1899 1 Samstag, 19. Mai 1028 Neue Bezugs preiſe: In e u. Umgebung frei ins Haus * ader durch die Poſt monatlich.⸗M. g.— ohne Beſtellgeld. Kolonelze U. 0,% R. Bei evtl. Ae erung der wittſchaftlichen Verhältniſſe Nach⸗ 34 R. Me. Kollektive nerden höher be lorderung vorbehalten. Poſtſcheckonto 17590 Karlsruhe Anzeigen⸗Vorſchriften füt mmte Tage, Stell 5 55 ermannhaus).Geſchäfts⸗Nebenſtellen: Waldhofſtr. 6, Wee een 19/20 u. Meerfeldſtraße 11. Telegramm⸗ Adreſſe: G n. ts Geschäftsstelle E62. Haupt⸗Nebenſtelle K 1, 9/11 eneralanzeiger Mannheim Erſcheint wöchentl. 12 mal Fernſprecher: 24944, 24945, 24951, 24952 u. 24953 Beilagen: Sport und Spiel. Aus Jeit und Leben Mannheimer Frauenzeitung Unterhaltungs⸗Beilage Abend- Ausgabe Mannheimer General Anzeiger Aus der Welt der Technik Nr. 233— 130. Jahrgang gaben wird keine Verantwortmig übernommen. L walt, Streiks, Betriebsſtörungen ufſw berechtie Erſatzanſprüchen für ausgefallene od. beſchränkte oder für verſpätete Aufnahme von Anzeigen. Auft Fernſprecher ohne Gewähr. Gerichtsſtand iſt Maum Wandern und Neiſen Geſetz und Nacht Lehle Mahnworte der Führer 8 2 Im Reich Die Aufgabe unſerer Gegenwart iſt nicht, gegenüber dem, was geſchehen iſt, in träumende Reſignation zu verſinken und lediglich wehmütig der alten großen Zeit zu gedenken; es iſt auch nicht ihre Aufgabe, in ſtarre Oppoſition zu treten gegen⸗ über dem, was geworden iſt, ſondern Hand ans Werk 3 u legen, um ein neues Haus zu bauen, das die guten Grund⸗ ſteine der Vergangenheit benutzt. * Tauſendfach ſind die Schwierigkeiten, unter denen wir leben, außenpolitiſch, innenpolitiſch und wirtſchaftlich. Das Zeitalter, deſſen Bürger wir ſind, iſt, im großen geſehen, noch immer ein Zeitlalter der Umwälzung. Unſere Grenzen ſind nicht mehr wie einſt geſchützt, uns fehlt die Wehr, um Heimat und Haus, Land und Volk zu ſichern. Unſere wirtſchaftliche Zukunft kennen wir nicht, weil wir bis zur Stunde auch die Grenze unſerer Verpflichtungen nicht kennen, wohl aber ge⸗ nau wiſſen, wie ſchwer es für uns iſt, unter erſchwerten Be⸗ dingungen uns die Ausfuhr zu erhalten, aus der allein die Kriegsleiſtungen bezahlt werden können. . Innenpolitiſch iſt das Verhältnis des Reichs zu den Län⸗ dern noch nicht endgültig geordnet, und die Länderkonferenz ſucht neue Mittel und Wege, um unnötige Doppelarbeit zu ſparen, lebensfähigen Ländern die Möglichkeit zu geben, ihr Eigenleben fortzuführen, nicht lebensfähige mit anderen zu verſchmelzen und einen ſchädlichen Dualismus zwiſchen Reich und Preußen zu überwinden. 0 In dieſen Zeiten großer, bewegender Fragen, von denen unſere Zukunft abhängt, gibt es für uns in der Partei nur einen Leitſtern, die Anſprüche der Zeit zu befrie⸗ digen, frei von Illuſionen in ſachlicher, nüchterner Arbeit und feuer Realpolitik, die in Wirklichkeit das böchſte an Idealismits iſt, weil ſie das heiße Herz da bändigt, wo nur der kühle Verſtand uns vorwärts zu bringen vermag. Wir nannten uns die Partei des Wiederaufbaues und haben an dieſem Wiederaufbau zäh mitgearbeitet. Wir haben es vorgezogen, lieber Popularität und Mandate zu verlieren, als die Wege der Oppoſttion zu gehen. Wir haben dem Volke verſprochen, nationale Realpolitik zu kreiben, Haben es getan nach außen und innen, und nur ein Tor kann leugnen, daß das Deutſchland von heute ein anderes iſt als jenes, in dem vor fünf Jahren um die Beendigung der Ruhr⸗ politik gekämpft wurde. 5 Wir wollen auch in Zukunft nicht beiſeite ſtehen. Wir wiſſen, daß eine Partei allein uns die Zukunft nicht ſichern kann, aber wir wiſſen auch, daß ohne unſere Partei das Reich ſelbſt auch den größten Schwankungen ausgeſetzt ſein wird. Bismarck hat einmal geſagt:„Zu einer ruhigen, dauernden Regierung führt nur der Verzicht auf extreme Meinungen.“ Sorgen wir dafür, daß die ſach⸗ liche Arbeit einer nationalen Partei, die gleichzeitig Gewähr dafür bietet, daß die großen Grundſätze des Liberalismus an Anſehen in unſerem Volke nicht verlieren, geſtärkt aus dem Wahlkampf hervorgeht, damit ſte weiter mitwirke zum Beſten Anſeres Vaterlandes. eee err Streſemanns fortſchreitende Geneſung Berlin, 19. Mai.(Von unſerem Berliner Büro.) Die Nationalliberale Korreſpondenz ſchreibt: Anläßlich der Erkrankung des Herrn Parteiführers und Reichsaußen⸗ miniſters Dr. Streſemann iſt eine ſolche Fülle von An⸗ fragen und teilnehmenden Kundgebungen an die Reichs⸗ geſchäftsſtelle der Deutſchen Volkspartei gelangt, daß ihre Beantwortung ſchon aus techniſchen Gründen unmöglich war. Amſomehr freuen wir uns aus tiefem Herzen der fort⸗ ſchreitenden Geneſung, von der die ärztlichen Be⸗ richte ſprechen. Möge die aufrichtige Teilnahme aller deutſchen Parteien, wie führender politiſcher Kreiſe des Auslandes und der Ueberſee, darunter auch der franzöſiſchen, engliſchen und amexrikaniſchen Regierung, ihm eine kleine Genugtuung ge⸗ weſen ſein für die Jahre ſchwerer aufopfernder Arbeit, die er dem Wohle Deutſchlands und der Sicherung des europä⸗ iſchen Friedens gewidmet hat.“ Die heute vorliegenden engliſchen Blätter ſprechen über⸗ einſtimmend davon, daß offenſichtlich Deutſchland von einer ſchweren Laſt befreit aufatme. In Vaden Baden iſt günſtiger Boden für die Politik der Deutſchen Volkspartei. Hier iſt der nationale Gedanke feſt ver⸗ wurzelt und mit dem politiſchen Denken und Fühlen des Volkes ſo organiſch verbunden, daß nationaliſtiſche Auf⸗ putſchung unnötig iſt. Alte politiſche Kultur hat uns dazu erzogen, unſere Ziele mit realpolitiſcher Zähigkeit zu verfol⸗ gen und die Nerven nicht zu verlieren, wenn ſie auf den erſten Anlauf nicht zu erreichen ſind. Wir wiſſen und ſind davon durchdrungen, daß nur die von Dr. Streſemann geführte eee ee Reichs wirtſchaftsminiſter Dr. Curtius, der volksparteiliche Spitzenkandidat in Baden Außenpolitik die erſten Etappen zur Wiederbefreiung unſeres Vaterlandes und zur Wiedererringung der Weltſtellung des Reiches gewinnen konnte. Dem Auslande gegenüber haben wir keinen Anlaß, uns der bisher erreichten Erfolge zu rüh⸗ men. Wir werden unſeren Befreiungsweg unbeirrt fort⸗ ſetzen und bedürfen dabei nicht der Unterſtützung durch poli⸗ tiſche Kannegießer.. 8 Die glückliche ſoztale Schichtung unſeres Landes iſt eine Stätte des Liberalismus. Die Deutſche Volks⸗ partei hat die Flamme des liberalen Gedankens in Kultur und Wirtſchaft gehütet. Wir ſind für die Erhaltung der Simultanſchule erfolgreich eingetreten, weil wir üher⸗ zeugt ſind, daß dieſes Bildungsgut ohne Gewiſſenszwang und unter Wahrung der Erziehungsaufgabe der Elternſchaft allein Toleranz und Volksgemeinſchaft gewährleiſten kann. In der Wirtſchaft haben wir uns für den Ausgleich der Gegenſätze und Intereſſen eingeſetzt, den Staat aus der Ver⸗ ſtrickung mit der Wirtſchaft zu löſen geſucht, Großwirtſchaft und Großkapital dem Gemeinwohl untergeordnet und auf allen Gebieten nach freierer Betätigung ſelbſtändiger Exiſten⸗ zen geſtrebt. * Dieſe Gedanken und Taten haben der Deutſchen Volks⸗ partei in Baden eine ſtets wachſende Anhängerſchaft gebracht. Die Deutſche Volkspartei darf erwarten, daß am 20. Mai die alten Freunde vollzählig für ſie eintreten und daß ſich ihnen Scharen neuer Anhänger zugeſellen. , ue, ee, ehrwürdigen Inſtitution der franzöſiſchen Revolution, die ſte Rückblick und Vorſchau Bilanz der Wahlagitation— Das Sehnen nach Ruhe und Sicherheit— Abermals der Primat der auswärtigen Politik Die unſichtbare Wahlparole Von allen Wahlen, die wir in den neun Jahren nach Krieg und Umſturz in überreicher Fülle erlebt haben, iſt keine ſo wenig die Oeffentlichkeit erſchütternd verlaufen, wie die nun⸗ mehr verfloſſene. Erſt in den letzten drei Tagen, bei denen der Himmelfahrtstag vermehrte Agitationsmöglichkeiten bot, hat der Endſpurt der Parteien eingeſetzt. Zu den alten mohr oder minder bewährten Mitteln ſind einige neue gekommen, denen man mit Vorliebe das Beiwort„amerikaniſch“ vorau⸗ ſetzt. Amerikaner, die die Technik der Agitation bei eiſſer Präſidentſchaftswahl kennen, werden uns vermutlich ver⸗ ſichern, daß die Methoden des deutſchen Wahlkampfes itber⸗ aus harmlos ſeien, wenn nicht gar vom amerkkaniſchen Blick⸗ punkt aus betrachtet veraltet. Im Grunde genommen hat maft ſich den Erforderniſſen der Zeit infofern mehr angepaßt, als man der Bequemlichkeit des Wählers ſoweit wie möglich ent⸗ gegen zu kommen ſucht. Die einzige wirkliche Mühewaltung, die von ihm verlangt wird, iſt der Weg zut Wahlurne. Im übrigen verſucht man ihn dadurch zu erreichen, daß man ſich durch Schrift, Wort und Ton zu ihm bemüht. Wenn nicht aller Anſchein trügt, iſt die Zeit der Papierberge auf Straßen und Plätzen vorüber. Ganz ohne Flugblätter und Plakgte wird man wohl nie auskommen, aber ſchon für dieſe Wahl war es charakteriſtiſch, daß die Texte immer kürzer und die Schlagzeilen und bildlichen Darſtellungen immer größer wur⸗ den. Man wagt es ſchon garnicht mehr, die Zeit des leſenden Wählers über Gebühr in Anſpruch zu nehmen. Daß auch die Verſammlungstechnik bereits überaltert iſt, wird jeder be⸗ ſtätigen, der ſich als Organiſator oder als Redner mit dieſer als erſtes politiſches Betätigungsfeld des Staatsbürgers ſchuf, zu befaſſen hat. Man hat gerade in dieſem Wahlkampf 15 Erfahrung gemacht, daß auch die ſogenannten Prominenten nicht mehr imſtande ſind, die Säle zu füllen. Die geſtrige Ver⸗ ſammlung der 3000 im Mannheimer Nibelungenſaal bedeufet für die Deutſche Volkspartei angeſichts der aus allen Gegen⸗ den Deutſchlands übereinſtimmend gemeldeten Vepſamm⸗ lungsflaute einen beſonders zu wertenden Erfolg. Aber ſonſt hat in vielen Fällen die Anweſenheit eines Miniſters nſcht genügt, um den Saal zu füllen, ſelbſt wenn man Filme und Revuen zu Hilfe nahm. Möglicherweiſe liegt das daran, daß der Nimbus des Miniſters heute nicht mehr eine ſolche Magnetkraft ausübt wie früher. Bei dem großen Miniſter⸗ verſchleiß, den gerade das parlamentariſche Syſtem nicht nur im Reich, ſondern auch in den Ländern im Gefolge hat, iſt es heute nichts ſeltenes mehr, daß aktive und noch, uiel mehr geweſene Miniſter gleich rudelweiſe anzutreffen ſind. Wenn man endlich den Lärm als etwas ſpezifiſch amerikaniſches anſteht, dann kann man freilich von der Handhabung der Lautſprecher, Schallplatten und Muſikkapellen, ſei es mit Blech, ſei es mit Schalmeien, ſagen, daß ſie amerikaniſiert worden iſt. Die Benutzung des Rundfunks zur Wahlagitation war für diesmal noch nicht freigegeben worden. Ob ſich das Ver⸗ bot auf die Dauer durchführen läßt, erſcheint zweifelhaft. Wenn man die Mikrophone ollen Parteien paritätiſch freigibt, wird der Hörer dadurch gewiß nicht beeinträchtigt, weik er gerade bei dieſer Agitationsart die Möglichkeit hat, ſich ſofort Ruhe zu verſchaffen, wenn er etwas nicht hören will. Man darf aber dieſes Behaglichbleiben und Ungeſtörtſein⸗ wollen des Bürgers nicht gleich ſetzen mit politiſcher Uninter⸗ eſſtertheit. Selbſt bei bewußter Abwehr jeglicher Agitatibn kann doch größte Anteilnahme an politiſchen Dingen beſtehen. Sie bilden aber keinen Gegenſatz zu dem offenſichtlich durch die ganze europäiſche Welt gehenden Zug nach Ruhe. Die Völker des ſchwer geſchlagenen und induſtriell von neuen Wirtſchaftsgebieten jenſeits des europäiſchen Kontinents be⸗ drohten Europas ſehnen ſich nach den großen Schickſalsſchlägen des Weltkrieges begreiflicherweiſe nach beruhigter Sicherheit. Nur der Staatsmann wird bei ihnen ein Echo finden, der jene Solidität und Ausgeglichenheit der Politik vertritt, die den weiteren Ausbau und die Aufrechterhaltung dieſer Sicher⸗ heit verbürgt. Die Stimmung Europas nach den Wechſel⸗ fällen der letzten 15 Jahre ähnelt der nach den großen napolep⸗ niſchen Kriegen und iſt eine pſychologiſch ſelbſtperſtändliche Reaktion. Man mag dieſen ſeeliſchen Zuſtand ſchön finden oder nicht, aber man ändert damit nichts an ſeiner Tatſache. Und ein Bewußtſein dieſer⸗ Tatſache, vielen vielleicht nicht einmal bekannt oder nur undeutlich fühlbar, iſt gewißlich mit ein Grund für die verhältnismäßig leidenſchaftsloſe Durch⸗ führung des verfloſſenen Wahlkampfes. Ausſchreitungen ein⸗ zelner oder Entgleiſungen dieſer oder jener Redner ändern an der Feſtſtellung der Tatſache nichts. So ſehr auch mate⸗ rielle und geiſtige Nöte den einzelnen. bedrücken mögen, ſo beliebt gerade bei uns Deutſchen auch der Hang zum Eigen⸗ brödlertum und Seitenwegwandern ſein mag, mehr oder min⸗ der deutlich fühlt doch jeder, daß es noch ſtärkere Mächte gibt, die ſein Schickſal formen oder bewegen, als die Wituſche ſeines Herzens oder die Spekulationen ſeines Gehirns. Wenn er ſich nur immer wieder vor Augen hält, daß wir jetzt und auf viele Jahre hinaus an dem Verluſt des größten Krieges unſerer Geſchichte zu tragen haben, kommt er nicht um die Erkenntnis herum, daß, ſo wichtig auch die verſchiedenen innerpolitiſchen Probleme ſein mögen, die Außenpolitik das A und O unſerer Wählt Deuſſche Volkspartei! Asie 4: Curfius-Malles
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139 (19.5.1928) 233. Abendblatt
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