Eein Erlaß der Rhe nlandkommiſſion die Rheinlandeommiſſion ertieß geſtern folgende Sonderverordnung betrefſend die in Artikel 7 der Anlage 3 der im Wen beingepreiſe: In Mannheim und Umgebung möchent⸗ ich 68 Gold⸗Pfennig. Die monatlichen Bez eher verpflichten ich bei eytl. Aenderung der wirtſchaftlichen Verhältniſſe notmenoig werdende Preiserhöhungen anzuerkennen. Poſi⸗ Mectonto Nr. 17590 Karlsruhe.— Hauptgeſchäftisſtelle Waunde m E 6, 2.— Geſchäfts⸗Neb enſtelle Neckarſtadi, aldhofſtr 6. Fernſprecher Nr. 7941—7945, Telegr.⸗Adr. eneralanzeiger Mannheim. Erſcheint wöchentl. zwölfmal. Kapitulation Pei-Ko-haus 15(Spezialkabelbericht der United Preß) eESchanghai, 18. Sept. Der Fall von Schanghai wird als unmittelbar bevorſtehend angeſehen. Er dürfte eine Folge ſein er Wäffenſtreckung des Generals Pei⸗Ko⸗han, die auf dem ſüdlichen Kriegsſchauplatz noch zu ungeahnten Folgen führen dürfte. Pei⸗Ko⸗han hat mit ſeinen geſamten Streitkräften ſich dem interführer von Tſchi⸗Schi⸗hſun, General Fukien, ergeben. Da⸗ mit iſt die Hauptwiderſtandskraft Lu PYung⸗hſiangs gebrochen. Die⸗ ſer ſoll bereits aus Schanghai geflohen ſein. Von ſeinen Truppen eiſten nur noch die am Liu⸗ho und an der Wang⸗lio Front den An⸗ greifern Widerſtand. Ein Durchbruch an dieſer Stelle wird für ute nacht erwartet. Dann wäre Schanghai ſchutzlos den Angrei⸗ ſern überlaſſen. der Fuſammenbruch der Schang hai⸗Sront Die fremden Verteidigungstruppen 15 befinden ſich im höchſten Alarmzuſtan d. Alle Maßnahmen ſind betroffen, um bei dem erwarteten panikartigen Einſtrömen der zu⸗ kückweichenden Tſchekiang⸗Truppen die Ordnung aufrecht zu erhal⸗ n. Das bisher von der Unruhe des Bürgerkriegs verſchonte Euro päer⸗Viertel beginnt in Mitleidenſchaft gezogen zu wer⸗ Die Eingeborenenſtadt kann die ſich noch immer vergrößernde Jahl der Flüchtlünge, die bereits eine Millio n erreicht hat, nicht mehr faſſen. Um für alle Eventualitäten gerüſtet zu ſein, ſind drei amerikaniſche Zerſtörer klar zum Gefecht. Die Marineſoldaten wachen die Eingänge der Fremdenſiedlung, um deren Ueberren⸗ dung durch die Maffen der Eingeborenen zu verhindern. 280 2 Soſornige Famneſtie im beſeglen Sebſet Londoner Protokoll vorgeſehenen Amneſtiemaßnahmen: Arkikel 1. Alle Strafverfölgungen, die bel den alliierten Gerichtsbarkeiten und Verwalkungsbehörden einerſeits und der deulſchen Gerichtsbarkeit andererſeits in Anwendung der Ver⸗ ordnung der Nheinlandkommiſſion gegen irgend eine Perſon, fei es wegen einer ausſchließlich oder überwiegend aus polftiſchen Grün⸗ en begangenen Tat, ſei es wegen ihres poliliſchen Verhaltens in befetzten Gebieten ſeit dem 11. Januar 1923 bis zum Inkraft⸗ eten der gegenwärliſen Verordnung, ſei es wegen ihres Nichtge orſams gegenüber den beſtehenden Ordonnanzen, Berotdnungen anderen Anordnungen, die von den Beſatzungsbehörden und mit Bezichung auf die Ereigniſſe während des gleichen Jeitraumez erlaſſen wurden, anhängig ſind, werden endgültig einge⸗ ellt. geine neuen Unkerſuchungen oder Verfahren dürfen ein⸗ heleitet und niemand darf beunruhigt, beläſtigt oder einem maleri⸗ elen oder moraliſchen Nachteil wegen einer Tat dieſer Art unker⸗ orfen werden. Artikel 2. die Interalltierte Rheinlandkommiſſion hebt alle degen der im vorherigen Artikel aufgezählten oder vor dem In⸗ daltreten der gegenwärkigen verordnung begangenen Taden von deulſchen Gerichten ausgeſprochenen Verurkeilungen ſowie die Sianden unter ihrer Amtsgewall ſtehenden Organen verhängten errafen auf. Die von den Gerichten oder Verwaltungsbehörden dunnten Geldbußen und anderen Geldſtrafen die bereits be⸗ ſind, werden nicht zurückgezahlt. 2 Arkikel 3. Die Beſtimmungen der Arkikel 1 und 2 ſinden keine nuwendung auf Verbrechen gegen das Leben, die den Lod herbeigeführt haben. wu, Arkitel 2. Die Straftaten, die nicht unker die in den Beſtim: ungen der Arkfkel 1 und 2 vorgeſehenen Amneſtie fallen und die degenwärtig infolge der Einrichtung beſonderer ſeit dem 11. 9. 23 wicaffenen Dienſtzweige der interalllierten Gerichtsbarkeit unter · desſen ſind, gehen auf die deutſche Gerichtsbarkeit über. derdeleichen werden von den deutſchen Gerichten die Skraftaten flelben Art abgeurteilt, die bisher noch nicht Gegenſtand von ſeihefverfolgungen waren und jene, die bis zur endgültigen Be⸗ lligung der genannten Dienſtzweige begangen werden. ſüt Artikel 5. Die Sonderverordnung ſowie alle zu ihrer Aus · debtung gefaßten Beſchlüſſe, Anwendungen und Beſtimmungen, die u Vorſchriften dieſer Verordnung entgegenſtehen, werden hiermit ufgehoben. Artikel 6. Dieſe verordnung iſt im Drückenkopf Aehl anwendbar. 94 Aurrtitel 2. Die verordnung kritt ſo fort in Ataſt. E2965 5 Weitere Zurücknahme von Ausweiſungen 6, dn ihrer geſtrigen Sttumg hat die Rheinlandkememiſton die teil eiſe Zurücknahme von Ausweiſungen ausgeſprochen. die Zahl beläuft ſich auf 654 Perſonen für die franzöſiſche abe. Weiterhin bat die Nheinlandtommiſſon 16 Weamte in dchen Gebiet wieder zu ihrem Amt zugelaſſen. Die Verhand⸗ 595 zwiſchen den alliierten Behörden und den Vertretern der chen Regierung werden in dieſen Tagen fortgeſetzt. Mittag⸗Ausgabe aunheimerGeneral Anzeiger Veilagen: Bilder der Woche Sport u. Spiel Aus Seit u. Leben mit Mannheimer Frauen- u. Muſik⸗Jeitung Aus der Welt der Cechrul„Aus Feld u. Garten. Wandern u. Neiſen Die erſten Folgen der Niederlage (Spezialkabeldienſt der United Preß) Schanghaß, 18. Sept. Die Waffenſtreckung des Generals Pei⸗ Ko⸗han hat ſich auch hinter der Front der Tſchekiang⸗Truppen be⸗ reits ausgewirkt. Der Zivilgouverneur von Hang⸗tſchan, General Sun Tſchuan⸗fang hat ſich von Lu Mung⸗hfiang ge⸗⸗ trennt und ſeine Unabhängigkeit proklamiert. 8* Mu- Pei-Ju Oberbefehlshaber der Regierungskruppen Spezialkabetdienſt der United Preß) Poeking, 18. Sept. Ein Drekret des Präſidenten Tao⸗sKun ernennt 5 Amerikaner und 9. Chinaſen zu Mitgliedern der Kon⸗ trollkommiſſion für den aus der Boxerentſchädi⸗ gung für Amerika angeſammelten Fonds für Erziehungszwecke. Ein weiteres Dekret gibt die formelle Ernennung von Wu⸗Pei⸗ Fu als Oberbefehlshaber bekannt, dem der Befehl erteilt wird, un⸗ erzüglich eine Strafexpedition gegen den zum Rebollen er⸗ klärten Tſchang⸗Tſo⸗Lin zu unternehmen. ** Die Lage an der Nordfront Aus Pekina wird offiziell berichtet. daß die Truppen in der Mandſchurei ſich in raſchem Vormarſch auf Pekina befinden. Die Regierung entſendet Truppen um den Vormarſch aufzuhalten. Aus Tientſin wird gemeldet: Fluazeuge der Armee Tſchana⸗Tſo⸗ Lins haben auf Tſchanhaikwan. am Oſtende der chinefiſchen Nauerx Bomben abgeworken. 92 5 e 8 — die Durchführung im Gange Die Durchführung der gemäß dem Londoner Abkommen verein⸗ barten Amneſtie iſt ſowohl bei den deutſchen als auch bei den fran⸗ zöſiſch⸗belgiſchen Stellen im Gange. Täglich werden weitere Enk⸗ laſſungen bekannt. Geſtern würde bereits gemeldet, daß auch ein Teil der früher in St. Martin de Re inhoftierten Gefange nen in Freiheit geſetzt wurden. Es iſt zu erwarten, daß ſie bis auf Zweifelsfälle in kurzer Friſt durchgeführt ſein wird. Von ver⸗ ſchiedenen Seiten wurden Beſchwerden darüber erhoben, daß die Amneſtie auf die im Abweſenheitsverfahren Ver⸗ urteilten in einzelnen Bezirken bisher nicht angewendet wurde, oder daß einige franzöſiſche Dienſtſtellen erſchwerende Formalitäten von ihnen verlangen. Ferner ſind Klagen laut geworden, daß an einigen Stellen angeordnet wurde, die unter die Amneſtie fallenden Geldſtrafen und Prozeßkoſten noch einzutreiben oder ſich aus hinter⸗ legten Kautionen oder Beſchlagnahmen bezahlt zu machen. Mit dieſen Fragen iſt die deutſche Abordnung in Koblenz befaßt. Klagen über die Durchführung der Amneſtie, ſoweit ſie nicht durch unmittelbare Vorſtellungen bei den franzöſiſch⸗belgiſchen Be⸗ hörden oder durch Vermitllung der Verteidiger ihre Erledigung finden können, bei der deutſchen Abordnung in Koblenz, Caſtorpfaffenſtraße 26 vorgebracht werden. Der Oberrealſchüler Ketteler, der unter der Anſchuldigung an einem Anſchlag auf den berüchtigten Separatiſtenführer Gum⸗ binger von Rorheim beteiligt geweſen zu ſein, von dem fran⸗ zöſiſchen Kriegsgericht in Landau zu 5 Jahren Zwangsarbeit ver⸗ urteilt worden iſt, und deſſen Strafe auf ſeine Reviſion hin von dem franzöſiſchen Appellationsgericht in Mainz zu 10 ren Zwangs⸗ arbeit erhöht wurde, iſt aus dem franzöſiſchn Militärgefängnis in Mainz entlaſſen worden. Während die Liſte der ſogen.„‚Unerwünſchten“ d. h. der⸗ jenigen ausgewieſenen Deutſchen, denen die Rückkehr ins beſetzte Gebiet nicht mehr geſtattet werden ſoll, für das Einbruchs⸗ und Sanktionsgebiet erſchienen iſt und nur 5 Namen enthält, war es bisher trotz aller deutſchen Vemühungen noch nicht möglich ge⸗ weſen von der Rheinlandkommiſſion die Herausgabe der Liſte der Unerwünſchten für das altbeſetzte Gebiet zu erhalten. Nach dem Londoner Abkommen ſoll es ſich bei— 8„uner⸗ wünſchten Perſonen“ nur um Einzelfälle(cas particulers) handeln. Alle übrigen Ausgewieſenen ohne weiteres d. h. ohne Prüfung der Einzelfälle inihre Heimat zurückkehren. Nach Buchſtaben und Sinn des Londoner Abkommens ſoll alſo die Zurücknahme der Ausweiſung für das altbeſetzte Gebiet ebenſo wie für das Einbruchs⸗ und Sanktionsgebiet en bloc erfolgen. Trotz des Londoner Abkommens iſt es jedoch bei der Zurücknahme der Ausweiſungen bisher bei der alten Methode geblieben, d. h. es iſt bis jetzt eine Liſte erſchienen, die die Namen von 1200 Deutſchen enthielt, deren Ausweiſung aufgehoben wurde. Unter diefen 1200 Perſonen befanden ſich eine ziemlich große Anzahl von Deutſchen, deren Ausweiſung ſchon vorher zurückgenommen worden war, ferner von ſolchen, die gar nicht ausgewieſen waren, wie 3. B. der Juſtizrat Schmidt von Kaiſerslautern, ſo daß ſich die Zahl 1200 um die Zahl dieſer Perſonen ziemlich verringert. Allein in der Pfalz warten noch etwa 1000 Familien⸗ vorſtände auf die Aufhebung ihrer Ausweiſung und leben in ſtändiger Sorge, daß ſie ſich auf der Liſte der Unerwünſchten befinden. Die Befürchtung, die Verzögerung in der Herausgabe der Liſte der ſog. Unerwünſchten habe ihren Grund darin, daß es ſich nicht, ſ˖wie im Londoner Abkommen vereinbart, um ſeh vereinzelte Fälle handle, ſondern daß die Liſte ſehr umfangrei ſein werde, und daß Ideshalb die Rheinlandkommiſſion ſich ſcheue, dieſe dem Londoner Abkomen widerſprechende, ſehr umfangreiche Liſte der Oeffentlich⸗ eeit bekanntzugeben, ſcheint ſich zu beſtätigen. Wie veklautet, ſind nunmehr von der Rheinlandkommiſſion die Liſten der ſog. Unerwünſchten der deutſchen Delegation übergeben worden. Sicherem Vernehmen nach beträgt die Zahl der uner⸗ wünſchten Perſonen allein für das kleine beſetzte Rheinheſſen 50. Es iſt daher die Befürchtung nur zu berechtigt, daß die Liſte für die übrigen Teile der franzöſiſch⸗belgiſchen Zone des alt⸗ beſetzten Gebietes nicht kleiner ſein wird. Das Eintreffen dieſer Liſten bei den Regierungen der übrigen von der Beſetzung betrof⸗ fenen Länder wird ſtündlich erwartet. reis 10 Pfennig 1924— Nr. 433 Anzeigenpreiſe nach Tarif, bei Vorauszahlung pra ein⸗ ſpallige Kolonelzeile für Allgemeine Anzeigen 0,40.⸗Pe. Reklamen.—.⸗M. Für Anzeigen an beſtimmten Tagen Stellen und Ausgaben wird feine Verantwortung über⸗ nommen. Höhere Gewalt, Streiks, Betriebsſtörungen uſw. berechtigen zu keinen Erſatzanſprüchen für ausgefallene ader beſchränkte Ausgaben oder für verſpätete Aufnahme von An⸗ zeigen. Auftr.d. Fernſpr.ohne Gewähr. Gerichtsſt. Mannheim. Indien in der Wagſchale (Von unſerem Londoner Vertreter) Die akute Kriſe in der engliſchen Herrſchaft üher Indien, die die Verwerfung des Lee⸗Gutachtens durch die Geſetz⸗ gebende Verſammlung in Simla hervorgerufen hat, ſtellt ſich als eine der übelſten Folgen des Weltkrieges für das Britiſche Reich dar. Indien hat ſeit den Tagen der Oſtindien⸗ Geſellſchaft als der wichtigſte Beſtandteil des Britiſchen Weltreiches gegolten. Um den Beſitz der„Schätze Indiens“ iſt das Inſelreich von allen Völkern der Erde beneidet worden. Und die Kaiſerkrone von Indien, die der Königin Viktoria von dem geiſtvollen Premier⸗ miniſter Disraeli zum Geſchenk gemacht wurde, hat das ihrige zu dem exotiſchen Nimbus beigetragen, der das größte Weltreich der Neuzeit umgibt.—— Allerdings macht man ſich in der ganzen Welt meiſt falſche Vorſtellungen von dem nie endenden Goldſtrom, der angeblich von Indien nach England fließt und den Reichtum dieſes Landes aus⸗ machen ſoll. Man meint, daß Indien an Revenuen, Zöllen, Steuern oder Gott weiß was ſonſt, einen ungeheuren Tribut an England zu entrichten habe, die von Fürſten und hohen Beamten aus den in großer Armut lebenden Eingeborenen herausgepreßt würden. Das iſt ein Irrtum. Indien zahlt keinerlei Tribut und trägt zu den Einkünften des Britiſchen Reichs oder des Königreichs Großbritannien nichts bei. Alle indiſchen Staatseinkünfte bleiben im Lande und werden zu indiſchen Regierungszwecken verwendet. Die engliſche Regierung ſieht nichts davon. Selbſtverſtändlich ziehen aber der engliſche Handel und die engliſche Induſtrie aus der Herrſchaft ihres Landes über Indien erhebliche Vorteile. So iſt z. B. eine ungeheure Summe britiſchen Kapitals in den indi⸗ ſchen Eiſenbahnen angelegt, deren Zinſen natürlich nach England fließen. Indien wird kommerziell noch von England be⸗ herrſcht, aber die wachſende Konkurrenz des Auslands und die zunehmende Entwicklung der heimiſchen Induſtrie machen ſich auch in dieſer Einnahmequelle für das Inſelreich ſchon ſtark fühlbar. Nuün blieb aber noch ein feſtes Band, das Indien an England knüpfte— das Kords von engliſchen Beamten und Offi⸗ zieren mit dem Vizekönig und ſeinem glänzenden Hof an der Spitze. Das war eine wundervolle Verſorgungsanſtalt für die Söhne und Vettern der oberen Klaſſen Albions. Der Vizekönig und ſein Stab mußte in orientaliſcher Pracht leben, um den ein⸗ heimiſchen Fürſten, den Radſchas und Maharadſchas, zu imponieren, und die Beamten und Offiziere führten ebenfalls ein luxuriöſes Leben, wie es ihrer Stellung als Herren des Landes entſprach. (Nicht, daß ſie auf der Bärenhaut gelegen und ſich moraliſch als unfähig gezeigt hätten. Die Engländer ſind tüchtige Organiſatoren und Verwalter, und die Arbeit war für manche über das Rieſen⸗ reich zerſtreute Beamte aufreibend und voller Gefahren. Die engliſche Verwaltung war im allgemeinen wirkſam, ſtellte Ruhe und Ordnung her, und die anglo⸗indiſche Armee erhielt durch viele hervorragende Höchſtkommandierende, beſonders durch Kitchener, eine glän zende Organiſatſon. Der Zahn der Zeit hat auch an dieſem Privileg Englands genägt. Immer größer iſt die Anzahl der europäiſch gebildeten Inder gewachſen, und immer dringender wurde deren Verlangen, an der Regierung des Landes teilzunehmen. Immer mehr mußte England dieſem berechtigten Verlangen nachgeben, bis der Beamten⸗ körper ſchließlich von Eingeborenen durchwachſen war. Die indiſche Regierungsakte von 1915, die ſog. Chelmsford⸗Montagu⸗Akte(Lord Chelmsford war Vizekönig und Montagu indiſcher Staatsſekretär, als ſie vom engliſchen Parlament angenommen wurde) trug dieſem Zuſtande Rechnung, Sie organiſierte die Verwaltung unter Zuzug indiſcher Elemente. Die Akte iſt verſchiedentlich durch Amendements erweitert worden, und endlich im Jahre 1919 erhielt Indien als Kriegsbelohnung und um der damals die Welt durchziehenden, revo⸗ lutionären Bewegung vorzubeugen, eine Art Selbſtverwal⸗ tung. Es wurden geſetzgebende Körper für die verſchiedenen Pro⸗ vinzen und eine Zentrale geſetzgebende Verſammlung für das ganze Reich auf Grund eines verſchränkten Wahlſyſtems konſtituiert. Ihre Befugniſſe ſind jedoch ſtark begrenzt und genügten den indiſchen Führern nicht. Eine wachſende revolutionäre Bewe⸗ gung hat ſeitdem das Land beunruhigt. Die Befürworter der in⸗ diſchen„Homerule“, des„Swaradſch“, die ſog.„Swaradſchiſten“, wollen, wie die iriſchen Sinnfeiner, das Land für ſich allein haben und die Engländer ins Meer werfen. Ihr Held Gandhi, der indiſche Devalera, ſitzt wegen Aufforderung zur Empörung im Gefängnis, ganz nach iriſchem Muſter. Dieſe indiſchen Sinnfeiner, oder vielmehr auf Indiſch Swara⸗ dſchiſten, beſitzen in der zentralen, geſetzgebenden Verſammlung die Mehrheit und haben, wie gemeldet, ſoeben den von der anglo⸗indiſchen Regierung angenommenen und im Znetralparlg⸗ ment eingebrachten Lee⸗Bericht zu Falle gebracht. Der Lee⸗Bericht wurde im Anfang dieſes Jahres von einem auf 5 britiſchen und 4 indiſchen Mitgliedern beſtehenden Ausſchuß unter dem Vorſitz des Viscount Lee entworfen und beſchäftigt ſich mit der Reorga⸗ niſation der indiſchen Beamtenſchaft. Er ſieht eine allmähliche Hinzuziehung indiſcher Beamten ſowie Verbeſſerung der Gehälter und andere notwendig gewordene Umänderungen vor. Den Swaradſchiſten genügt er nicht. Sie verlangten in ſehr hef⸗ tigen Parlamentsdebatten das ſofortige Aufhören der Rekrutierung engliſcher Beamten. Kurz, ſie wollen Indien allein r egieren. Nach dem Lee⸗Gutachten bleiben aber immer noch ungefähr 400 der höchſten Aemter in engliſchen Händen. England kann und will ſeine Herrſchaft über Indien nicht freiwillig aufgeben. Darüber ſind hier alle— bis auf denkt nicht daran, wie Macdonald bereits energiſch erklärt hak. Doch was nun? Die angloeindiſche Regierung hat das konſtitutio⸗ nelle Recht, den Lee⸗Bericht ohne Genehmigung des indiſchen Parlaments einzuführen. Er iſt unterdeſſen von dem oberſten Rat in Indien, einer vom Vizekönig ernannten, aus Engländern und Eingeborenen beſtehenden, beratenden Körperſchaft, angenommen worden. Wahrſcheinlich wird er kurzerhand durch vitekönigliche Verfügung eingeführt werden. Ueber die nächſten Schritte Indiens iſt in der Wagſchale. So geht es nicht weiter. Die extrem Konſervatiben in England raten, die ganze Chelmsford⸗ Montagu⸗Akte in den Papierkorb zu werfen, da ſich Indien der Selbſtregierung als unfähig erwieſen habe, und den früheren abſolutiſtiſchen Zuſtand wieder einzuführen. Aber das Rad der Zeit läßt ſich nicht zurückſtellen, in Aſien ebenſowenig wie in Europa. Maedonald wird wohl weitſichtiger ſein und verſüchen, durch Feſtigkeit ſowohl wie durch angemeſſene Konzeſſionen an be⸗ rechtigte Anſprüche der Eingeborenen deren allmähliche Erziehung mehr aktuellen Auffaſſung der Zugehörigkeit Indiens zum ritiſchen Reich zu bewirken. Ob es ihm— oder ſeinen Nachfolgern — gelingen wird, bleibt eine Frage der Zukunft. 4 eine Handvoll Extremer— einig Selbſt die Arbeiterregierung arbeitet jetzt das Kabel zwiſchen Simla und London. Die Zukunft
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(19.9.1924) 435. Mittag-Ausgabe
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