* N 5 4 5 * e nuar 1931 7 Freitag, 2. Ja 2 Aus Baden Ruhige Neujahrsnacht in Weinheim U Weinheim, 1. Jan. Die Neujahrsnacht iſt hier verhältnismäßig ruhig und ohne jeden Unfall verlaufen. An Silveſter erſtrahlte auf dem Balkon des Rathauſes letztmals der„Chriſt baum für Jedermann“, während auf dem Marktplatze zwiſchen 6 und 7 Uhr das Blasorcheſter der Stadt⸗ und Feuerwehrkapelle unter Leitung des Muſikmeiſters Peter Heſſe Beethovens„Die Him⸗ mel rühmen. und das„Altniederländiſche Dank⸗ gebet“ ſpielte. Kurz vor Mitternacht ließ der Evan⸗ geliſche Poſaunenchor von der Burgruine Windeck herunter verſchiedene Choräle hören. Punkt 12 Uhr begrüßten die ehernen Stimmen ſämtlicher Kirchen das neue Jahr. In der Evangeliſchen Altſtadtkirche — der einzigen hieſigen Kirche mit einem elektriſchen Glockengeläute ertönten die Glocken etwa eine halbe Stunde lang. Die meiſten Wirtſchaften konnten noch vor der feſtgeſetzten Polizeiſtunde ſchließen, da bald nach Mitternacht auf den Straßen und in den Lokalen kein Leben mehr herrſchte— auch ein Zeichen für die wirtſchaftliche Lage der Zeit. Kataſtrophale Arbeitsloſigkeit DZ. Oeſtringen(Amt Bruchſal), 1. Jan. Die Ar⸗ Beitsloſigkeit hat hier beängſtigende Formen angenommen. Bisher zählten wir in unſerem 3600 Einwohner faſſenden Orte bereits 700 Arbeitsloſe und mit dem geſtrigen letzten Jahrestage wurden auch die letzten Betriebe der Zigarreninduſtrie ge⸗ ſchloſſen, womit ſich die Zahl der Erwerbsloſen auf nahezu 1200 erhöhte. Ein Drittel aller Einwohner iſt alſo arbeitslos. Am Jahresende vom Auto totgefahren * Karlsruhe, 1. Jan. Am Mittwoch wurde an der Kreuzung Ettlinger⸗Baumeiſterſtraße eine etwa 45 Jahre alte Frau von einem Perſonenkraftwagen überfahren. Sie erlitt einen Schädelbruch und war ſofort tot. * I Weinheim, 1. Jan. Der Eiſenbahnverein Wein⸗ heim und Umgebung hat den langjährigen früheren Vorſitzenden, Reichsbahn⸗Inſpektor a. D. Jakob Diebold, und den Bahnmeiſter Georg Müller für beſondere Verdienſte um den Verein zu Ghren⸗ mitgliedern ernannt. Zwölf weitere glieder, die 25 Jahre lang dem Verein angehören, erhielten je eine Ehrenurkunde im Rahmen. * Bammental(Amt Heidelberg), 2. Jan. Wegen eines unheilbaren Leidens wollte ſich ein Land⸗ wirt durch Erſchießen das Leben nehmen. Er wurde mit einer ſchweren Kopfverletzung in die Hei⸗ delberger Klinik verbracht und ſchwebt in Lebens⸗ gefahr. * Oeſtringen(Amt Bruchſal), 2. Jan. Ein junges Mädchen aus Oeſtringen, das in Stettfeld Beſor⸗ gungen machte, wurde auf der Heimkehr mit dem Fahrrad von einem nachfolgenden Fahrer zu Boden geriſſen und zu vergewaltigen verſucht. Das Mädchen ſetzte ſich energiſch zur Wehr worauf der Burſche die Flucht ergriff. Ein gerade vorbei⸗ kommender Kraftwagenführer und auch drei die Stelle paſſierende Radler weigerten ſich auf die Bitte des Mädchens, den Flüchtigen zu verfolgen. Das überließ man der inzwiſchen benachrichtigten Gendarmerie von Stettfeld, der es auch ge⸗ lang, den Uebeltäter kurz vor Bruchſal einzuholen und feſtzunehmen. Mit⸗ Die Blultat in Planig * Planig bei Mainz, 2. Jan. Zu der bereits ge⸗ meldeten Bluttat in Planig, wo am Weihnachts⸗ abend der Schiffsheizer Anton Ingenbrand von ſeinem Bruder erſchlagen wurde, erfahren wir noch folgende Einzelheiten: Die grauenvolle Tat bildet den Abſchluß einer ſeit Jahren ſpielenden Familientragödie. Die Schuld an dem unheilvollen Zwiſt ſoll nach den bisherigen Feſtſtellungen des Staatsanwalts auf beiden Seiten ſtellen, da ſein Bruder ihn mit der Axt ange⸗ ſüchtig und gewalttätig bekannt. Streitig⸗ keiten um das Erbe führten ſchon ſeit Jahren zwi⸗ ſchen den beiden Brüdern, die in dem Hauſe ihrer Mutter wohnten, zu den ſchlimmſten Tätlichkeiten. Dem Schiffsheizer waren ſchon vor einiger Zeit von ſeinem Bruder Paul beide Wangen mit einer Miiſtgabel durchſtochen worden. Er konnte ſeit langem ſeine Wohnung nicht mehr durch die Haus⸗ türe, ſondern nur noch unter Benutzung einer Leiter erreichen, da er den Gewalttätigkeiten ſeines Bru⸗ ders ausweichen mußte. Der Mörder verſuchte bei ſeiner Vernehmung die Tat als Notwehrakt hinzu⸗ Badiſche Gemeinden zur Nadiumſpende * Karlsruhe, 1. Jan. Der Badiſche Landesverband zur Bekämpfung der Krebskrankheit hielt im Geſchäftsgebäude der Landes verſicherungsanſtalt in Karlsruhe ſeine Schluß ⸗Sitzung ab. Dabei wurden die Er⸗ fahrungen ausgetauſcht, die bei der am 9. Nov. 1930 abgehaltenen Sammlung für die Radiumſpende des badiſchen Volkes verſchiedentlich gemacht worden ſind. U. a. konſtatierte man, daß die Straßenſamm⸗ lungen nicht den erhofften Erfolg ge⸗ bracht haben. Der Ausſchuß ſoll weiter beſtehen bleiben. Ein⸗ zelnen rührigen Sammlern wurden hübſch aus⸗ geführte Graphiken für ihre Tätigkeit über⸗ wieſen. Beſonders intereſſant war die Bekanntgabe des Ergebniſſes der Sammlung in einzelnen Gemeinden und Städten des badiſchen Landes. Dieſe Sammlung hat bekanntlich rund 120000 Mark ergeben. Von 1545 badiſchen Gemeinden haben ſich 1436 an ihr be⸗ teiligt. Nur 109 Gemeinden haben die Durchführung der Sammlung abgelehnt und auch aus der Ge⸗ meindekaſſe keinen Betrag bewilligt. In 330 Ge⸗ Vadiſche Stenographentagung * Offenburg, 2. Jan. Der badiſche Stenographenverband, in dem die badiſchen Kurzſchriftvereine der Einheitskurzſchrift zuſammengeſchloſſen ſind, hielt am vergangenen Sonntag unter Leitung des 1. Verbands vorſitzenden Oberſchuldirektor Dr. Braun ⸗ Freiburg in Offen⸗ burg ſeine diesjährige Vertretertagung ab. Der ſtellvertretende Verbandsvorſitzende Dr. F i⸗ ſcher⸗Karlsruhe gab einen eingehenden Bericht über den großen Stenographentag des Deutſchen Stenographenbundes Anfang Auguſt in Berlin. Der Bericht gab zu erkennen, daß die Einheitskurzſchrift in allen Teilen Deutſchlands gewaltige Fortſchritte gemacht hat. Oberverwaltungsinſpektor Riegler⸗ Tägliche Berichte der Neuen Mannheimer Feitung ſtellen, da ſein Bruder der ihn mit der Axt ange⸗ griffen habe. Er habe ihm dieſe entwunden und, als der Angreifer mit einer Miſtgabel auf ihn los⸗ gegangen ſei, den Hieb ausgeführt, der dem Anton den Schädel ſpaltete. Der Täter wurde in das Land⸗ gerichtsgefängnis Maind übergeführt. Raubüberfall * Ungſtein, 2. Jan. Der in den 30er Jahren ſtehende Verſicherungsagent Ernſt von hier wurde in der Nacht zum Sonntag inmitten des Ortes Ungſtein von mehreren Burſchen überfallen und be⸗ wußtlos geſchlagen. Die in ſeinem Beſitz be⸗ findliche Brieftaſche, die eine Geldſumme von 297 Mark enthielt, wurde ihm geraubt. Während über den Verbleib des Geldes und der Brieftaſche noch nichts feſtſteht, konnten die Täter gefaßt und dem Amtsgerichtsgefängnis zugeführt werden. Es handelt ſich um drei junge Burſchen im Alter von 20 bis 21 Jahren. Verhaftet wurden wegen Raubs der Kaufmann Hans Zeck, Karl Bergner und Johann Koch alle aus Ungſtein. Wie feſtgeſtellt werden konnte, hat der Ueberfallene vorher in einer Wirtſchaft in Ungſtein mit ihnen zuſammengeſeſſen. meinden hat das Ergebnis 10 Pfennig und mehr auf den Einwohner ergeben. Die beſten 20 Gemeinden verteilen Amtsbezirke, dabei fallen in die Amtsbezirke Emmendingen, Ueberlingen, Neuſtadt und Müll⸗ heim je 20, in den Amtsbezirk Sinsheim ſogar 3 Gemeinden. In den Reihenfolgen des Erfolgs kommen auf den Einwohner Nordrach(Amt Offen⸗ burg) 52,6 Tenningen(Emmendingen) 36; Daiſen⸗ dorf(Ueberlingen) 33; Altglashütten(Neuſtadt) 31; Grenzach(Lörrach) 30; Bockſchaft(Sinsheim) 28; Aſelfingen(Donaueſchingen) 27; Schweighof(Müll⸗ heim) 27; Waghäuſel(Bruchſal) 27; Marzell(Müll⸗ heim) 26; Tegernau(Schopfheim) 26, Rickenbach (Säckingen) 24,5) Rohrbach(Sinsheim) 23; Gall⸗ mannsweil(Stockach) 21; Siegelsbach(Sinsheim) 21; Leiſelheim(Emmendingen) 20; Boll(Neuſtadt) 20; Blumegg(Waldshut) 197 Kommingen(Engen) 19; Hagenau(Ueberlingen) 18 Pfennig. Auch die 16 verbandsfreien Städte weiſen trotz der großen Arbeitsloſigkeit recht ſchöne Durch⸗ ſchnittsgziffern auf. Singen und Heidelberg haben einen Durchſchnitt von 8, Offenburg von 10 und Weinheim von 12 Pfennig erreicht. ſich auf 14 Karlsruhe und Dr. Fiſcher behandelten auf Grund des neueſten Materials die Frage der Kurzſchrift bei den Gemeindeverwaltungen. Der Unterrichtsobmann des badiſchen Verbandes, Hauptlehrer Riegler⸗Karlsruhe, unterſuchte die hoch⸗ wichtige Frage der Ausgeſtaltung und Durchführung des geſamten Unterrichtsbetriebes nach zeitgemäßen Grundſätzen. Stellvertretender Vorſitzender Scheffel⸗Mann⸗ heim ſprach in fachkundiger Weiſe über Handelskam⸗ merprüfungen und ihre Bedeutung. Die Durch⸗ führung des Verbandstages 1931 wurde dem Verein Konſtanz übertragen, der damit die Feier des 40jährigen Beſtehens verbindet. Für dieſe Tagung wurden die Pfingſttage auserſehen. 142. Jahrgang/ Nummer 2 Aus der Sfualx Unruhige Neujahrsnacht in Ludwigshafen —o0— Ludwigshafen, 2. Jan. Der Ausklang des letzten Beſatzungsjahres war hier ſehr geräuſchvoll. Im Nordſtadtteil explodierten einem jungen Arbeiter, der ein Feuerwerk abbrennen wollte, einige mit Blitzlichtpulver gefüllte Dabei wurden mehrere Perſonen verletzt. Einem elf⸗ jährigen Knaben lief ein Auge aus.— Ihren Sil⸗ veſtertrank verſchafften ſich unbekannte Täter gewalt⸗ ſam. In der Wredeſtraße wurde das Schau⸗ fenſter eines Geſchäfts eingeſchlagen und daraus Lebensmittel, Wein, Liköre und Sekt ge⸗ ſtohlen. Anderwärts verſchwand eine Korbflaſche mit 12 Liter Wein von einem Handwagen. Die Polizei nahm verſchiedene Feſtnahmen vor, wobei auch Widerſtand geleiſtet wurde. Schießgelände für Schupo * Ludwigshafen, 2. Jan. Wie mitgeteilt wird, hat das Landespolizeiamt München das von der Be⸗ ſatzung beſchlagnahmt geweſene Schießgelände in der Gemarkung Mundenheim käuflich erwor⸗ ben. Damit wird für die Schupo der notwendige Schießplatz, für die ſeitherigen Grundeigentümer wieder ein klarer Rechtszuſtand geſchaffen. Der Reichspräſident an Speyer * Speyer, 1. Jan. Zur Erinnerung an ſeinen Auf⸗ enthalt in, Speyer überſandte Reichspräſident y. Hindenburg dem Speyerer Oberbürgermeiſter ſein Bild mit Widmung und fügte die freund⸗ Selbſtmord eines Knaben * Haßloch, 1. Jan. Am Dienstag nachmittag erhängte ſich der 14 Jahre alte Junge Keller in der elterlichen Wohnung. Man glaubt, daß der Knabe in kindhaftem Ueber mut die Gefühle prüfen wollte, die man beim Erhängen hat, daß er aber infolge unvorhergeſehener Umſtände nicht mehr rechtzeitig aus der Schlinge kam. Dieſe Anſicht hat umſo mehr für ſich, als wirkliche Gründe für einen Selbſtmord nicht vorliegen. Dekan und Kirchenrat Weſtenberger * Kuſel, 2. Jan. In der Nacht auf Montag ver⸗ ſchied im 69. Lebensjahr Dekan und Kirchenrat Otto Weſtenberger an einer Lungenentzündung. Als Nachfolger des Oberkirchenrats Munzinger war er 1921 von Glanmünchweiler hierhergekommen, wy er 31 Jahre lang ſegensreich gewirkt hat. N * * Annweiler, 1. Jan. In einem benachbarten Dorfe fiel eine Landwirtsfrau in die Pfuhlgrube. Obwohl die Frau ſofort herausgezogen wurde, waren die Gasvergiftungserſcheinungen ſchon ſo weit vor⸗ geſchritten, daß nicht mehr geholfen werden konnte. Die Frau iſt bald darauf geſtorben. —————— bbc Chefredatteur: Kurt Fiſcher Verantwortlich für Polltik: H. A. Meißner Feuilleton: Dr. Stefan Kayſer Kommunalpolitik u. Lokales: Richard Schönfelder Sport u. Vermiſchtes: Willy Müller- Handelsteil: Kurt Ehmer- Gericht und alles übrige Franz Kircher— Anzeigen und geſchäftliche Mit⸗ teilungen Jakob Faude, ſämtlich in Mannheim— Herausgeber, Drucker und Verleger: Druckerei Dr. Haas, Neue Mannheimer Bellung G. m. b.., Manndeim, R 1,—6 Für unverlangte Beiträge keine Gewähr— Rückſendung erfolgt nur bel Rückporto 0 5 ROMAN VON GERTRUD WEVYMAR- HE — 38(Nachdruck verboten.) Nach dem Mittageſſen zog ſie ſich in ihr Schlaf⸗ zimmer zurück. Sie hätte Herbert gern gegen Horſt beigeſtanden, aber ſchließlich erbitterte es Horſt nur noch mehr, wenn ſie, wie immer, zu Herbert hielt. Und Horſt würde ſchon nachgeben, es blieb ihm ja keine Wahl— Inge verſchwand nach einem fragen⸗ den Blick auf Horſt in der Küche, wo ſie der Anna beim Geſchirrabwaſchen half. Sie tat das eigentlich ſchrecklich ungern. Aber Hocky hatte ſie kürzlich darauf aufmerkſam gemacht, daß das Mädchen mit Hausarbeit überlastet war. Und ihm zuliebe trocknete Inge ſogar Teller ab. a Zuweilen drängte ſich trotz der geſchloſſenen Türen Horſts tiefe oder Herberts hellere, ſcharfe Stimme zwiſchen Tellergeklapper und dem Rauſchen des Spülwaſſers an ihre Ohren. Dann ließen ſie beide, Inge und Anna, die Hände ruhen und blickten ſich ängſtlich an. Anna, die„ſehr nahe am Waſſer gebaut hatte“, ſtanden die braunen Augen gleich voll Tränen.„Er tut mir ſo leid“, ſagte ſie ehrlich. „Wer? Herbert?“ fragte Inge befremdet. „Nein. Der Herr.“ „Ach, ſo. Horſt meinſt du. Ja, der tut mir auch leid.— Aber, Anna, warum ſagſt du eigentlich immer Der Herr'?“ Das Mädchen wurde feuerrot und bückte ſich noch tiefer über die Abwaſchſchüſſel. Zu ihrem Glück er⸗ hoben ſich jetzt die Stimmen im Eßzimmer wieder lauter. Dadurch wurde Inge von ihrer Frage ab⸗ gelenkt. Sie ballte die kleine Fauſt.„Ohrfeigen müßte er ihn. So ein Bengel! Vertut eine Menge Geld. Und Horſt gönnt ſich nichts, gar nichts. Kein bißchen Freude hat er.“ 5 Anna nickte. Das Wort haftete.„Kein bißchen Freude hat er.“ Wenn man ihm einmal irgend etwas zuliebe tun könnte, dachte ſie, das müßte ſchön ſein! Die Unterredung zwiſchen den beiden Brüdern verlief ſtürmiſch. Herbert hegte auch ſonſt ſchon keine beſonders zärtlichen Gefühle für den Bruder: in dieſer Stunde, da er ſich vor ihm demütigen mußte, haßte er ihn. Und Horſt, der geſtern abend erſt bis in die Nacht hinein bei ſeiner grünen Lampe unten im Kontor über den Büchern geſeſſen und ge⸗ rechnet hatte, um dann mit einem gepreßten Auf⸗ atmen feſtzuſtellen, daß er, wenn alles gut ging, in nächſter Zeit ſeinen geſchäftlichen Verpflichtungen würde nachkommen können.— Horſt erſchien ſich wie ein Menſch, den man hinterrücks überfällt, um ihn zu berauben. Es war ihm heute nicht möglich, ſich zur Ruhe zu zwingen. Ja, wenn der Bruder wenigſtens ein anderes Weſen zur Schau getragen hätte! Einem Reuigen, Zerknirſchten hätte er, nach⸗ dem der erſte Zorn verraucht war, trotz allem hilf⸗ reich zur Seite geſtanden. Dann wäre doch auch Ausſicht auf Beſſerung geweſen. Aber Herbert war nichts weniger als reuig und zerknirſcht. Er blieb vielmehr in ſeiner krankhaften Eitelkeit vor allem darauf bedacht, ſich nur nichts zu vergeben. Was er da verlangte, war ſchließlich doch ſein Recht. Wenn die Mittel aus den laufenden Einnahmen nicht her⸗ ausgeſchunden werden konnten, ſo mußte eben eine Hypothek aufgenommen werden. „Das geht nicht. Das Grundſtück iſt ſchon hoch genug belaſtet. Meinſt du, ich hätte den Verſuch nicht bereits gemacht, wenn es möglich wäre. Frage Ju⸗ ſtizrat Anderſon; ich habe mit ihm darüber geſprochen.“ a „Der Juſtizrat iſt ein alter Pedant, wie du.“ „Sei froh, daß ich ſo ein Pedant bin. Sonſt könnteſt du jetzt vielleicht als Schneeſchipper gehen.“ „Du biſt ja verrückt. Bei meiner Begabung „Es ſitzen heutzutage noch größere Begabungen auf der Straße.“ „Herrgott, wenn ich bloß endlich nicht mehr von deiner Gnade abhängig wäre!“ „Das könnteſt du bald erreichen, wenn du ins Kolleg gingſt, anſtatt zu bummeln.“ „Was kann ich dafür, wenn mich Profeſſor Silv⸗ roth an Hennes empfiehlt?— Eigentlich biſt du ſogar indirekt daran ſchuld. Denn du hatteſt den Direx gebeten und der hat ſich an Silvroth gewandt.“ „Das ſieht dir ähnlich. Fühlſt du denn nicht, wie verächtlich es iſt, die Schuld für die Folgen ſeiner Dummheiten auf andere zu ſchieben?“ „Dummheiten? Sehr gut! Du machſt natürlich keine. Du haſt ja auch gar keine Gelegenheit dazu. Wenn man zu Hauſe an der Futterkrippe ſitzt..“ „Bitte, ich tauſche ſofort mit dir!“ Das war nun freilich nicht Herberts Abſicht. „Quatſch!“ ſagte er ärgerlich.„Das ſind ja alles un⸗ nütze Redensarten. Ich muß meine Schulden bezah⸗ len. Daran läßt ſich nicht drehen und deuteln. Ueber⸗ lege lieber, wie du mir das Geld beſchaffen kannſt! — Es kann ja meinetwegen ſpäter von meinem Erb⸗ teil gekürzt werden,“ fügte er etwas kleinlauter hinzu. Horſt war nach ſeiner Gewohnheit im Zimmer auf und ab gegangen. Jetzt blieb er vor Herbert ſtehen.„Es iſt mir tatſächlich augenblicklich nicht möglich, ſoviel Geld freizumachen. Ich habe es mir überlegt. Du mußt einen Teil deiner teuren Garde⸗ robe, alles irgend Entbehrliche, verkaufen. Am beſten wäre es, wenn die Lieferanten die Sachen zurück⸗ nehmen würden. Wenn man ihnen die Verhältniſſe klarlegt, werden ſie es vielleicht tun. Du haſt ja eine normale Figur.“ Herbert war abwechſelnd rot und blaß geworden. Jetzt fuhr er auf.„Großartig, wie du über meine Sachen verfügſt!“ „Um deine Sachen würde ich mich nicht kümmern, wenn ſie die Firma nicht bezahlen ſollte.— Du haſt da zum Beiſpiel einen teuren Gehpelz. Ich ſah ihn draußen hängen. Wenn der zurückgenommen ober verkauft würde, dürfte ſchon ein Teil der Schulden getilgt ſein. Außerdem haſt du ſicher auch einen ele⸗ ganten Frackmantel?“ „Allerdings, aber..“ „Auch den brauchſt du nicht. Als einfacher Student kommſt du mit deinem Wintermantel aus. Ebenſo ſind ſicher ein paar Anzüge entbehrlich. Du wächſt doch vermutlich noch und kannſt die vorhandenen gar nicht auftragen.“ „Und wenn ich dir ſage, daß ich auf dieſen Schacher nicht eingehe?“ Sie ſtanden ſich gegenüber. Herbert reckte ſich ſo äußere Ueberlegenheit des ſtattlichen Bruders, wie ein Symbol. Horſt zuckte die Achſeln.„Wenn du nicht darauf eingehen willſt, dann ſieh zu, wer dir deine Schulden bezahlt! Ich kann es nicht.“ 8 „Du willſt nur nicht.“ „Nein, ich kann nicht.— Ich darf Mutter und wäre unverantwortlich.“ Seine Stimme wurde mil⸗ nen Vorſchlag! Es iſt doch ein Ausweg.“ Herbert tat, was er als Knabe ſchon getan hatte, wenn er keine Gegengründe mehr wußte, Er ſetzte ſeine hochmütigſte Miene auf und ſchwieg hartnäckig. Horſt ging ärgerlich mit ſchwerem Herzen hinunter ins Kontor. Kaum hatte er die Karre ein wenig flott gemacht, da lag ihm ſchon wieder ſo ein verdammter Stein im Wege. Wann würde er endlich einmal frei aufatmen können?!—— 5 Beim Abendeſſen gab es noch einen Zuſammenſtoß zwiſchen den Brüdern. Die unſchuldige Urſache war Anna, an der Herbert ſeinen Groll ausließ. Er er die Abneigung des Mädchens und merkte, daß ſie Horſt, wenn ſte ſich unbeobachtet glaubte, mit demütig⸗ zärtlichen Blicken verfolgte. Sie hatte auf Wunſch der Mutter ein feſtliches Abendeſſen zubereiten müſſen, „ein Kalb ſchlachten“ nannte es Inge ſpöttiſch. Da Anna im übrigen Arbeit genug gehabt hatte und Frau Hagen ſich heute kaum um die Küche geküm⸗ mert, ſondern es vorgezogen hatte, mit Herbert zu plaudern, war eine Speiſe in der Eile nicht recht ge⸗ lungen. Es handelte ſich unglücklicherweiſe um Her⸗ berts Lieblingsgericht, und er witterte darin eine Bosheit des Mädchens gegen ſich.„Das Frauen⸗ nas Gegenwart in ſeiner rückſichtsloſen Art, 5 Anna wurde blutrot und ſah Horſt au und ſchluckte die Kränkung ſchweigend hinunter. 5 „Es liegt gar kein Grund zu ſolchen Reden vor,“ ſagte Horſt ſtreng. 8 Anna verließ das Zimmer. „Was fällt dir ein, mich vor der Perſon zurech zuweiſen?!“ begehrte Herbert auf. 8 „Und was fiel dir ein, das Mädchen zu beleidigen Sie iſt treu und brav und arbeitet faſt über hoch wie möglich und fühlte dgch voll Ingrimm die Kräfte.“ (Fortſetzung folgt) 5 N Blechdoſen. S lichſten Grüße für das Gedeihen der Stadt Speyer bef. 9 ä——— Inge nicht für deinen Leichtſinn büßen laſſen. Dass der.„Herbert, ſei doch vernünftig! Ueberleg' dir mei. brauchte immer einen Blitzableiter. Außerdem fühlte 1 zimmer wird immer dämlicher,“ ſchimpfte er in An⸗
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142 (2.1.1931) 2. Abendblatt
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