echt primitiven Amtswohnung aufzuhalten. 12. Seite Nummer 424 Neue Maunheimer Zeitung/ Abend⸗Ausgabe Samstag, 13. September 1930 Das neue London Von Ludwig A. Boss, Mannheim Die Ueberſchrift mag beim erſten Anblick etwas übertrieben oder gar als voreilig erſcheinen, ins⸗ beſondere für den, der die Achtmillionenſtadt ſeit längerer Zeit nicht mehr geſehen hat; der Wanderer aber, der ſich die Mühe nicht verdrießen läßt, durch Londons Straßenfluchten und Häuſergewirr zu gehen, und der all die gewaltigen Veränderungen ſorgſam verfolgt und ſtudiert, wird ein reiches Be⸗ weis material dafür finden, daß die letzten Jahrzehnte einneues London haben erſtehen laſſen. Vor rund 30 Jahren wurden in London die erſten großen, tiefeinſchneidenden Pläne gefaßt un) in Angriff genommen, vorhandene Straßenzüge, die für den ſtets ſich ſteigenden Verkehr unzulänglich ge⸗ worden waren, zu erweitern und neue Verkehrs⸗ adern zu ſchaffen. An erſter Stelle ſtehen hier die Projekte, nach denen Kingsway und Aldwych geſchaffen wurden, dort, wo früherslums der aller⸗ bärmlichſten Art ſich befanden. Die Bauplätze wur⸗ den eifrig begehrt, großartige Gebäude entſtanden zu beiden Seiten des Kingsway. Dieſe wiederum wurden zu außerordentlich hohen Preiſen vermietet, ſodaß durch die hohen Mieten angeſpornt neue Bau⸗ unternehmer ſich für die am Süd⸗ oder Straßenende des Kingsway gelegenen Bauplätze intereſſierten. Da erhebt ſich heute das rieſige Buſh⸗Houſe, das Wagnis eines unternehmungsfreudigen amerika⸗ niſchen Geſchäftsmannes; da ſteht das kürzlich er⸗ öffnete India⸗Houſe, ein Gebäude, das ein klaſſiſches Beiſpiel indiſcher Architektur verkörpert, das in der Hauptſache wenigſtens aus indiſchem Bau⸗ material erſtellt iſt, und deſſen prachtvolle Räume eine ganz koſtbare Sammlung indiſcher Produkte und Kunſtgegenſtände aller Art bergen. Gegenüber erhebt ſich das große, neue Waldorf⸗Hokel und zu deſſen beiden Seiten Theater. Wenige Schritte da⸗ von entfernt ſtehen große neuzeitliche Häuſerblocks, in denen große Firmen ihre Geſchäfts⸗ und Ausſtellungsräume beſitzen, und es iſt ganz intereſſant, zu bemerken, daß die meiſten führenden engliſchen Elektrizitätsgeſellſchaften ſich hier ange⸗ ſiedelt haben, und daß Kingsway heute der Mittel⸗ punkt dieſes Zweiges der engliſchen Induſtrie ge⸗ worden iſt. Auſtralia Houſe bildet den großen Block am Oſtende von Aldwych. Wenden wir uns oſtwärts zur City des eigent⸗ lichen London. Wir wandern durch die Fleet⸗ Street, durch das Zeitungsviertel, vollkommen un⸗ erkennbar für den, der es ſeit 20 oder 30 Jahren nicht mehr beſucht hat. Kleine, altmodiſche Läden, mit 3 bis 4 Stockwerken, kümmerlich beleuchteten Räumlichkeiten, von der Straße aus durch ſchmutzige, enge Treppen zugänglich, haben ſechs⸗ ſteben⸗ und achtſtöckigen Gebäuden weichen müſſen, niit elektriſchen Aufzügen, überreicher elektriſcher Beleuchtung und das ſei beſonders hervorgehoben gebaut in dem Stile, den wir in Deutſchland mit moderner Sachlichkeit zu bezeichnen pflegen. Lud⸗ gate Hill aufwärts ſind die Veränderungen weniger auffallend, mit Ausnahme vielleicht am, oberen Ende, um die St. Pauls Cathedrale herum, die ſich übrigens in den letzten Jahren eine ganz gründliche Renovierung innen und außen hat gefallen laſſen müſſen. Hier war immer und iſt auch heute noch der Sitz des Textilwarenhandels. Es iſt wohl der Mühe wert, hier zu erwähnen, daß eines der Gebäude dort erſtellt wurde, um einen alten Häuſerblock niederzureißen und dabei Platz zu ſchaffen für große Zuſchauertribünen, damit die Engländer und beſonders der Londoner alle Feſtlichkeiten und alles Schaugepräge, das ſich in⸗ und außerhalb der Cathedrale abſpielt, beſſer beobachten können. Schauen wir Cheapſiele hinunter, ſo bemerken wir, daß die engen, ſchmalen Häuſer von ehemals, großen Gebäuden mit maſſigen Steinfronten Platz gemacht häben, die allerdings nicht mehr von den kleinen Ladenbeſitzern der viktorianiſchen Zeit gemietet ſind, ſondern von den großen Geſellſchaften, die überall da ihre Zweiggeſchäfte und Niederlaſ⸗ ſungen haben, wo der nieverſiegende Strom der Fuß⸗ gänger vorbeizieht oder einmündet. Die Mieten ſind außerordentlich hoch, aber ſehr gut iſt auch die Ausſicht, die Kunden und Käufer anzulocken. Und nun weiter zum Manſion Houſe, der Amtswohnung des Oberbürgermeiſters der City von London. Dieſes ſtattliche Gebäude mit ſeiner klaſſiſchen Front ſoll jetzt einer vollkommenen Um⸗ geſtaltung im Innern unterzogen werden. Es iſt das Heim des Oberbürgermeiſters während ſeines Amtsjahres, und da der Oberbürgermeiſter ſtets ein ſehr, ſehr reicher Mann iſt, ſo paßt es den Herren ganz und gar nicht, ihre ſchönen, luxuriös eingerich⸗ teten und mit allem Komfort der Neuzeit verſehenen Häuſer im Weſtende oder ihre in ſtillen Parks ge⸗ legenen Villen außerhalb Londons zu verlaſſen, und ſich 12 Monate hindurch in der altehrwürdigen, Wer her Engländer liebt ſeinbome über alles; hat er die Mittel, ſo ſtattet er es ſo luxuriös aus als er nur kann und ſcheut keine Summe Geldes. Beim Manſion Houſe koſtet der Quadratmeter Boden nach der Straßenſeite Tauſende von Pfund. Und doch finden wir gerade hier, auf dieſem teuren Gelände, zahlreiche Kirchen. Warum ſo frägt man ſich unwillkürlich, ſtehen die Kirchen gerade hier und warum ſo zahlreich? Sind die Kirchengemeinden denn ſo reich, daß ſie ſich das leiſten können? Nun, man darf nicht vergeſſen, daß ſie alle ſchon vor langer Zeit erbaut, daß ſie von Wren, dem berühmten Architekten und Erbauer der St. Paul's Cathedrale geſchaffen wurden. Vor Jahren tobte ein heftiger Kampf unter den Anhängern der Kirche. Die einen wollten tatſächlich einige Kirchen preis⸗ geben, ſie abreißen laſſen, den teuren Grund und Boden verkaufen und das ſo erlöſte Geld dazu be⸗ nutzen, Kirchen in den immer mehr ſich auswachſen⸗ den Vorſtädten zu erbauen, die Gehälter der ärmeren, zum Teil recht ſchlecht bezahlten Geiſtlichen zu erhöhen uſw. Aber die Architekten und be⸗ geiſterter Liebhaber des geſchichtlichen Londons ge⸗ wannen die Schlacht, und die Kirchen blieben er⸗ halten. Gegenüber dem Manſion Houſe erhebt ſich der rieſige Baublock der Midland Bank, eines der 5 großen zentraliſierten Bankinſtitute Englands. Nicht weit davon iſt das Hauptgebäude einer weite⸗ ren Bank, die dieſem Konzern angehört, die Weſt⸗ minſter Bank und buchſtäblich emporragend über alle dieſe Banken, die größte von allen, die Bank von England. Gerade dieſes Gebäude zeigt ſo recht deutlich des Engländers Liebe und Ehrfurcht für alte und hiſtoriſche Gebäude und Einrichtungen; denn die zeitgeheiligte Vorderfront der Bank von England muß unbedingt erhalten bleiben auch als Faſſade für das neue, gewaltige Gebäude, das da ſich zu erheben im Begriffe ſteht. Langſam ſchlendern wir an dieſen altehrwürdi⸗ gen Ueberreſten einer packenden Vergangenheit vor⸗ hier aufbewahrt. Jetzt wird dieſes Heim hinaus aufs Land verlegt. Das alte Gebäude wurde für 1% Millionen Pfund verkauft und neue Geſchäfts⸗ häuſer ſollen da an ſeiner Stelle entſtehen. Jetzt wenden wir uns ſüdwärts und ſehen, daß auch das Britiſche Muſeum ſeit den letzten 20 Jahren ſich faſt um das Doppelte vergrößerte und daß die Erweiterungsbauten dem weltbarühm⸗ ten Stile des urſprünglichen Teiles des Muſeums und der Bibliothek angepaßt wurden. Ruſin urbe des Herzogs von Devonſture am Piccadilly wurde von der neuen Zeit hinweggefegt, um gewaltigen Bürohäuſern Platz zu machen mit Ausſtellungsräumen für die Automobilinduſtrie. Für Piccadilly iſt es ganz typiſch, daß an Stelle der hochherrſchaftlichen Häuſer, die vor 20 oder 30 Jah⸗ ren als das allerfeinſte und beſte an Eleganz, Kom⸗ fort und Größe betrachtet wurde, heute ſich gewaltige Neubauten erheben, die dem Handel, der Induſtrie und dem Fremdenverkehr dienen. Krankheit und Elend in dem verwüſteten San Domingo 1 N 5 4 Die berühmte Kathedrale von San Domingo, der Hauptſtadt der Dominikaniſchen Repu⸗ blik auf Haiti, die durch den großen Wirbelſturm zum größten Teil zerſtört wurde. Typhus herrſcht in der verwüſteten Stadt, die Hungersnot wächſt mit jedem Tage. über, durch die wohltuende Ruhe und Stille des Juriſtenviertels, Gray's Inn genannt, das heute noch genau ſo daſteht wie zur Zeit der Köni⸗ gin Eliſabeth. Wir wandern weiter vorbei an einer faſt ununterbrochenen Reihe von Gebäuden, die für Büros, Ausſtellungsräume und Werkſtätten be⸗ ſtimmt ſind, bis hinab zu dem End⸗ und Hauptbahn⸗ hof der engliſchen Nordbahn, bis zu Charing Croß. Da wir nun doch bei Krings Croß ſind, wol⸗ len wir Euſton Road entlang gehen und uns das erſte ſeiner großen Gebäude anſehen, in denen ſich in Zukunft die Geſamtärbeit und das reich pulſie⸗ rende Leben der großen Londoner Univerſität kon⸗ zentrieren ſoll. In den letzten 20 öder 30 Jahren wurde Bloonesbury, gerade ſüdlich von Euſton Road vollkommen umgeſtaltet. Aus einem ruhigen Wohnviertel des kaufmänniſchen und berufstätigen Mittelſtandes wurde es ein Hotelviertel, hauptſäch⸗ lich ſolcher Hotels, die keine alkoholiſchen Getränke verkaufen, ſog. Temperance Hotels. Damit ſoll aber nicht geſagt ſein, daß man in dieſen Hotels gar keine Alkoholika haben kann; man gebe dem Kellner das nötige Kleingeld, und er wird aus dem Mmächſtbeſten Reſtaurant, das ſolche führen darf, gern den nötigen Bedarf beſorgen. Zur Linken kommen wir an dem berühmten, 150 Jahre altenFindlingsheim vor⸗ über, einer Zufluchtsſtätte für uneheliche Kinder, mit der des Komponiſten Händel Name auf immer verknüpft iſt, der dem Heime ſehr wertvolle Dienſte leiſtete. Das Manuſkript ſeinesMeſſias wurde Und nun zur gebäude, das z. Zt. Themſe, zum Parlaments⸗ ſtark ausgebeſſert werden muß, denn der Londoner Rauch hat das Steinwerk zer⸗ freſſen, den ganzen Fluß entlang erheben ſich die impoſanteſten Gebäude, ſo der Neubau des großen KonzernsImperial Shemical Induſtries und ein wenig von der Themſe entfernt das ungeheure Ge⸗ bäude der London Elektrie Eiſenbahn, im Volks⸗ mund kurz Untergrundbahn genannt. Eppſteins, des viel umſtrittenen Künſtlers Skulpturen ſchmücken den Bau. a Eine Straße möchte ich noch erwähnen, die ſich vollkommen erneuert hat, die Regentenſtraße. Wenn wir am Trafalgar Platz, etwas jenſeits des Südendes der Straße beginnen, kommen wir am Canada Houſe und den reichgeſchmückten Fronten der Schiffahrtsgeſellſchaften vorbei, gelangen zu der ſonderbaren und recht häßlichen Steinſäule des Her⸗ zogs von York, von dem niemand weiß, warum er ein Denkmal in London hat, und gelangen zu der Stelle des St. James Park, an die die deutſche Ge⸗ ſandtſchaft grenzt. Hier nun beginnt die Regenten⸗ ſtraße, die vor über 100 Jahren als Königsway von Whitehall bis zum Regents Park angelegt wurde. Vieles wäre noch über die Neugeſtaltung der engliſchen Hauptſtadt zu berichten, denn dieſe bau⸗ liche Erneuerung geht in großem Umfange und un⸗ geheurem Tempo vor ſich. Der Beſucher, der das alte London, das London vor dem Kriege noch ein⸗ mal ſehen will, wird ſich beeilen müſſen. Wunder der Briefbeförderung Das Poſtamt auf Rädern Täglich 14000 Poſtzüge Der Brief nach Poſtleitheften Wir werfen einen Brief in den blauen Kaſten. Nächſte Leerung 13 Uhr.. Morgen früh wird das Schreiben in den Händen des Adreſſaten ſein, denken wir befriedigt, und damit iſt der Fall für uns erledigt. Das Wunder der ſchnellſten Brief⸗ beförderung iſt für uns alltäglich geworden, und ſelten machen wir uns darüber Gedanken, welche Fülle von Arbeit, welche großartige Organiſation, wie viele Hände erforderlich ſind, um jeden einzelnen Brief, jede Karte, jede Druckſache an die richtige Adreſſe zu leiten. Ein Brief nach Siam oder Ma⸗ rokko muß ſein Ziel genau ſo gut erreichen wie ein Schreiben nach Hamburg oder London oder Jaſsfelſöſzentgyörgy in Ungarn. Die Schnelligkeit des Poſtverkehrs iſt für den modernen Geſchäfts⸗ betrieb von ganz beſonderer Bedeutung, und daher kann die Poſt ihre Aufgabe nur erfüllen durch ſorg⸗ fältigſte Ausnutzung aller ſchnellen Zugverbindun⸗ gen. Zu dieſer Aufgabe hat die Poſt allerdings jahrhundertelange Erfahrungen, ſeit ſie für die Poſtkutſche fahrplanmäßigeKurſe feſtlegte, und aus dieſem Grunde wird auch das heutige Kurs⸗ buch der Reichsbahn von der Reichspoſt gemacht. Durch ſorgfältiges Studium der vielen tauſend Zug⸗ verbindungen werden von erfahrenen Beamten die günſtigſten ausgewählt, zu beſonderen Kursbüchern für die Poſtſendungen, den Poſtleitheften, zuſammen⸗ geſtellt. Für jedes Dörſchen iſt darin die ſchnellſte Route aufgezeichnet. In den Städten werden die Poſtſen dungen nach größeren Beſtimmungsorten und Zugrichtun⸗ gen verſortiert und möglichſt weitgehend ge⸗ ordnet. Die Hauptarbeit aber bleibt den Bahnpoſt⸗ beamten. Rund 100 Millionen Mark jährlich zahlt die Reichspoſt an die Reichsbahn als Pauſchal⸗ beitrag für Transporte von Poſtſendungen und rollende Poſtämter, die Bahnpoſtwagen. Etwa 14000 Giſenbahnzüge dienen täglich in Deutſchland der Poſtbeförderung. Die ſchnellſten und günſtigſten Züge führen einen oder mehrere eigene Bahnpoſtwagen, die anderen führen oftmals nur verſiegelte und plombierte Poſtbeutel unter Obhut des Zugführers. Zehntauſende von Beamten ſortieren während der Fahrt in den Bahnpoſtwagen die Briefe für die Poſtämter an ihrer Strecke, um ſie auf die Stationen an ihrer Strecke, die von dieſen abzweigenden Nebenſtrecken und die Nebenſtrecken der Nebenſtrecken weiter zu verteilen, von denen aus ſie wieder durch Poſtautos und Landbriefträger zum entlegenſten und halbverſchollenen Bauernhof wei⸗ terbefördert werden. In dieſem großangelegten Ver⸗ teilungsſyſtem ſind die Linien mit Bahnpoſtwagen gewiſſermaßen die Hauptadern in einem rieſigen und ungeheuer feinen Netz, von denen aus die Poſt⸗ ſendungen in regelmäßigem Pulsſchlag bis in die äußerſten Spitzen gepumpt werden. Das wichtigſte Hilfsmittel des Bahnpoſtſchaffners ſind die Poſtleithefte. Aber Nachſchlagen iſt ſehr zeitraubend, und daher kann er von dieſem Hilfsmittel nur ſelten Gebrauch machen. 2000 Briefe muß der Bahnpoſtſchaffner in der Stunde auf tauſend verſchiedene Fächer ſortieren mit bis zu 2000 ver⸗ ſchiedenen Ortsnamen, eine Arbeitsleiſtung, die auf den großen Strecken zum Durchſchnitt gehört. Wichtiger als die Poſtleithefte iſt ein gutes Gedächt⸗ nis, damit die Hand beim Sortieren blitzſchnell reagiert. Tauſende von Namen mit den Strecken, an denen ſie liegen, und den Nebenſtrecken, die von ihnen abgehen nebſt den Orten, die an dieſen Neben⸗ ſtrecken liegen und von ihnen mit Poſt verſehen wer⸗ den, muß der Bahnpoſtſchaffner im Kopf haben. In jahrelanger Uebung werden dieſe Beamten zu lebenden Spielkarten. und manche von ihnen bringen es zu vielbeſtaunten Spitzenleiſtungen. Sie kennen jedes Dorf und jede Landpoſt auf Hunderten von Kilometern. Auch in den Städten gibt es ſolche Spezialiſten, in Berlin, Hamburg, Bremen, Leipzig, beſonders für die Auslandspoſt, die jede Poſtyerbindung mit den Dampfern der Oſtafrikalinie über Daresſalam nach Timbuktu zur entlegenſten Farm aus dem Kopfe kennen, andere für Südamerika oder Kanada, jeder auf ſeinem Gebiet ein faſt unerſetzlicher Spezialißt für Poſtortsnamen. Denn auf der Schnelligkeit der Poſtverbindung und der Regelmäßigkeit, die jeden Fehler zur größ⸗ ten Seltenheit werden läßt, beruht die Bedeutung des Poſtverkehrs, der zugleich die Vorausſetzung iſt für Handel und Wirtſchaft in unſerer Zeit. Den Bahnpoſtſchaffnern danken wir ebenſo wie den Be⸗ amten im Poſtamt und unſerem Briefträger das all⸗ täglich gewordene Wunder, daß der Brief, der heute in den blauen Briefkaſten geworfen wurde, keine 24 Stunden ſpäter unſeren Freunden zehn Bahn⸗ ſtunden entfernt am nächſten Morgen ins Haus ge⸗ bracht wird. C. S. Ein Kind von einem Bären geraubt Eine heitere Fahrt zur Beerenſuche hatte einen tragiſchen Ausgang. Mr. und Mrs. Winch aus Lake Blacid waren eifrig beim Beerenpflücken im nahen Wald und ihr 2jähriges Söhnchen ſpielte auf der benachbarten Wieſe. Auf einmal hörten die Eltern ein furchtbares Geſchrei. Sie drehten ſich um und ſahen, ſtarr vor Schreck, wie eine große ſchwarze Bärin das Kind ergriff und davon ſchleppte. Bevor ſie ſich ſo weit gefaßt hatten, daß ſie ihm zu Hilfe etlen konnten, hatte der Bär ſchon einen gewaltigen Vorſprung genommen. Sie liefen ſchreiend und mit Steinen werfend hinter dem Untier her. Endlich ließ der Bär ſeine Beute fallen und verſchwand im Gebüſch. In Todesangſt ſtürzten die Eltern herbei und ſahen, daß das Kind ſchwere Bißwunden im Ge⸗ ſicht, am Halſe und den Armen davon getragen hatte. Es beſteht aber die Hoffnung, daß es am Leben er⸗ halten bleibt. Die Diva ohne Schlaf Ein Freund der verſtorbenen weltberühmten Schauſpielerin Eleonore Duſe veröffentlicht in einer franzöſiſchen Zeitſchrift intereſſante Erinne⸗ rungen an die Diva, deren Launen unberechenbar waren. Dieſe verbrachte buchſtäblich alle Nächte ohne Schlaf, In ihren überheizten Zimmern, in denen die Gardinen ſtets zugezogen waren, ging ſie in weißen ſchleppenden Kleidern herum, lag bei heller Beleuchtung ſtundenlang auf der Chaiſelongue und ſtarrte mit ihren traurigen dunklen Augen ins Leere. Den ganzen Vormittag verbrachte ſie im Bade, wobei das Waſſer ſo heiß war, daß es kein anderer ver⸗ tragen könnte. Alles opferte die große Tragödin der Bühne. Familienglück und Liebe bedeuteten für ſie letzten Endes nur ſehr wenig. Sie lebte in einer Schein⸗ welt und verſtand nichts von der Wirklichkeit. Oft ſandte ſie des Nachts einen Boten zu ihren Freunden und bat ſie, ſie nicht allein zu laſſen. Einmal ſchickte ſte einem guten Freund ein Telegramm aus Mai⸗ land, wo ſie gaſtierte, nach Berlin.Kommen Sie ſo⸗ fort, ich kann nicht ſpielen, wenn Sie nicht da ſind. Wenn Sie kein Geld haben, verkaufen Sie, was Sie können und verſchaffen Sie ſich Reiſegeld. Als Eleonore Duſe während eines Gaſtſpiels in Oslo einmal erkrankte, ließ ſie einen Arzt kommen, der ſie unterſuchte und dann verſprach, bald wieder zu erſcheinen. Er erſchien auch einige Zeit ſpäter mit einer Geige unter dem Arm.Ich will Ihnen etwas vorſpielen, dann verſchwinden Ihre Schmerzen ſehr bald, ſagte der Arzt, der die Eigenarten ſeiner Pa⸗ tientin ſofort erkannt hatte. Die Duſe, die an ſolche Behandlung nicht gewohnt war, brach in ein lautes Gelächter aus, während der Arzt zu ſpielen begann. Die ſonderbare Kur hatte Erfolg. Die Duſe fühlte ſich bald recht wohl und pflegte ſpäter oft zu ſagen: 7 55 ich doch den lieben Doktor aus Oslo bei mir ha 1 5 Eskimos bekommen Polizei 12 Mitglieder der berittenen kanadiſchen Polizei haben neue Reviere zugewieſen bekommen, wohl die kälteſten, in denen ſie bisher Dienſt getan hatten. Der neue Schauplatz ihrer Tätigkeit iſt die öſtliche Arktis, wo ſie zwei Jahre lang die Polizeigewalt über die Eskimos ausüben ſollen. Da die Eskimos bei geringer Jagdausbeute früher Kinder geſchlachtet und verzehrt haben, ſoll die Polizei jetzt dafür ſor⸗ gen, daß Lebensmittelvorräte geſammelt und in Zei⸗ ten der Not rationiert werden. Die 12 Poliziſten, die mit langen Schneemeſſern ausgerüſtet ſind, tren⸗ nen ſich an einem beſtimmten Punkt und gehen zu zweit in die ihnen zugewieſenen Reviere. Zum Uebernachten bauen ſie ſich nach dem Muſter der Es⸗ kimos Schneehäuſer aus feſtem Packſchnee, den ſie ſich mit ihren Meſſern in Würfel ſchneiden. Dieſe Häuſer werden von innen feſt verſchloſſen und haben keine andere Ventilation als die Riſſe in den Wänden. Wenn durch den feuchten Atem und die Wärme des Lagerfeuers die Schneemauern ſich mit einer neuen Eisſchicht überziehen, muß an der Decke eine Oeffnung angebracht werden. Jede Pa⸗ trouille wird von einem Eskimo⸗Führer und Dol⸗ metſcher begleitet. Als Nahrung dient ihnen Reun⸗ tierfleiſch, Speck, Bohnen, Kaffee, Tee und Zucker. Ihre Kleidung beſteht, wie die der Eskimos haupt⸗ ſächlich aus Pelzen. Tiſchlerzange als Operationsgerät Selten iſt wohl eine Operation mit primitiveren Hilfsmitteln ausgeführt worden, wie die Dr. David Robins aus Los Angeles, die er auf hoher See an einem Matroſen vornahm. Dr. Robins war auf dem Dampfer Noorderdyk, um nach Deutſchland zu reiſen Er war 3 Tage unterwegs, als den Dampfer ein SOs⸗Ruf von einem Segelſchiff erreichte, das einen Matroſen mit einer Blinddarmentzündung an Bord hatte. Dr. Robins hatte alle ſeine Inſtrumente zuhauſe gelaſſen. Trotzdem wagte er die Operation, da der Matroſe, den ſie auf den Dampfer übernom⸗ men hatten, in höchſter Lebensgefahr ſchwebte. Dr. Robins borgte ſich von dem Koch ein Küchenmeſſer, mit dem er den Einſchnitt machte. Mit einer Tiſch⸗ lerzange entfernte er den Wurmfortſatz und nähte die Wunde mit Nadel und Faden, die er ſich von ſeiner Frau geben ließ. Desinfiziert und ſteriliſtert hatte er ſeine Hände und ſeineInſtrumente mit einer Flaſche Gin. Ein Stück Rohr von einem Tropfbad wurde zum Abführen benutzt, und trotz alledem iſt die Operation glänzend gelungen und der Patient wieder ganz geſund. Da Dr. Robins ſich weigerte, für dieſe mit ſolch ſeltſamen Inſtrumenten ausgeführte Operation irgend eine Bezahlung anzu⸗ nehmen, ſtiftete ihm die Schiffsgeſellſchaft einen großen ſilbernen Becher. 2