Neue Mannheimer Zeitung Sonntags⸗Ausgabe Samstag, 2. Jan.“ Sonntag, 3. Jan. 1932 Nom, 23. Dez. 1 Der Schweizergardiſt legt die Hellebarde quer. Nein! Strengſtes Verbot! Der Belvederehof iſt für Jedermann abgeſperrt. Man muß ſchon einen Monſignore bemühen, um dies Verbot zu umgehen und um das zu ſehen, was die Zivilbehörden der Vatikanſtadt der Preſſe nicht gern zeigen wollen. Kein Zutritt für die Preſſephotographen. Streugſtes Verbot für den offiziellen Photographen des Vat kans, ſeine Photographien abzugeben. Warun Etwa aus bloßer Schikane? Oder gar, weil man ſich nicht frei von Verantwortung fühlt? Weil dies ent⸗ ſetzliche Unglück in der vatikaniſchen Bibliothek viel leicht hätte vermieden werden können? Was man heute Nacht im Belvederehof ſah, wenn es einem mit viel Liſt und guter Freunde Hilfe doch gelungen war, an die ee die Preſſe ruhig ſehen. räumungsarbeiten beim Schein Lampen, die gewaltigen Anſtrengungen lichen und der ſtädtiſch⸗römiſchen Feuerwehrleute, die immer noch hofften, wenigſtens einen der ſofort nach dem Unglück Vermißten noch retten zu können. Das Unglück, das fünf Menſchenleben aus⸗ gelöſcht hat, durch das einer der ſchönſten Säle der vatikaniſchen Paläſte und eine Reihe wert vol⸗ ler Kunſtwerke vernichtet wurde, iſt nun doch nicht mehr rückgängig zu machen. Und bis die Unterſuchungskommiſſion, die Pius XI. ſofort ein⸗ konnte en Auf⸗ mächtiger, der päpſt⸗ zu 0 das Die fieberhafte geſetzt hat, entſcheiden kann, iſt es beſſer, kein Ge⸗ heimnis aus dem zu machen, was ſich in den ge⸗ ſtrigen Abendſtunden hinter dem Broncetor er⸗ eignete. Denn darüber, daß es Verantwortliche gibt, dar⸗ über iſt heute in der Vatikanſtadt nur eine Stimme. Man wußte, daß die Pfeiler und Bogen, auf denen der rieſige Saal Sixtus V. ruhte, baufäl⸗ lig waren. Man hatte damit begonnen, dieſe Pfeiler zu ſtützen. Die vier Arbeiter, die bei dem Unglück ums Leben gekommen ſind, waren mit dieſen Arbeiten beſchäftigt. Daß das Unglück wäh⸗ rend dieſer Arbeiten eintreten konnte, beweiſſt, daß entweder die Stabilität des Baues nicht gründ⸗ lich genug unterſucht worden war oder daß die Reſtaurationsarbeiten leichtſinnig an⸗ gepackt worden ſind. Das ſchlechte Gewiſſen, das die vatikaniſchen Zivilbehörden zeigen, indem ſie den Preſſevertretern den Belvederehof verſperren, iſt alſo nur allzu gerechtfertigt. Während ich dieſe Zeilen ſchreibe, Teil der Toten geborgen. Der erſte war ein junger Gelehrter, Mario Vataſſo, der Neffe eines Domherrn von Sankt Peter, der am Studiertiſch, mitten zwiſchen Büchern und Papieren, von der Kataſtrophe überraſcht wurde. Als man ihn geſtern abend gegen elf Uhr aus den Trümmern hervor⸗ zog, atmete er noch ſchwach. Auf dem Weg zum Krankenhaus iſt er dann geſtorben. Sein Onkel wurde vor wenigen Jahren im gleichen Saale durch iſt erſt ein einen Herzſchlag aus der Arbeit herausgeriſſen. Heute früh gegen ſechs Uhr wurden die Leichen zweier Arbeiter geborgen, Guerra und Ter ⸗ liz i. Noch werden zwei Leichen geſucht. Im Bel⸗ vederehof wird fieberhaft weitergearbeitet. Und man wird noch Tage hindurch arbeiten müſſen. An manchen Stellen iſt das Mauerwerk, das bei Seite geräumt werden muß, bis zu fünfzehn Metern dick. Und dabei muß ſehr vorſichtig vorgegangen werden. Denn unter dieſen Bergen von Steinen und Kalk liegen Schätze begraben: Bücher, Manuſkripte, Kunſtwerke. Auch für die Kunſt iſt dieſer Tag ein Trauertag. Mag man tauſendmal verſichern, die Gemälde, mit denen der Saal Sixtus V. geſchmückt war, hätten keinen großen künſtleriſchen Wert gehabt, te Dieſe Gemälde waren auch i intereſſant: ſie ſtellten Szenen aus den iſchen Konzilien, die Inſtitutionen der berüh alten Bibliotheken, die Hauptunter⸗ nehr Sixtus V. dar, zum Teil mit Gebäuden und Stadtteilen von Rom, die jetzt verſchwunden ſind. Neben dem einen Aus gang hing ein Oelbild ſte ſeien bloß von Schülern des Giulio Roma⸗ Kalaſtrophen im Fahre 1931 4 Von unſerm römiſchen Vertreter e ſein, daß ſie im einzelnen nicht wertvoll ſind. Der ganze, rieſige Saal— 70 er lang— mit ſeinen bunt über⸗ war eine Herr⸗ überrankten Volten 5 Decke ganz, die ſt vernichtet. ilweiſe. 0 Die von 1 von Sei Eeſies B pione Cactano mit einem guten Blick in den„Saal der Beratungen“ nach dem Unglück. An der Decke die Einbruchſtelle zu ſehen Porträt Sixtus., dem Domenico Fontana den Plan zur Bibliothek überreicht. Denn kein geringe⸗ rer als dieſer Architekt hatte den Saal, dieſen ganzen Flügel gebaut, der den Belvederehof vom Pignahof trennt.(Wodurch allerdings die urſprüng⸗ liche, großartige Anlage Bramantes, der einen ein⸗ zigen Hof geſchaffen hatte, aufgehoben wurde). Der „Salone“ war der größte Raum der Biblio⸗ thek. Er war ſtets für die Beſucher der Muſeen geöffnet, die hier in Glaskäſten die ſchönſten In⸗ kunabeln der vatikaniſchen Bibliothek bewundern konnten. Außerdem waren hier die wertvoll⸗ ſten Geſchenke fremder Souveräne an die Päpſte aufgeſtellt. Bücher, Bilder und Statuen ſind bei dem Zuſammenbruch mitgeriſſen worden. Der Boden brach zuſammen und die geſamte Maſſe fiel in den darunter befindlichen Saal, wo ſich ſeit der Zeit Leo XIII. die Präſenzbibliothek befand. Auch hier wurde der Boden durchgeſchlagen, die Decke des Erdgeſchoſſes zertrümmert. Die 20 000 Bände der Präſenzbibliothek ſtürzten in die Tiefe. ſeine Schrift über die Sakramente gegen Luther; ein ils von der Einſturzkataſtrophe in der valikaniſchen Bibliothel Von vatikaniſcher Seite wird verſichert, daß der Schaden geringer ſei, als man im erſten Augenblick glauben mußte. An der Stelle wo der Saal Sixtus V. einbrach, ſtand nur ein Schaukaſten. Er enthielt un⸗ ter anderem die Chronik von Santa Sophia. Das Manſkript iſt bereits wieder aufgefunden wor⸗ den, wenig beſchädigt. Welche ungeheuren Werte an Inkunabeln hier gefährdet waren, zeigen wenige An⸗ gaben aus dem Saalkatalog: ein Terenz Manu⸗ zibliothek aus dem IX. Jahrhundert; der berühmte von Ciceros„de re publicia?; Heinrich VIII. an Anna Boleyn und ſkript Palimpfſeſt Liebesbriefe „Rituale“ mit 25 Miniaturen von Perugino; Handſchriften von Petrarca und Taſſo; Dantes „Göttliche Komödie,“ geſchrieben und kommen⸗ tiert von Boccaccio; der Kodex der Septuaginta und ein Neues Teſtament in Quadratſchrift, weltberühmt unter dem Namen Codex vaticanus; ſchließlich der berühmte Vergil aus dem Jahrhun⸗ dert mit 50 Miniaturen. Alle dieſe Schätze ſcheinen gerettet! Die Bücher der Praeſenzbibliothek können iſt deutlich teils wieder hergeſtellt, teils durch Kauf erſetzt wer⸗ den. Vernichtet ſind dagegen einige Kunſtwerke aus der Sammlung der Monarchengeſchenke. Darunter das Taufbecken aus Séyres⸗Porzellan, über dem Eugen Napoleon getauft wurde, jener unglückliche Sohn Napoleon III., den ſpäter die Zulus ermordeten. Auch zwei Berliner Porzellanvaſen, Geſchenke Fried⸗ rich Wilhelm IV., ſind zertrümmert worden. Ebenſo ein großer Tiſch mit einer Platte aus dem ſeltenen Geſtein Labradorit, das Geſchenk eines ruſſiſchen Zaren. Immerhin handelt es ſich bei dieſen Dingen um Werke, die künſtleriſch nicht hervorragend find, deren Wert aber ein geſchichtlicher iſt oder im Ma⸗ terial liegt. Aber das kann nicht darüber hinweg⸗ tröſten, daß der Saal Sixtus V. verloren iſt: dieſer gemalte Zaubergarten, an dem— einer Legende nach — genau hundert Maler gearbeitet haben. Und daß fünf Menſchen bei dieſem Unglück ihr Leben laſſen mußten. Die verkannte Vombe In Italien iſt man ſehr nervös, wenn es ſich um Bomben handelt. Vielleicht hat man nach den man⸗ cherlei Erfahrungen der letzten Zeit dazu auch alle Veranlaſſung. Zuweilen führt die Nervoſität aber doch auch zu Mißgriffen, die ſich dann in heiteres Wohlgefallen auflöſen. land die Polizei alarmiert, weil angeblich auf dem Hauptbahnhof in dem Gepäckſtück eines verdäch⸗ 1. 27. Februar: Der Volkspalaſt in London brannte völlig aus. Die Statue der Königin Victoria blieb un⸗ beſchädigt. flugzeug„Iris“ bei Plymouth ab. fanden den Tod. 3. Am 12. September verwüſtete ein Wirbelſturm Britiſch⸗Honduras, wobei 500 Menſchen ge⸗ 4. Eine furchtbare Ueberſchwemmungskata⸗ Tauſende und Abertauſende kamen in den Fluten 355 ganze Provinzen Die ſtarken Nebel im Frühlahr und Herbſt führten, zu a Schiffszu⸗ 6. Das 9 1931 war tötet wurden. ſtrophe verwüſtete weite Bezirke in China. ſind der Hungersnot preisgegeben. ſammenſtößen in Nord⸗ und Oſtſee. 2. Am 7. Februar ſtürzte das engliſche Groß⸗ Sechs Flugpaſſagiere ein Unglücksjahr für die Militärfliegerei. Franzöſiſche, polniſche, tſchechiſche, italieniſche und beſonders viele eng⸗ liſche Militärflieger büßten bei Abſtürzen ihr Leben ein. 7. Am 15. Juni ſank der franzöſiſche Küſtendampfer„St. Philibert“ bei St. Nazakre. Ueber 500 Perſonen, darunter zahlloſe Kinder, ertranken. 8. Am 6. Juni brannte der Münchener Glaspalaſt bis auf die Grundfeſten nieder, wo⸗ bei einzigartige Kunſtwerke aus der Zeit der deutſchen Romantik durch die Flammen vernichtet wurden. dem polniſchen Oſtſeehafen Gdingen ſtürzte am 10. Ok⸗ tober infolge einer Gasexploſion ein Neubaublock ein 13 Tote wurden aus den Trümmern geborgen. 10. Am 5 9. In ſchweren Erdͤbebenkataſtrophe heimgeſucht, der über 200 Menſchenleben zum Opfer fielen. 11.—13. Das Grauen des Jahres: Die Eiſenbahnattentate des Sylveſter Ma⸗ tuſchka(123. Am 13. September brachte Matuſchka den internationalen Schnellzug von Budapeſt nach Wien auf urſachte ſo den Tod von 25 Menſchen(11). Am 8. Auguſt So wurde kürzlich in Mai⸗ 18. März wurde das mazedoniſche Bergland von einer dem Viadukt von Via Torbagy zum Entgleiſen und ver⸗ hatte Matuſchka ein ähnliches Attentat auf den D⸗Zug Baſel Berlin bei Jüterbog verübt, aber glücklicherweiſe Glück im Anglück Die Trümmer eines Autos, neben dem Newyorker Straßenviadukt, von deſſen Höhe es 25 Meter tief herabſtürzte. In Newyork ereignete ſich ein eigenartiger Unglücksfall: von dem 25 Meter hohen Straßenviadukt zwiſchen der 194. und 135. Straße ſtürzte ein Auto, das infolge des Glatteiſes ins Schleudern gekommen war, in die Tiefe. Dag Auto zerbarſt vollſtändig, doch blieb der Fahrer wie durch ein Wunder unverletzt. tigen Reiſenden eine Höllenmaſchineentde ck t worden war. Der Reiſende war ein Italiener namens Giovanni Giordino. Aber er kam aus Frankreich zurück und dieſer Umſtand genügte, um ihn verdächtig zu machen. Er hatte ein Gepäckſtück auf dem Bahnhof zurückgelaſſen und ein wachſamer Angeſtellter vernahm in dem Koffer ein unverkenn⸗ bares Ticktack. Sein nächſter Gedanke war: eine Höllenmaſchine! Und ſein nächſter Schritt eine Alar⸗ mierung der Polizei, die ihrerſeits das in Milano liegende Artillerieregiment bei der Unſchäblich⸗ machung der Bombe um Unterſtützung erſuchte. So kam es, daß eine Abteilung des Regimentes vor dem Bahnhof vorfuhr, der bereits von der Po⸗ lizei abgeſperrt worden war. Mit größter Vor⸗ ſeinen Koffer abzuholen. Man verhaftete ihn auf der Stelle. Aber man mußte ihn nach kurzer Friſt wieder freilaſſen, nachdem ſich die„Bombe“ als ein harm⸗ loſer— Wecker entpuppt hatte. Giordini war der einzige Leidtragende dieſes Zwiſchenfalles. Denn er mußte ſeine Siebenſachen allein wieder zuſammen⸗ leſen und der neugekaufte, Wecker hatte unter der Be⸗ handlung, die ihm zuteil geworden war, vor Schrecken ſein Ticktack eingeſtellt. Er war nun wirklich harm⸗ los und konnte ſelbſt bei ſtärkſtem Verdacht nicht mehr mit einer Bombe. werden. Die Verzollung ſeidener Strümpfe Die engliſche Regierung hat bei der Durchfüh⸗ rung ihrer Zollmaßnahmen auf ſeidene Strümpfe und ſeidene Unterkleidung für Frauen einen Wertzoll von 50 Prozent gelegt. Einige Lon⸗ doner Blätter führen nun bewegliche Klage darüber, daß die ausländiſche Induſtrie es verſtanden habe, dieſe Maßnahme geſchickt zu umgehen. Vor kurzem langte eine Sendung von 50 000 Paar ſeidener Strümpfe in dem engliſchen Zollhafen an, deren einzelne Beſtandteile noch nicht genäht waren. Strümpfe, ſondern nur als nach dem Werte, ſondern nur nach dem Gewicht ver⸗ zollt werden. Die engliſche Zollkaſſe erlitt durch dieſe tauſend Mark. Die Strümpfe koſtet. land zuſammengenäht. in England zuſammengenäht werden. Auch hier kann der Wertzoll von 50 Prozent nicht erhoben werden, ſondern nur der Gewichtszoll. Die Umgehung der Zollvorſchriften iſt außerordentlich ſchwer zu faſſen, ſodaß die engliſche Regierung ſich vorläufig noch nicht zu helfen weiß. Hus, der Reformator Böhmens, hieß mit hene richtigen Namen Gans. 4 a Der in der Apotheke erhältliche eirſchtalg wird aus„Hammeltalg“ hergeſtellt. Die Stuttgarter Schloßruine weiter eingeſtürzt 2 0 f ſicht wurde der Koffer ins Freie befördert und ge⸗ öffnet. Mittlerweile war Giordino erſchienen, um ſich z uſammen⸗ Sie konnten infolgedeſſen nicht als Seidengewebe, d. h. nicht eine Sendung einen Verluſt von mehreren hundert⸗ gehörten zu der teuerſten Sorte, von der das Paar 20 bis 40 Mark Die loſen Beſtandteile werden erſt in Eng⸗ Ebenſo kommen zahlreiche Sendungen von ſeide⸗ nen Unterkleidern in England an, die ebenfalls 1 Bilanzf. 8 Abſchlaf Berat. 3 Berechn Geſchäft Manuh N Buchffüh Ze Kurſe. welche i Die veelheg Trümmer der Ruine nur Sachſchaden e 18). * Schloſſes an N
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