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140 (19.10.1929) Festausgabe zum Einzug ins Bassermannhaus - 140 Jahre Neue Mannheimer Zeitung [Beilage]
 
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140 JahreNeue Mannheimer Zeitung 4 Festausgabe zum Einzug ins Bassermannhaus Als das Intelligenzblatt erſchien Im Jahre 1790 Von Profeſſor Dr. Friedrich Walter⸗Mannheim Einer der älteſten Führer von Mannheim, die im Jahre 1789 erſchieneneDescription de ce qu'il y a'intéressant et de curleux dans Ia Résidence de Mannheim(Beſchreibung alles deſſen, was es in der Reſidenzſtadt Mannheim Bemerkenswertes und Sehenswertes gibt), beginnt mit der Feſtſtellung, daß die Stadt 107 Guadrate mit 1548 Häuſern und 21 858 Einwohner zählte. Vor zwölf Jahren hatte Mannheim den prachtliebenden Hof des Kurfürſten Karl Theodor an München abgeben müſſen. Im Jahre 1789 beſuchte der Kurfürſt zum letzten Male ſeine geliebte ehe⸗ malige Reſidenz. Im Schloſſe war es ruhig geworden. Die von ihrem Gatten getrennt lebende Kurfürſtin ECliſabeth AKuguſta ver⸗ brachte den Abend ihres Lebens in Surückgezogenheit. Gegenüber Mannheim von der linken Kheinſeite Soweit die Bürger nicht in den Ueckargärten oder in den Schwetzinger Gärten eigene GFartengrundſtücke beſaßen, die meiſt mit bewohnbaren Gartenhäuſern ausgeſtattet waren, ſtand ihnen außer dem beliebten Ausflug zum Mühlauſchlößchen als ein⸗ ziger Erholungsſpaziergang der Rundgang auf dem baumbepflanzten Feſtungswall offen, der zickzackförmig die Stadt umgab. Feſtungstorſperre war im Sommer um 10 Uhr, im Winter um 9 Uhr. Eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang war der Einlaß geſperrt und jede perſon, die das Tor paſſieren wollte, mußte einen Kreuzer Sperrgeld bezahlen; für jedes Pferd wurden zwei Kreuzer erhoben. In der Stadtverwaltung ging alles die ſeit Jahrzehnten gewohnten Wege. Uoch immer ſtand Stadtdirektor Jakob Gobin an Uach einem Kupferſtich von Rieger 1788 3 N am Bretenheimſchen Palais prangte das Fürſtenwappen, denn Karl von Bretzenheim, der Sohn Karl Theodors und der Tänzerin Joſepha Seiffert, hatte 1789 vom Kaiſer die erſehnte Reichsfürſten⸗ würde erhalten. Als allmächtiger Statthalter des Kurfürſten gebot in der Pfalz Miniſter von Oberndorff, deſſen Famtlie 1790, im Jahre des Reichsvikariats und zahlloſer Standeserhöhungen, den Grafentitel erhielt. 5 Ulannheim war nur noch dem Uamen nach Reſidenz, aber immer noch die hauptſtadt der weite rechts- und linksrheiniſche Gebiete umfaſſenden Kurpfalz, ihr kultureller Mittelpunkt, und Sitz der zen⸗ tralen Landesbehörden. die kurfürſtliche Regierung, die Hof⸗ forſtkammer, das Oberbergamt und viele andere Candeskollegien amtierten hier. Eine zahlreiche GParntſon belebte die Stadt. Es lagen hier die Regimenter der Generale pon Belderbuſch, von hohen⸗ haufen, von Rodenhauſen, von Schwichelt, Pfalzgraf von Birkenfeld und ein Grenadierregiment. Zur Beſchäftigung der Soldaten während ihrer Freiſtunden ließ Karl, Theodors Militärreformator, General UThomſon, auf der Mühlau Militärgärten anlegen. Die Stadt trat zu dieſem Zwecke den Utedergrund an den Fiskus ab und erhielt dafür tauſchweiſe einige Domänengrundſtücke, darunter die Ueuwieſen (jetzt Rennplatz), den Peſtbuckel im Jungbuſch und den hinterſchledig beim Ueckarauer Wald, 2 modebild um 1790 79 88 der Spitze; man konnte von ſeinen 80 Jahren keine große Nitiative mehr erwarten. Sein Beigeordneter war Franz Zentner. Der Anwalt⸗ ſchultheiß Tambert Babo, bald darauf geadelt und Geheimrat, ließ ſich durch einen Beigeordneten, Anton Pfanner, vertreten. Zwei Mit- glieder des Ratskollegiums führten jährlich abwechſelnd die Bürger- meiſtergeſchäfte. Für 1790 wurden zu Bürgermeiſtern gewählt der Ratsverwandte und pPupillarrat Karl Andreas Tremelius und der Stabtgerichtsaſſeſſor, Ratsverwandte, Pupillarrat und Hofgerichts⸗ advokat Johann Baptiſt Cukas. f Die Geſamteinnahmen der Stadt betrugen im Rechnungsjahr 1790, das im Februar begann, 24 292 Gulden, die Ausgaben 21 229 Gulden. Die Ratsmitglieder, die eine Jahresbeſoldung von hundert Gulden bezogen der Stadtdirektor erhielt 650 Gulden Fäihrlich, waren im Beſuch der Sitzungen nicht ſehr eifrig. In der Rats- ſitzung vom 26. April 1790 tadelte Stadtdirektor Gobin, daßbereits halb zehn verſtrichen ſei und ſich in heutiger Seſſion nur vier Herren Ratsverwandte eingefunden hätten, da gleichwohlen von höchſter Orten die Erſcheinung derſelben auf 9 Uhr gnädigſt beſtimmet wäre. Es wurde beſchloſſen, an die nicht erſchtenenen Ratsherrendie Er⸗ innerung zu machen, um künftighin nach kurfürſtl. gnädigſter In⸗ ſtruktion präclſe um 9 Uhr ſich in denen Seſſionen einzufinden oder zu gewärtigen, daß desfalls an kurfürſtlich hohe Regierung unter⸗ tänigſter Bericht erſtattet werden ſolle. Der Stadtrat tagte jeden Montag und Donnerstag, das Stadtgericht jeden Dienstag und Frei⸗ tag. Das ſtädtiſche Pupillaramt, das die Dormundsſchaftsſachen zu erledigen hatte, trat alle 14 Tage Mittwochs zuſammen. Das Rats- protokoll des Jahres 1790 umfaßt zwei dicke, in Schweinsleder gebundene Foliobände; aber es ſtehen nicht viel denkwürdige Be- ſchlüſſe darin. Man merkt auf dieſen Blättern noch nichts von der gärenden Seit. Immer bedenklicher lauten die Nachrichten vom jenſeitigen Rheinufer, aus dem in revolutionärer Bewegung begriffenen Frank- reich. Die ſtaatlichen Behörden beratſchlagen, wie dem Uebergreifen revolutionärer Ideen vorgebeugt werden könne. Man verbietet auf⸗ rühreriſche Reden und Revolutionskokarden. Huſarenpatrouillen be- wachen im Weſten die Grenze. Don Reformen in Regierung und Der- waltung iſt nichts zu ſpüren. Seit dem Ausbrug) der franzöſiſchen Revolution ſtrömen Scharen von Flüchtlingen über die Grenze. In den Nachbarländern, auch in der Pfalz, finden die Emigranten, unter ihnen viele vornehme Familien des royaliſtiſchen Frankreich ſind, Aufnahme. Ihr ſtolzes, anmaßendes und leichtlebiges Auftreten erregt vielfach Anſtoß. Doch hebt Iffland in ſeiner Selbſtbiographie hervor, der lebhafte Charakter der Franzoſen habe ſich bald im Schau⸗ ſpielhauſe bemerkbar gemacht.Die Schnelligkeit, womit ſie in eine Lage ſich verſetzen, das Intereſſe, womit ſie dieſelbe, lebhafter als die Deutſchen, ergreifen und umfaſſen, äußerte ſich auf das kräftigſte. Ein erhöhter Grad von Wärme teilte ſich unwillkürlich dem übrigen publikum mit, erleichterte alles Tun der Künſtler, entwickelte ſchneller den Keim in jedem Anfänger, erhob viele Dorſtellungen zu einer Lebendigkeit, warf ein Feuer in dieſelben, daß, ſich unbewußt, die Schauſpieler auf eine Höhe gelangten, dahin ſie ohne dieſes Treiben des Publikums ſchwerlich gekommen ſein würden 75 Auch Pfalzgraf Ma Joſeph von Swetbrücken, der nachmalige baveriſche König, verließ Frankreich und gab ſeine Stelle als OGberſt eines elſäſſiſchen Reglmenks in Straßburg auf. Er ſtedelte mit ſeiner Familie in ſeine Geburtsſtadt Mannheim über und bezog das von ihm erworbene Haus des Regierungspräſidenten von Denningen am Theaterplatz, das danach den Uamen palais Zweibrücken führte(an ſeiner Stelle ſteht jetzt der Ueubau der Rheiniſchen Credit⸗ bank). Die Ankunft Max Joſephs und ſeiner liebreizenden Gemahlin Auguſta Wilhelmine, einer heſſiſchen Prinzeſſin, fetert ein allegoriſches Huldigungsblatt, das der hieſige Kupferſtecher Derhelſt nach einer Zeichnung CLangenhöffels veröffentlichte.Deinen hieſigen Aufenthalt krönt Volksliebe mit Wünſchen des Segens, ſteht über dieſem Stich. Dynaſtiſche Eiferſucht und politiſche Bedenken hatten Karl Theodor die Einwilligung zu Max Joſephs Wohnſitzverlegung nach Mannheim Blick von der Sternwarte nach Horden, nach einem Stich von Rieger 1790 Im Vordergrund die Feſtungswerke ſchwer gemacht. Ihn etwa mit der Statthalterſchaft zu betrauen, ver⸗ bot das geſpannte Derhältnis zum hauſe Pfalz⸗Sweibrücken. Am 4. Mai 1790 erſcheint zum erſtenmal das Mannheimer Intelligenzblatt, der Dorläufer des ſpäteren Journals. Der⸗ leger war ein Wohltätigkeitsinſtitut, das katholiſche Bürgerhoſpital, das im Jahre vorher, um ſeine Einkünfte zu mehren, ein kurfürſtliches Privilegium zur Herausgabe dieſer Zeitung in eigener Druckerei er⸗ halten hatte. Daneben beſtand noch die von der Akademie der Wiſſen⸗ ſchaften 1767 begründete Mannheimer Zeitung und dasKurfürſtlich gnädigſt privilegierte Frag- und Anzeigenblatt, das die kurfürſt⸗ lichen Antiquarii Gebrüder Pfähler verlegten. Das Intelligenzblatt, das einmal von 1791 ab zweimal wöchent⸗ lich erſchien, bringt kleine Anzeigen über Verkäufe, Vermietungen, Bücherangebote uſw. Der redaktionelle Text des kleinen, vierſeitigen Guartblattes iſt für heutige Begriffe äußerſt dürftig. Aur ſelten erfährt der Ceſer etwas über Weltereigniſſe. Mitten in bewegter Seit werden ihm Aufſätze geboten überDie mediziniſche Wirkung des Eichelkaffees, übervernünftige Derwendung des Geldes, über den Zuſtand der Oekonomie bei den alten Römern, überden Nutzen des Abends, überden Aberglauben bei den Landleuten in Rückſicht auf die Oekonomie u. dgl. m. Regelmäßig werden Stati⸗ ſtiken über Bevölkerungsbewegung, Witterung und Oaſſerſtand, 4 4 7*