Dienskag, 21. Oktober Bezugspreiſe: In Mannhelm u. Umgebung wöchentlich old⸗Pfg. Die monatl. Bezieher verpflichten ſich bel evtl Aenderung d. wiriſchaftl. Verhältniſſe notwendig werdende — anzuerkennen. Poſtſchecktonto Nr. 17590 Karlsruhe.— Hauptgeſchäftsſtelle E 6, 2— Geſchäfts. Rebenſtellen Waldbofſtr 6, Schwetzingerſtr. 24, Gontard⸗ platz.— Fernſpr. Nr. 7941— 7945,— Telegr.-Adreſſe Generalanzeiger Mannheim. Erſcheint wöchentl. zwölfmal. Abend⸗Ausgabe Neue MannheimerSeilt Mannheimer Heneral Anzeiger Preis 10 Pfennig 1924— Nr. 490 Anzeigenpreiſe nach Tarif, bei Vorauszahlung pro ein⸗ ſpaltige Kolonelzelle für Allgemeine Anzeigen 0,40.⸗M. Reklamen.— G⸗M. Für Anzeigen an beſtimmten Tagen Stellen und Ausgaben wird keine Verantwortung über⸗ nommen. Höhere Gewalt, Streiks, Betriebsſtörungen uſw. berechtigen 1 keinen Erſatzanſprüchen für ausgefallene oder beſchränkte Ausgaben oder für verſpätete Aufnahme von An⸗ zeigen. Auftr.d. Fernſpr. ohne Gewähr. Gerichtsſt. Mannheim. Beilagen: Bilder der Woche. Sport u. Spiel Aus Seit u. Leben mit Mannheimer Frauen- u. Mulik-Zeitung Aus der Welt der Cechnile Unterhaltungs-Beilage Wandern u. Neiſen ————̃̃ääK-——.. T—, Baden wieder freil Abzug der Franzoſen aus Mannheim und Karlsruhe Mannhelm, 21. Okt. Amtlich wird mitgekeilt: 10 Uhr 15 Minuken haben die Franzoſen Mannheim verlaſſen. Zwiſchenfälle ſind nicht vorgekommen. »Karlsruhe, 21. Okt. heute früh 7 uhr iſt der Abzug der noch im hieſigen Rheinhafengebiet ſtatlonjerken franzöſiſchen Truppen erfolgt, mit Ausnahme eines kleinen Kommandos von 15 Mann, das für die Interalliierte Schiffahrtskontrolle zurückbleibt. Der Abzug erfolgte ohne Zwiſchenfall und ohne viel Auf⸗ ſehen zu erregen über den Rhein nach der Pfalz. Zur Räumung Karlsruhes erfahren wir noch folgende Einzel⸗ heiten: Die Quartiere wurden in der Hauptſache im Laufe des geſtrigen Tages geräumt, und die Trikolore, die auf dem Klubhaus des Karlsruher Rudervereins monatelang über deutſchen Gebiet ge⸗ weht hatte, wurde in den geſtrigen Abendſtunden unter den üblichen Formalitäten eingezogen. Das Hafengebiet kann nunmehr als vollkommen befreit von der militäriſchen Beſetzung bezeich⸗ net werden. Bereits am Sonntag war eine Kommiſſion im Rhein⸗ hafengebiet zur Feſtſetzung und Abſchätzung der durch die Beſetzung hervorgerufenen Schäden anweſend. Ein Kommando von 15 Mann bleibt weiterhin für die Durchführung der interalliierten Schiffskontrolle im Hafengebiet, es übt jedoch die Kontrolle unbe⸗ waffnet aus. Die Beſetzungsmacht war nicht groß, ſie beſtand eigentlich nur aus einem Wachkommando von ungefähr 50 Mann. Von dem Abzug erhofft man für das in Frage kommende Gebie wieder eine günſtige wirtſchaftliche Entwickelung. 88** Heute morgen iſt die Trikolore vom Dach des Mannheimer Schloſſes verſchwunden, über dem ſie ſo lange geweht hat und die rechtmäßige gelb⸗rot⸗gelbe Fahne der Heimat flattert über dem Wohnrieſen Carl Theodors. Auch die ſinnfälligſten Zeichen unſerer Unfreiheit im eigenen Hauſe, die Stacheldrahtſchranken, ſind be⸗ ſeitigt und frei und ungehindert flutet nunmehr wieder der Ver⸗ kehr durch das Wahrzeichen Mannheims. Die Grenzen des Ein⸗ bruchsgebiets ſind gefallen und endlich iſt der Zuſtand wieder ein⸗ getreten, wie er vor dem Ruhrkampf beſtand. Gleichzeitig mit Mannheim iſt auch Karlsruhe geräumt worden, ſo daß, abgeſehen von der nach dem Friedensvertrag zu duldenden Beſetzung des Kehler Brückenkopfes Baden wieder frei iſt, nachdem bereits der erſte Schritt am Tage nach der Unterzeichnung des Dawesab⸗ kommens durch die Zurückziehung der Beſatzung von Offenburg ge⸗ ſchehen war. Wer möchte es uns verdenken, daß wir darüber aufrichtige Freude empfinden? Umſomehr, als es jetzt ruhig ausgeſprochen werden darf, daß wir mehr als einmal das Gefühl gehabt haben, von Berlin verlaſſen worden zu ſein. Es iſt nun einmal ſo, daß man „in der Etappe“ nicht das richtige Verſtändnis dafür aufbringt, was an der Front zu ertragen, aber auch zu leiſten iſt. Dies gilt nicht von den leitenden Männern in der Reichsregierung, am aller⸗ wenigſten von der Perſon des Reichsaußenminiſters, aber für manche der nachgeordneten Stellen, die immer wieder darauf ge⸗ ſtoßen werden mußten, daß es neben widerrechtlich beſetzten Teilen Preußens auch noch Stücke heſſiſchen und badiſchen Gebiets gab, die unter dem vertragswidrigen Zuſtand zu leiden hatten. War es doch tief beſchämend, aber auch bezeichnend, daß die verantwortlichen Redakteure von Regierungskundgebungen und Verlautbarungen erſt durch dringende Telegramme der ſüddeutſchen Regierungen, Stadt⸗ verwaltungen, politiſchen und wirtſchaftlichen Körperſchaften darauf aufmerkſam gemacht werden mußten, daß es nicht nur um die Be⸗ freiung von Rhein und Ruhr allein handle, ſondern auch von Baden und Heſſen ginge. Doch wollen wir heute an dieſem Tage, den wir endlich nach vielen bangen und langen Monaten erlebt haben, nicht rechten und ſchmälen über Fehler der Vergangenheit. Wir empfinden aufrichtige Freude darüber, daß die Zeit der Fremdherrſchaft vorbei iſt und ſie keine tieferen Spuren im äußeren Geſicht unſerer badiſchen Heimat hinterläßt. Umſo ſchmerzlicher werden ſich aber noch auf lange Zeit die Wundmale bemerkbar machen, die der badiſchen Wirtſchaft geſchlagen worden ſind. Auch in moraliſcher Hinſicht werden wir noch Nachwirkungen zu verſpüren bekommen, die nun einmal mit jeder Beſatzung unvermeidlich verbunden ſind. Aber ſeis drum, nachdem der Zeitpunkt eingetreten iſt, deſſen Nahen wir ſeit dem 29. Auguſt faſt an den Stunden und Minuten abgezählt haben, erhebt ſich für uns die mahnende und gebieteriſche Pflicht, gemeinſam mit allen Kräften darauf hinzuarbeiten, daß die Folgen der Okkupation ſo ſchnell wie möglich überwunden werden. Der Wiederaufbau im kleineren Teil und in der engeren Heimat iſt das nächſte Ziel, dem wir unſere Kräfte widmen müſſen. Uns Badenern iſt die ehrenvolle Aufgabe zuteil geworden, die Wacht am Rhein in der Südweſtmark unſeres Vaterlandes zu halten. Das haben wir getan, ſtillſchweigend und treu in den Tagen der Not und Unfreiheit. Um wie viel leichter, aber auch um wie viel ſchöner, iſt jetzt die Bezwingung dieſer Aufgabe, wo es uns vergönnt iſt, mit als Erſte wieder die ſüße Luft der Freiheit zu atmen.„Baden wieder freil“ iſt ein Ruf, der alle Kräfte hebt und aller Willen beſeelt. Möge uns ein gütiges Geſchick vor einer Wiederholung der Vergangenheit der Jahre 1923 und 1924 bewahren. Jetzt gilt es der Arbeit für kommende Geſchlechter. Alle Hände ans Werk für Baden und Deutſchlandl K. F. Eine ausführliche Darſtellung der Beſetzung von Mannheim nebſt einer Karte, die eine Ueberſicht über die Okkupation gewährt. finden unſere Leſer an der Spitze des lokalen Teiles. Die wirt⸗ ſchaftliche Würdigung des Ereigniſſes enthält der heutige Han⸗ delsteil, Neuwahlen am 7. Dezember Die amtliche veroroͤnung Berlin, 21 Okt.(Amtlich.) Der Reichspräſident hal durch Berordnung vom 21 Oktober 1924 die Hauptwahlen zum Reichstag auf den 7. Dezember anberaumk. Im„aufgelöſten“ Reichstag EBerlin, 21. Okt.(Von unſerem Berliner Büro.) Den Reichs⸗ tagsabgeordneten iſt die Auflöſung durch ein immerhin eigen⸗ artig ſtiliſiertes amtliches Telegramm bekanntgegeben wor⸗ den In dieſem Telegramm heißt es:„Sitzung fällt infolge Auf⸗ löſung des Reichstags aus. Büro des Reichstags!“ Für zahlreiche bgeordnete hat die Auflöſung tatſächlich noch eine Ueber⸗ raſchung bedeutet. Bis zum letzten Augenblick hatten ſie immer noch auf einen Ausgleich gehofft. Nun ſieht es in dem de jure nicht mehr exiſtierenden Reichstag ein wenig wie in einem aufge⸗ ſtörten Bienenſchwarm aus.„Alt⸗Abgeordnete“ aller Parteien durchſchweifen Gänge und Reſtaurant. Mittags um 12 Uhr traten ie Deutſchnakionalen zuſammen. Ddie National⸗ ſozialiſten wollten ſich um 2 Uhr verſammeln und Zentrum um 5 Uhr. Am Mittwoch vormittag werden die Sozjaldemo⸗ kraten zuſammentreten, um ihren Wahlaufruf zu beſchließen. Die Bayeriſche Volkspartei tritt um 11 Uhr, die Kom⸗ muniſten um 1 Uhr und die Deutſche Volkspartei um 3 Uhr zuſammen. Heute fand dann noch eine Tagung des Reichsvorſtan⸗ des der Partei ſtatt. Der Sitzung wohnte auch ein Teil der bisherigen demokratiſchen Reichstagsabgeordneten und die Vorſtandsmitglieder der demokraliſchen Fraktion des preußi. chen Landtages bei. Der Parteivorſitzende Koch gab einen Ueber⸗ lick über⸗ die letzten Kriſenwochen. Dann ſprachen Erkelenz und Fiſcher. Hernach begann die Ausſprache. Der Reichswehrminiſter Geßler, der der Sitzung zunächſt beiwohnte, griff in die Debatte ni ein. Am Nachmittag ſoll der Reichsvorſtand den Wahlaufruf beſchließen. Wie verlautet, ſollen einige von den diſſentierenden bis⸗ rigen Mitaliedern der demokratiſchen Reichstagsfraktion, darunter frühere Miniſter Schiffer, nicht wieder kandi⸗ n. Eine Kundgebung der Deutſchnationalen 9 Die deutſchnationale Reichstagsfraktion erläßt eine undgebung, in der es heißt: „Wir haben am 4. Mai keinen vollen Sieg des natio⸗ Gedankens errungen. Darum muß noch einnat e pf! rden. Die nationale Rechte muß an Stärke gewinne. and den Ausſchla geben, Wahlmüdigkeit iſt diesmal Nega⸗ tion., Die Unßeue enen Monate haben genügt, den Parlamentaris⸗ mus, deſſen Unfruchtbarkeit wir vorausſagten, als Unmöglichkeit zu erweiſen. Der Reichspräſident, deſſen Platz immer noch nicht verfaſſungsgemäß nach dem Willen des Volkes beſetzt iſt, hat kein Verſtändnis gezeigt für die überparteiliche Aufgabe: dem Volke eine wirtte Regierung zu verſchaffen. Er hat die von ihm be⸗ wirkte Auflöſung ausdrücklich mit„parlamentariſchen Schwierig⸗ keiten“ begründet. Damit iſt zugeſtanden, daß der Parlamentaris⸗ mus nicht fähig war, zu regieren und nicht einmal fähig, eine Regierung zu bilden. Das neue Parlament wird die Aufgabe haben, einen ſolchen unfähigen Parlamentarismus zu überwinden. Wer die ſechs Elendsjahte miterlebt hat, ſeitdem unſere ſchwarz⸗weiß⸗rote Jahne ausgetauſcht wurde gegen die ſchwarz⸗rot⸗gelbe Trikolore der Demokratie, der weiß, daß wir recht hatten mit unſerer Behauptung: Eine iſt nur möglich ohne die Sozialdemokratie, fruchtbar nur im Kampfe gegen die Sozialdemokratie.“ Der Aufruf ſchließt:„Unſere Partei bleibt wie ſie war: mo⸗ narchiſch und v. iſch, chriſtlich und ſozial; über unſere Ziele bleiben wir uns einig; deutſch und national; unſere ruhm⸗ reichen Farben bleiben: Schwarz⸗Weiß⸗Rot; und unſer Wille iſt feſter denn je, ein Deutſchland zu ſchaffen, frei von jüdiſcher Herrſchaft und frei von Franzoſenherrſchaft, frei von parlamentariſcher kleinlicher und demokratiſcher Kapi⸗ talherrſchaft, ein Deutſchland. in dem wir und unſere Kinder wieder aufrecht und ſtolz unſere Pflicht tun wollen.“ Die preußiſchen Landtagswahlen El Berlin. 21. Okt.(Von unſerm Berliner Bülro.) Wie wir bören. wird der Landtag vorausſichtlich nocheine Woche zuſammen⸗ bleiben, um die Arbeiten zu erledigen. U. a. wird er eine Aen⸗ derung des Wablrechts vornehmen, durch die der im Reich übliche Einheitsſtimmzettel auch für Preußen eingeführt werden ſoll. Man iſt überzeuat, daß die Auflöſung entſprechend der Auffaſſung aller Parteien im Landtag ſich glatt vollziehen wird. Immerhin ſcheinen in Preußen noch keinerlei Vorkehrungen getroffen zu ſein 5 175 der Schon um deswillen wird ſich je Feſtſtellung des genauen Wahltermins ög üſſen. Mitte Dezember werden die Wahlen kaum ſtaftfinden. Mil dein Zu⸗ ſammentritt der neugewählten Parlamente in dieſem Jahr iſt natür⸗ lich nicht mehr zu rechnen. Vermutlich werden Reichstaa und preu⸗ Ziſcher Landtag ſich erſt zu Beainn des kommenden Jahres ver⸗ ſammeln. Wie es kam Ein alter Spruch will wiſſen, daß nie ſoviel gelogen wird wie nach der Jaad und vor einer Wahl. Man wird. nach unſern wieder⸗ holten Erfahrungen in den letzten Jahren, noch hinzufügen dürfen: auch während einer neudeutſchen Kriſe. Wobei es ziemlich aleich⸗ qültia bleibt. ob es ſich um eine Regierungs⸗ oder Parlamentskriſe bandelt. Im aroßen Durchſchnitt ſind die Parlaments⸗ oder Partei⸗ kriſen bei uns die häufigere Erſcheinunasform. Im Kabinett ſelber erzieht der Bethmanniſche„Zwana zum Schaffen“ zu einer gewiſſen Unparteilichkeit. Aber der Fraktionsgeiſt reißt, wie auch jetzt wieder, dieſe Arbeitsaemeinſchaft nicht ſelten unhold auseinander. Es wird alſo bei ſolchen Kriſen ein bischen viel von der Wahrheit abagewichen und wer gezwungen wäre. ein Bild von den Vor⸗ aängen ſich ledialich nach den umſchichtigen Anklagen zu machen, die einem in Preſſe und Verſammlungen begeanen, gewönne ſchiefe und doch wohl auch zu menſchenfeindliche Vorſtellungen. Wir leben ge⸗ wiß in einer Tränenwelt und haben durch Krieg und Revolution, Zuſammenbruch und Inflation Schaden genommen an Körper, Geiſt und Seele. Aber ſo ſteht es doch nicht. daß die im Reich zuſammen⸗ geſchloſſenen Deutſchen und ihre volitiſchen Parteien ſamt und ſon⸗ ders aus Böswilligen oder Trotteln ſich zuſammenſetzen. Es wird in Ilion gefündiat und außerhalb ſeiner Mauern. Der Abg. Erkelenz hat im letzten Heft der„Hilfe“ verſucht, den tieferen wirtſchaftlichen, pſychiſchen und ſoziologiſchen Zuſam⸗ menhängen nachzuſpüren, die nach ſeiner Auffaſſung hinter dieſer Kriſe ſchlummerben. Das war im einzelnen ſehr geiſtvoll, aber unbe⸗ dingt richtig war es kaum. Vielleicht kommt man der Wahrheit näher, wenn man ganz ſchlicht in den Parteimechanismus die eigent⸗ lich bewegenden Kräf e ſieht. Die Deutſchnationalen hatten, als ſie in die Wahlſchlacht zogen, ihren Wählern den Him⸗ mel auf Erden verheißen: ſchafft uns eine große Fraktion und es wird ſich alles, alles wenden! Die„große Fraktion“ iſt nun da, aber es hat ſich vom deutſchnationalen Standpunkt, bislang ſo gut wie nicht geändert. Da beginnen die Wählermaſſen unwillig und verdroſſen zu werden. Kaum eine Verſammlung vergeht, in der nicht aus dem Lande der Ruf erſchallte, geht in die Regierung, zeigt, was Ihr könnt. Gewiß gibt es daneben auch andere Stim⸗ men, ſolche, die ſich über die„Regierungstollheit“ der derzeitigen deutſchnationalen Führung aufhalten und ihr Abſtinenz und Oppo⸗ ſition um jeden Preis fordern. Aber das ſind doch vorwiegend die Leute des äußerſten Flügels, die ſchon mit einem Fuß im völki⸗ ſchen Lager ſtehen. Die Mehrheit der deutſchnationalen Wäh⸗ lerſchaft will unzweifelhaft die parlamentariſchen Möglichkeiten aus⸗ nutzen und ſo zur Macht gelangen. Dieſer Druck von draußen, der in der Zwiſchenzeit nicht ſchwächer wurde, hat ſeit dem Mal den Weg der Deutſchnationalen im Parlament beſtimmt. Seit Ausgang Auguſt bewahren ſie aber auch noch ein paar ſozuſagen ſichere Wech⸗ ſel in ihrem Treſor. Möglich, daß es gar nicht möglich geweſen wäre, ſie zu geben. Eingeweihte verſichern uns: eine Probabſtim⸗ mung, die kurz vor der entſcheidenden Plenarſitzung in der deutſch⸗ nationalen Fraktion vorgenommen wurde, hätte gezeigt, daß die Zahl der deutſchnationalen JanSager viel größer war, als ſie zur Durchbringung der Dawes⸗Geſetze vonnöten geweſen wäre Der Führung wären in jenem Moment die Zügel entglitten, an„Abkom⸗ mandierungen“ gar nicht zu denken geweſen. Man hätte bei der Kürze der Zeit einfach Schickſal und Zufall freien Lauf gelaſſen. Trifft dieſe Darſtellung zu, ſo hätten entrum und Deutſche Volkspartei, indem ſie den Deutſchnationalen Heranziehung zur Regierung verſprachen— in redlicher Abſicht und zu löblichem Ziel— doch wohl zu viel Eifer entwickelt. Dann wäre, ſelbſtver⸗ ſtändlich unter durchaus anderen Vorzeichen ihre Lage dem Schick⸗ ſal der Entente zu vergleichen, die Tſchechen und Ingoſlawen, zum Teil auch Italien, in der Hitze des Krieges territoriale Zuſicherungen gemacht hatte die zu löſen ihr, das haßerfüllte Frankreich ausge⸗ nommen, beim Fviedenſchluſſe nicht ganz bequem war. Man wäre alſo gewiſſermaßen in die Kriſe hineingeſtolpert... Vielleicht war es aber auch ander sl Das ändert nichts an der Tatſache, daß dieſe letzte Kriſe, die unerfreulichſte wohl von allen, die wir durchkoſten mußten, zur Un⸗ 95 ausbrach. Man hätte noch ein paar Monate warten, auch er demokratiſchen Fraktion Zeit laſſen ſollen, ſich und ihre Wäh⸗ lerſchaften auf das, was doch alle kommen ſahen, vorzubereiten. Vermutlich, wenn nicht wahrſcheinlich, daß dann vieles, woran man in dieſen unfruchtbaren Wochen die Zähne ſich ausbiß und was ſchließlich zu unüberſteigbaren Hinderniſſen ſich auswuchs, als Schemen ſich erwieſen und in den Winternebeln verweht wäre. Daß eine Regiecung aus allen bürgerlichen Parteien die Volks⸗ gemeinſchaft für Zeit und Ewigkeit zerriſſen und die De nokratie die geſchichtliche Aufgabe habe, dem zu wehren, iſt eine Vorſtellung aus den Anfängen unſeres neuen Staatsrechts, die inzwiſchen von der Sozialdemokratie ſelber zerſtört wurde. Sicher bleibt es ein Ziel, aufs innigſte zu wünſcher, daß man die So⸗ zialdemokratie mit anſpannt zu poſitivem Schaffen für dieſen Staat, den ſie doch ſelber bauen half. Aber nicht jeder Zeit oder, beſſer noch, 385 u allen Zeiten iſt die Sozialdemokratie dazu geeignet. Seit J 5 und Tag ſchon befindet ſie ſich in einer aus⸗ geſprochen rückläufigen Entwicklung. Sie hat die unabhängigen Elemente immer noch nicht verdart, aber ſie geht darauf aus, die Kommuniſten zu überwinden, indem ſie nach Möglichkeit ſich ihnen und ihren Forderungen angleicht und ganz bewußt von ſich aus die viel zitierte Kluft zwiſchen Bürgern und Arbeitern auf⸗ reißt. Auch das kann, die Dinge hiſtoriſch und auf lange Sicht betrachtet, unter Umſtänden ein durchaus verdienſtliches Uaterfan⸗ gen ſein. Aber es macht die Sozialdemokraten, wo es ſich um die großen Fragen der Politik handelt,(im einzelſtaatlichen Bereich lie⸗ gen die Verhältniſſe vielfach anders) unfähig zur Koalition mit bürgerlichen Parteien. Wer heute oder morgen im Reich mit der Sozialdemokratie ſich koalierte, würde vorausſichtlich die glei⸗ chen Erfahrungen machen, die in den letzten zwei Jahren nicht nur Herr Streſemann, die auch ſchon Dr. Wirth mit ihr machte. Ob die Deutſchnationalen beſſere Koalitionsgefährten dein würden, iſt freilich einſtweilen genau ſo fraglich. Vorderhand, bei den Ver⸗ handlungen, die man nun bald ein Jahr in Abſtänden mit ihnen führt, haben ſie eigentliche Koalitionsreife noch nicht erwieſen. Im⸗ mer noch lernten ſie nicht begreifen, daß Koalition Kompromiß und nochmals Kompromiß. Verzichten und Sichbeſcheiden heißt, find. Daß auch eine Fraktionsſtärke von 106 Mann von dieſem viel⸗ leicht ärgerlichen Kompromißzwang nicht befreit, ſowie daß man ſchon für ſich allein über die unbedingte Mehrheit verfügen muß, wenn man herriſch und unbekümmert um etwaige Weggenoſſen ſeine Anſprüche anmelden will. Dennoch(dies wurde geſchrieben bevor die letzte Entſcheidung fiel) hätte man einmal den Verſuch wigen ſollen. Der Himmel wäre wohl nicht gleich über uas eingeſtürzt. Kann ſein, daß man auch die Dentſchnationalen ſo an die praktiſche Arbeit auf dem Bo⸗ den des beſtehenden Staats gewöhnte, daß ſie als praktiſche Leute am Ende ſogar ihren Monorchismus in den Glasſchrauf zu an⸗
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