiſche Meldung Eſſen, 2. Januar. Auf einer ganzen Anzahl von Zechen im Ruhr⸗ gebiet kam es heute früh unter dem Druck von Arbeitsloſen, die die Zechentore beſetzt hatten. zu wildem Streik. Während auf einzelnen Ze⸗ chen nur ein Teil der Belegſchaft nicht eingefahren iſt, ruht auf anderen Zechen des Bezirkes die Arbeit voll⸗ ſtändig. Soweit ſich bisher feſtſtellen laſſen konnte, werden von dieſem Streik etwa 20 Zechen des Ruhr⸗ bergbaues betroffen. In Dinslaken iſt auf der Schachtanlage Loh⸗ berg der Vereinigten Stahlwerke der größte Teil der Frühſchicht heute nicht eingefahren, lediglich 225 Mann haben die Arbeit aufgenommen. Die Zechenverwal⸗ tung führt die Arbeitsniederlegung auf die verſtärkte Propaganda der ſogenannten revolutionären Gewerkſchaftsoppoſition zurück, die geſtern in Gelſenkirchen eine Konferenz abhielt, in der ultimative Forderungen an die Zechen⸗ beſitzer gerichtet wurden. U. a. wurde die ſofortige Rücknahme der Kündigungen verlangt. Bei Ableh⸗ nung dieſer Forderungen ſollte ein Streikbeſchluß herbeigeführt werden.. Zunehmende Beſtreikung Die Zahl der von der Streikbewegung betroffenen Schachtanlagen hat ſich nach neueren Meldungen bis Mittag auf 22 erhöht. Amſtärkſten macht ſich die Streikbewegung im Hamborner Bezirk be⸗ merkbar, wo in vier von ſechs Schächten die Arbeit zum Teil niedergelegt wurde. Die Hälfte der 5 500 Mann ſtarken Belegſchaften iſt hier nicht eingefahren. In den Waſchkauen und anderen Räumen der Ham⸗ borner Zechen wurden heute früh Belegſchaftsver⸗ ſammlungen abgehalten, in denen ſich die Mehrheit für den Streik ausſprach. Als Grund wird hier das Kündigungsſchreiben der Zechenbeſitzer angegeben. Heute mittag wird auf dem Goetheplatz in Hamborn eine Verſammlung der ſtreikenden Bergarbeiter ſtattfinden. Im Bezirk Recklinghauſen ſind von 18 Schachtanlagen bis jetzt fünf von der Streikbewegung betroffen. Die chriftlichen Bergarbeiter Wie vom Gewerkverein chriſtlicher Bergarbeiter mitgeteilt wird, hat ſich der Hauptvorſtand der Ge⸗ werkſchaft mit dem Streik im Ruhrbergbau befaßt und ſeine Mitglieder aufgefordert, weiter zu Politiſche Zuſammenſtöße Zwei Tote in Berlin Berlin, 2. Jan In der Neujahrsnacht ſind in der Hufelandſtraße zweit Männer durch Repolverſchüſſſe ſo ſchwer verletzt worden, daß ſie geſtorben ſind. Nach dem bisherigen Unterſuchungsergebnis hat ſich die Blut⸗ tat etwa folgendermaßen abgeſpielt: Einige Angehörige des Reichs banners woll⸗ ten ihre Frauen nach Hauſe bringen. Als ſie, unter ihnen der Zigarrenhändler Schneider, an dem im Hauſe Hufelandſtraße 31 befindlichen Stammlokal der Nationalſozialiſten vorbeikamen, wurden ſie an⸗ gerempelt, ſo daß ſich eine Schlägerei ent⸗ wickelte. Die Reichsbannerleute zogen ſich in ihre Gaſtwirtſchaft zurück. Als ſpäter Schneider und ſein Sohn nach Hauſe zurückkehrten, mußten ſie die Feſtſtellung machen, daß inzwiſchen einer ihrer poli⸗ tiſchen Gegner in das Geſchäft eingedrun⸗ gen war. Er befand ſich in einem heftigen Wort⸗ ſtreit mit Frau Schneider, bei dem er nach deren Ausſage Drohungen ausſtieß. Als Schneider und ſein Sohn den Tobenden aus dem Geſchäft werfen wollten, gab dieſer aus ganz kurzer Entfernung mit einem Revolver einen Schuß ab, der dem jungen im Ruhrgebiet arbeiten. Die Verhandlungsmöglichkeiten ſeien noch nicht erſchöpft. Bereits für den 7. Januar ſeien Verhandlungen in Ausſicht genommen. Auch müßten die alten Löhne bis zum 15. Januar weiter gezahlt werden. Die Gewerkſchaftsführer haben ſich in die ein⸗ zelnen Streikgebiete begeben, um an Ort und Stelle die Lage zu prüfen und gegebenenfalls vermittelnd einzugreifen. Weitere Funktionärkonferenzen In den Geſchäftsſtellen des Bergbauinduſtrie⸗ arbeiterverbandes, Bezirk Ruhrgebiet, fanden geſtern 14 Funktionärkonferenzen ſtatt, die ſich mit der lohnpolitiſchen Lage im Ruhrbergbau befaßten. In allen Konferenzen wurde der Aufruf der Berg⸗ arbeiterverbände gutgeheißen, in dem die Beleg⸗ ſchaften aufgefordert werden, keine neuen Arbeitsver⸗ träge abzuſchließen, die die vom Zechenverband ge⸗ wünſchte Lohnherabſetzung vorſehen. Einer Aus⸗ ſperrung am 15. Januar, ſo wurde weiter aus⸗ geführt, würden die Bergarbeiter mit Ruhe und Ent⸗ ſchloſſenheit entgegenſehen. Ebenſo entſchloſſen wür⸗ den ſie ſich gegen die politiſchen Streikparolen der K. P. D. und der revolutionären Ge⸗ werkſchaftsoppoſition wenden. Kündigung in Niederſchleſien Telegraphiſche Meldung Waldenburg, 2. Jan. Der Verein für die Bergbaulichen Intereſſen Niederſchleſiens hat das Lohnabkommen der Bergarbeiter zum 31. Januar 1931 gekündigt. Verhandlungen über eine Neuregelung werden dem⸗ nächſt ſtattfinden. Der Streik in Südwales Telegraphiſche Meldung London, 2. Jan. Von dem vorgeſtern abend angeordneten Streik im Bergbau von Südwales werden über 140 000 Bergleute betroffen. Da der Schlichtungsaus⸗ ſchuß erſt am Samstag zuſammentritt, wird die Ar⸗ beitseinſtellung mindeſtens drei Tage dauern. Der Sekretär des Bergarbeiterverbandes erklärte, es be⸗ ſtehe große Gefahr, daß ſich die Streikbewegung aus⸗ dehne, wenn nicht bald eine Einigung erzielt werde. C b Schneider in den Bauch drang, ſo daß er an innerer Verblutung ſtarb. Nachdem der Täter den Schuß abgegeben hatte, ergriff er die Flucht und gab auf den Bankbeamten Graf, der vor dem Laden ſtand. einen weiteren Schuß ab, der ihm in den Kopf drang. Beide Verletzte ſtarben noch in der Nacht. Sprengſtoffattentat in Gotha Gotha, 2. Januar. In der Silveſternacht verübten bisher unbekannte Täter in der Hünersdorf⸗Straße 2, in der ſich die Geſchäftsſtelle der NSDAP., Ortsgruppe Gotha, befindet, ein Sprengſtoffattentat. Die Täter haben nach der poltzeilichen Darſtellung eine in einem 63 Zentimeter langen Stahlrohr unter⸗ gebrachte Sprengladung unter der Haustür hindurch⸗ geſchoben und durch eine Zündſchnur zur Exploſion gebracht. Die Sprengladung war mit einem Papier⸗ propfen abgedichtet, der, wie die Polizei feſtſtellte, aus Teilen der kommuniſtiſchen Illuſtrierten Ar⸗ beiterzeitung beſtand. Durch die Exploſion iſt nur geringer Sachſchaden entſtanden; es wurden nur die Zwiſchentür aus dem Rahmen geriſſen und eine An⸗ zahl Fenſterſcheiben zertrümmert. Eine Frau, die zur kritiſchen Zeit gerade die Treppe herunterkam, wurde durch Glasſplitter leicht verletzt, da ſie ſich glücklicher⸗ weiſe noch nicht im Hausflur befand. Vaoͤiſche Politik Neujahrsfeier in Karlsruhe In den Räumen des Staatsminiſteriums fand as Neujahrstag eine ſchlichte Feier ſtatt, in der neben den Regierungsmitgliedern alle Kreiſe des öffent⸗ lichen, wirtſchaftlichen und kulturellen Lebens unſeres Landes vertreten waren. Staatspräſident Wittemann hielt eine An⸗ ſprache, in der er Deutſchlands außen⸗ und innen⸗ politiſche Aufgaben umſchrieb und nach dem Hinweis auf die wirtſchaftliche, politiſche und ſeeliſche Not unſeres Volkes u. a. ausführte: Nur der Reichs präſident und die von ſeiner Autorität geſtletre Reichsregierung mit dem Reichskanzler Dr. Brüning zeigten ſich als feſten Pol in der Erſcheinungen Flucht. Sie verdienten dafür Vertrauen. Politiſche Einſicht und Verantwortlichkeit gegenüber dem Staate und deſſen Bedürfniſſen, die Liebe zum Volk und deſſen Erhaltung im Staat müſſe immer mehr die Oberhand gewinnen über Schlagwortpolitik, ver⸗ ſtiegenen Nationalismus, politiſchen und wirtſchaft⸗ lichen Peſſimismus, unfruchtbare hemmungsloſe Kri⸗ tik und Verleumdung. Der Staatspräſident machte ſich zum Schluß die mahnenden und aufmunternden Worte des Reichs⸗ kanzlers in deſſen Neujahrsgedanken zu eigen. Neujahrsglückwunſch an die Polizei Der badiſche Junenminiſter hat anläßlich des Jahreswechſels an Polizei und Gendarmerie fol⸗ genden Erlaß gerichtet: Den Führern und Beamten der badiſchen Polizei und Gendarmerie ſpreche ich für treue Pflicht⸗ erfüllung im vergangenen dienſtlich für ſie be⸗ ſonders ſchweren Jahre meinen Dank aus und ver⸗ binde damit die beſten Glückwünſche für das kom⸗ mende Jahr. Ich bin der ſicheren Erwartung und feſten Ueberzeugung, daß auch in Zukunft Regierung und Bevölkerung ſich auf den badiſchen Sicherheits⸗ dienſt feſt verlaſſen können. Treue um Treue! Witte⸗ mann, Staatspräſident und Innenminiſter. Verbot ſog. Marſchübungen Es liegt Veranlaſſung vor, auf die Bekannt⸗ machung des Miniſters des Innern vom 21. Okt. 1930Karlsruher Zeitung, Staatsanzeiger vom 21. Okt. 1930, Nr. 245 hinzuweiſen, wonach auf Grund des Artikels 123, Abſ. 2 der Reichsverfaſſung alle Anſammlungen und Verſammlun⸗ gen unter freiem Himmel verboten ſind. Darunter fallen, wie von zuſtändiger Seite bemerkt wird, auch die ſogenannten Sportmärſche, Marſch⸗ übungen und ähnlichen Veranſtaltungen von politi⸗ ſchen Verbänden. Letzte Meldungen Großfeuer Dortmund, 2. Jan. In einem Schreibwaren⸗ geſchäft explodierte während der Silveſterfeier, die in einem Zimmer hinter dem Laden ſtattfand, ein grö ßerer Vorrat an Feuerwerkskörpern. Sieben Perſonen wurden verletzt, davon zwei lebensgefährlich. Das Innere der beiden Räume wurde vollkommen zerſtört, Goldberg i. Mecklenburg, 2. Jan. Das Hotel Deutſches Haus wurde geſtern früh durch ein Großfeuer vollſtändig vernichtet. In den oberen Stockwerken des Hotels entſtand plötzlich Feuer, während in der Diele noch getanzt wurde. Die beiden nebeneinander liegenden Hotelgebäude aufgefaßt. Viele Gäſte konnten ihre Mäntel und Be⸗ kleidungsſtücke nicht mehr in Sicherheit bringen, da der Brand ſich mit raſender Schnelligkeit ausdehnte. Die beiden nebeneiander liegenden Hotelgebäude brannten vollſtändig nieder, ein Teil des Inventars konnte jedoch gerettet werden. Die Entſtehungs⸗ urſache des Feuers iſt noch ungeklärt. 5 Baltimore, 2. Jan. Das große Gebäude des Verlagshauſes derBaltimore Poſt ſteht in Flammen. Eine Perſon kam im Feuer um, fünf werden vermißt und man fürchtet, daß ſie ebenfalls. den Tod gefunden haben. mäßler gehörten nicht minder zu ſeinem Bekannten⸗ kreis. Nun ſetzte eben damals die Bewegung für deutſche zoologiſche Gärten lebhafter ein. Faſt genau im Jahre meiner Geburt wurde mit auf Anregung meines Vaters der Kölner Garten gegrün⸗ Wilhelm Bölſche wird heute 70 Jahre det. Er lag außerhalb der Feſtungsmauern meinem Elternhauſe am Rhein zunächſt. Wir Kinder hatten freien Eintritt, und da die Kölner Umgebung ſonſt wenig bot, iſt er von früh an derNaturhintergrund meiner Spiele und meines Lernens geweſen. Ich ſehe mich als winzigen Knirps noch, wie ich den treff⸗ lichen Direktor Bodinus auf die Rattenfagd in ſeinen Tiergehegen begleiten durfte. Solcher Direktor ſelbſt ſpäter zu werden, erschien mir als höchſter Lebens⸗ traum. Als der bekannte ruſſiſche Reiſende und Sprachforſcher Radloff einmal den Garten beſuchte, konnte ich ihm als ſolcher Dreikäſehoch bereits alle Tiernamen nennen, was ihn nicht wenig amüſierte. Als ich mein erſtes Buch(Robinſon) geleſen, erfand ich mir ſelbſt einen Weltfahrerroman, in dem alles auf mitgebrachte Tiere ging. Vom Gymnaſium habe ich dann ſchon einen erſten Bericht über eine Hochwaſſerkata⸗ ſtrophe meines Zoo für Karl Ruß'Gefiederte Welt geliefert; mein erſtes Gedrucktes. Zu dem Garten kam aber bald noch ein entſcheidendes zoo⸗ logiſches Buch. In meine erſten Leſejahre hinein erſchien in ganz langſamen Lieferungen Brehms Tierleben. Die braunen Hefte häuften ſich berge⸗ hoch auf einem Tiſch meines Vaters. Unabläſſig habe ich wie eine erſte Fibel die ſchönen Holzſchnitte beſehen, und allmählich lernte ich auch den Text faſt auswendig. Noch heute iſt er mir in der alten Faſ⸗ ſung faſt bei jedem merkwürdigeren Tier wörtlich geläufig. Auch Brehm kam einmal ſelbſt nach Köln, mir mit ſeiner wunderbaren Rednergabe ein un⸗ auslöſchlicher Eindruck. Ich habe mich dann als Junge auch ſchon ganz naiv im freien Vortrag be⸗ tätigt und gemerkt, daß ich's einfach konnte; ſo was lernt man nicht, man hat's. Neben Meiſter Brehm muß ich aus meiner früheren Lektüre noch ein paar echte naturgeſchicht⸗ liche Ingendbücher des längſt entſchwundenen Spa⸗ merſchen Verlages nennen: WagnersEntdeckungs⸗ reiſen in Haus und Hof, einenKosmos für die Jugend, wo ich zum erſten Male auch Urwelttiere ſah, die mich mein Leben lang ſo magiſch feſſeln ſollten, UlesWunder der Sternenwelt; auch des trefflichen LenzGemeinnützige Naturgeſchichte und den altenLeunis, deſſen Verfaſſer heute unter dem tauſendjährigen Roſenſtock von Hildesheim ruht. Noch einer perſönlichen Anregung muß ich ge⸗ denken. Meine guten Eltern hatten auch im Punkt Schule eine ſehr freie Auffaſſung. Am liebſten hätten ſie ihre Kinder ganz ohne ſolche bloß mit zwangloſen Privatſtunden aufwachſen laſſen. So erhielt ich Jahre lang einen alten Kölner Elementarlehrer, Heinrich Kühne hieß der vortreffliche Mann, mehr als Freund und Spaziergangsgenoſſen denn als wirklichen ge⸗ ſtrengen Schulmeiſter. Köln war damals noch in eine enge Schnürbruſt alter Feſtungswälle eingeſperrt. Dazu gehörten auch rieſige gründurchwachſene Grä⸗ ben, eigentlich nur dem Militär zugänglich. Dort fan⸗ den ſich dicht an der ſonſt ſo waldfernen Stadt ſel⸗ tene Pflanzen und Tiere die Fülle, wie in einem der heutigen Naturſchutzgebiete. Der alte Kühne aber, ein liebevoller Naturfreund, hatte eine Erlaubnis⸗ karte zu dieſem verbotenen Paradies und legte mit Fleiß ſeine pädagogiſchen Spaziergänge dahin. Hier hat er mir die erſten Schmetterlinge und Käfer ge⸗ fangen und benannt. Meine Mutter, die gern Worte verwechſelte, nannte ihn danach ſelber einmal den. Herrn Käfer, und der Name blieb ihm unter uns. Ich möchte aber jedem werdenden Naturfreunde ſol⸗ chen Herrn Käfer wünſchen. Daheim hatte der Gute noch ein paar Dutzend ausgeſtopfter Vögel, die mir, dem ſpäteren eifrigen Muſeumswanderer, auch heute 15 immer wie unter einem verklärenden Schein ſtehen. Man braucht ja wirklich ſo wenig in ſolchen Jah⸗ ren, um für ein Menſchenleben angeregt zu werden. Wobei ich auch noch meiner Mutter ſelbſt ihre Rolle geben muß. Sie war ein ſüddeutſches Waldkind, dem in der kahlen Kölner Rheinebene immer etwas fehlte. Aber wohl gerade ſo hat ſie ihre Wald⸗ und Naturſehnſucht als Glückselement ſo tief in mich hinein geprägt. Was die anderen als Wiſſen gaben, wurde bei ihr Gemütsſache. Und ich glaube, auch davon iſt doch ein Hauch auch in alle meine ſpäteren Bücher gekommen. Mannheim im Rundfunk. Mit einer ſtundeProben badiſcher Dichter ver⸗ mittelte am Neufahrstage Walter Jenſen⸗ Heidelberg den Rundfunkhörern Einblicke in das dichteriſche Schaffen einiger Dichter aus unſerer engeren Heimat. Den Beginn machte Adolf Schmitthenners feſſelnde ErzählungFeuer, während Otto Frommels feinſinnige Ge⸗ ſchichteDer Dachſtuhl einen wirkungsvollen Abſchluß bildete. Sorgſam ausgewählt, vor allen Dingen aber vielſeitig waren die Gedichte, die Leſe⸗ . . S cn ee 888 Sn SS . N . G 5