Beilage 
140 (19.10.1929) Festausgabe zum Einzug ins Bassermannhaus - 140 Jahre Neue Mannheimer Zeitung [Beilage]
 
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Zur Weihe Aus einem Haus voll hoher Traditionen, Das nun zu eng ward, in ein neues ziehn, Wo dennoch alte, gute Geiſter wohnen, Heißt nicht dem bindenden Symbol entfliehn. Seltsames Glückl im neuen, wie im alten Das gleiche Bürgerwappen kündet an: Hier half errichten und hier half geſtalten Der freie Geiſt des Hauſes Baſſermann. Ein ſtolzer Sinn, der einſt in ſchönern Zeiten, Von Dünkel, wie von Liebedienerel Gleich weit entfernt, half hier das Reich bereiten. Nur ſolche inn're Freiheit macht uns frei. Ernſt Baſſermannl Der Name bleibt uns teuer; Sein Ideal und ſein Gedankenflug Weht hier wie dort. Nie war der Sendung treuer Em Mann bis zu dem letzten Atemzug. des Hauſes Und heißt nicht Zeitung machen: dienen, Sich geben ohne Reſt und ohne Raſt? So lädt dies Haus mit feſtlich heitern Mienen Im alten Geiſte Jedermann zu Gaſt. So trägt die Neue Zeitung in die Räume Ein gutes Erbe, das aus ſich erſtarkt. Nicht mehr verſunken ſteht in ſtille Träume Das ſtolze Giebelhaus am alten Markt. Was je erſonnen ward auf Pfälzer Erde Zu guter Tat, hier mag es auferſtehn. Doch rückwärts mit verdroſſener Gebärde Langt nicht der Blick. Steil mags, doch aufwärtsgehnl Und wie das Antlitz, nur verjüngt, die Züge Des alten Hauſes trägt, ſo wohl vertraut, So ſchafft der Geiſt der Zeitung am Gefüge Des Reiches mit, das neu ſich auferbaut. Julius Ferdinand Woll] Unſer Weg, unſer Ziel DieNeue Mannheimer Zeitung am Mannheimer Marktplatz! Ragend und hehr, in ſeinen klaſſiziſtiſchen Formen ein Kunſtwerk und dennoch kein Prunkbau, ſondern eine Stätte lebendigen Wirkens, des Arbeitens an der Zeit und für die Zeit, elne Heimſtätte der Arbeit Überhaupt, verbunden mit dem Neubau der Technik: jo ſteht unſer Heim da. Es iſt nicht nur der ſchöne Anblick der Weinbrennerfaſſade, der die Schritte der über den Markt Eilenden zum Einhalten zwingt, die Zeitung und ihr neues Heim am Brennpunkt des öffentlichen Lebens der Stadt ſind nun ſelber zu einem Teil der Stadt geworden. Aus der Enge der Altſtadtquadrate heraus, aus jenem Geviert, das ein Zufall von faſt ſumboliſcher Bedeutung die beiden Heimſtätten der Druckereien beherbergt, in denen durch faſt 140 Jahre dieNeue Mannheimer Zeitung und ihre Vorgängerinnen erſchienen ſind, iſt ſie an die lichte Weite des großen Platzes im Herzen der Stadt ge⸗ rückt, an den Strand des täglich immer ſtärker flutenden Lebens durch die Breiteſtraße. Aber ſie iſt nicht nur die Nehmende allein, ſie gibt auch der Stadt und dem Marktbilde ein Schmuckſtück, durch das beide gewinnen. Aber wenn je Beſitz verpflichtet, dann gerade hier. Das Baſſermannhaus am Markte bliebe ein leeres Gehäuſe, nur verdeckt durch eine Faſſade, wenn in ihm nicht die Kräfte des Geiſtes und des Arbeltswillens lebendig wären. Die moderne Zeitung muß, wenn ſie dem Pulsſchlag unſerer Zeit folgen will, anders eingeſtellt ſein, als die behagliche Journallſtit und einfache Betriebsform von vor⸗ geſtern. Wohl gilt es immer wieder von neuem, die Tradition eines alten Hauſes zu wahren. Aber Tradition darf niemals zu einem Poſten werden, der gelegentlich in der geiſtigen Inventur erſcheint, oder bel Jubiläen in Feſtreden hervorgeholt wird. Dle Tradition einer Zeltung beſteht in ihrer Geſchichte, muß ſich aber zugleich in pulſendes Leben mit dem Willen zum Vorwärtsſchreiten verkörpern. So wird ganz von ſelbſt die Zeitung zur Führerin vieler Tausende. Aber wehe ihr, wenn ſie die Standarte verbleichen oder ver⸗ ſchleißen läßt. Gar bald wendet ſich die Gefolgſchaft neuen Fahnen zu. So iſt es für die moberne Zeitung ein täglich neu zu ergründendes Geheimnis, bewahrend und jortſchrittlich in Einem zu sein. Die Verbundenheit mit der Stadt, in der wir wohnen und mit der engeren Heimat, in der wir leben, zeigt ſich in den Wechſelbeziehungen der Zeitung zu den Menſchen und Dingen. Der Kampf der Meinungen, aber auch der wirtſchaftliche Weltbewerb hält die Kräfte rege. Daraus formt ſich neue Verantwortung, neues Wegeſuchen! So ſteht auch unſere Zeitung am heutigen Tage an der Schwelle eines bedeut⸗ ſamen Entwicklungsabſchnittes, äußerlich gekennzeichnet durch das neue Heim und auch durch das neue Gewand. Schon lange war das alte Kleid zu eng geworden. Die Anforderun⸗ gen, die an die modernen Zeitungen geſtellt werden, wachſen von Tag zu Tag. Soll die Zeitung ihrer vornehmſten Aufgabe, Geſchichtsſchreiberin des Tages zu ſein, vollauf genügen, oll ſie der überſtürzenden Fülle der Ereignſſſe entſprechend ſchnell, feſſelnd und dennoch umfaſſend berichten, muß die Überfülle des Stoffs ſtärker zuſammengezogen und in eine Überſichtlichere und klarere Raumeinteilung geſpannt werden. Die ſchweren An⸗ jorderungen des Lebens, die heute an jeden geſtellt werden, zwingen die Zeitung, mehr Entspannung und Unterhaltung zu bieten als bisher. Anregung und Abwechslung müſſen forkan die beiden Leitſterne ſein, ohne daß das geiſtig Unerläßliche vernachläſſigt und die großen politiſchen und kulturellen Aufgaben unbeachtet bleiben, eingedenk der Tatſache, daß für viele Tausende auch heute noch die Zeitung die einzige Brücke iſt, über die ſie an die Geſtaden der geiſtigen Gefilde gelangen. Somit ergibt ſich unſer Programm und damit unſere Aufgabe vpn ſelbſt. Die Neue Mannheimer Zeitung wird auch jernerhin die täglichen Bücher der Chronika aus der Heimatſtadt und dem Badener Land veröffentlichen. Wir ſind in guten und böſen Tagen ſo eng mit der Geſchichte Mannheims verbunden, daß wir uns von ihr weder loslöſen wollen noch können. Wenn wir dabei die Geſchichte der alten Kurpfälzer Zeit beſonders pflegen, ſo aus dem Grunde, um der heutigen Generation den Sinn für das hiſtoriſch Gewordene wieder zu wecken, weil ſonſt die Gegenwart kaum verſtanden wird. Solange Mannheim zu Baden gehört, hat auch unſere Zeitung deſſen Geſchicke mitgetragen und wenn in näherer oder ſpäterer Zeit die engeren Landesgrenzen verſchwinden ſollten, wird unsere Zeitung nach wie vor ein badiſch⸗pfälziſches Heimat⸗ blatt bleiben, mit der ganzen Liebe und Treue, die dieſem ſchwergeprüften und vielleicht gerade deshalb gottgeſegneten Landſtrich gebühren. Daß dem großen deutſchen Vater⸗ lande wie in der Vergangenheit, ſo auch in der Zukunft unsere mitwirkende Arbelt gehört, iſt eine Selbſtverſtändlichkeit, die nicht beſonders hervorgehoben zu werden braucht. Die deutſchen Zeitungen, die in der Nachkriegszeit der Randpreſſe angehörten, haben unter ſchweren persönlichen und materiellen Opfern die geiſtige Wacht am Rhein gehalten. So ſei es auch in der Zukunft! Ueber 40 Jahre iſt unſere Zeitung kreu zum Liberalismus, in ſeinen wechselnden Formen und Anſchauungen geſtanden. Auch heute bekennen wir uns erneut zu ſeiner Welt⸗ anſchauung und der von ihm befolgten Politik des Ausgleichs. Wir verſuchen in Freund⸗ ſchaft und Fühlung mit führenden Männern aus Politik und Wirtſchaft die unab⸗ hängige geistige Grundeinſtellung unſerer Zeitung zu wahren, weil nach unſerer Ueberzeugung nur dadurch ſtärkeres Gewicht der öffentlichen Meinung erzielt werden kann. Dieſes Beſtreben nach Ausgleich ſoll uns auch geleiten in der Arbeit, das suum cuique eines jeden Standes in Stadt und Land zu wahren. Unſer Volk iſt heute leider durch politiſche, konfeſſionelle und wirtschaftliche Gegensätze ſo ſehr in Parteien und Parteichen zerriſſen, daß es eine Plaktform geben muß, auf der ſich alle zuſammenfinden. Wenn es derNeuen Mannheimer Zeitung gelingen ſollte, in dieſem Sinne verſöhnend zu wirken, hat ſie vor ihrem eigenen Gewiſſen und ihrer Verantwortungsbereitſchaft, aber auch vor dem unbeſtechlichen Stift der Geſchichte ihre Aufgabe erfüllt. Mit dem neuen äußeren Format braucht aber dieNM nicht ihr geiſtiges Format zu verändern. An dieſem Tage, an dem unſere Zeitung zum erſten Mal im neuen Gewande herausgehl, ſei ausdrücklich betont, daß ihr Geiſt der alte bleibt: Das gewiſſenhafte Bemühen, die nationalen Fragen ausſchließlich vom Standpunkt ſtaats⸗ politiſcher Betrachtung zu ſehen, den polltiſchen und ſozialen Kampf zu entgiften, um ſich dem Dienſt an Vaterland und Heimat zu widmen im Sinne des Glückwunſches, den Hindenburg uns übeiſandt hat:Im Dienſt der Einigung des deutſchen Volkes! 95