Dienstag, den 21. Oktober 1924 * 3. Seite. Nt. 40 der Freigabe der beſetzten Gebietsteile Auf dem Mittelbau des Schloſſes weht wieder die 4 badiſche Flagge. Die Franzoſen ſind, wie bereits im Mittags⸗ blatt gemeldet wurde, heute vormittag abgezogen. In den letzten 1 Tagen ließen deutliche Anzeichen auf die baldige Räumung der am 3. März 1923 beſetzten Mannheimer Gebietsteile kanne dn Die Sonntagsſpaziergänger konnten die erfreuliche Wahrnehmung machen, daß die Stacheldrahtverhaue zwiſchen den beiden Wach⸗ häuschen am Eingang zum Schloßplatz und am Ballhaus beſeitigt worden waren. Es entſprach dem Wuaſche der Behörden, daß wir bisher von dieſen Abzugsvorbereitungen nichts berichteten. Trotzdem hatte die Kunde, daß die Franzoſen heute Mannheim verlaſſen woll⸗ ten, ſich in der Einwohnerſchaft ſo ſtark verbreitet, daß ſchon in der achten Stunde ſich die müßige Neugierde in der Nähe des Schloſſes bemerkbar machte. Die Polizeibehörde hatte, um Demonſtrationen . im Keime zu erſticken, umfanareiche Vorbereitungen getroffen. Schon um halb 7 Uhr wurde die Umgebung des Schloſſes unter Leitung des Nolizeirats Weigel ohoeſperrt. Die Schublente ſtanden an der Ausmündung der Breiteſtraße. Wer die Schloßplanken paſſieren wollte, wurde nicht daran gehindert, durfte aber nicht ſtehen bleiben. Um halb 8 Uhr rückte eine franzöſiſche Truppenabteilung von etwa 50 Mann mit mehreren Bagagewagen über die Rheinbrücke nach Ludwigshafen ab. Um.15 Uhr wurde der Neckarſtadt⸗ Bahnhof geräumt. Sämtliche Truppen, die im Mannheimer Gebiet verteilt waren, hatten ſich im Schloßhofe zu verſammeln. Gegen 10 Uhr ſtanden hier ſämtliche Abteilungen zum Abmarſch bereit. Die Anſammlungen des Publikums in der Umgebung des Schloſſes waren nicht allzu ſtark. Wir hätten es allerdings lieber geſehen, wenn die Polizei ganz überflüſſig geweſen wäre. Die Schloßuhr zeigte 10 Minuten noch 10 Uhr, als die Trikolore, die ſo lange zum Mißvergnügen der Mannheimer ſich auf dem Mittelbau des Schloſſes gezeigt hatte, unter den Klängen der Marſeillaiſe niedergeholt wurde. Nach einer Anſprache des Kommandeurs ſchulterten die in Marſchformation zu beiden Seiten des Denkmals aufgeſtellten Truppen das Gewehr, die Clairons ſetzten ein und unter dieſen Klängen marſchierten die Franzoſen durch das Mittelvortal der Rheinbrücke zu. Die Ueber⸗ gabe, bei der als Vertreter der badiſchen Staatsregierung Amtmann Wagner vom Bezirksamt und Bauoberinſpektor Althäuſer 7 vom Bezirksbauamt zugegen waren, wurde durch einen General aus Landau ohne jede Förmlichkeit vollzogen. Um 10.20 Uhr wird an der Stelle, wo über ein Jahr die Triko⸗ lore flatterte, die badiſche Flagge gehißt. Ein weitſchallendes Hurrah aus den Reihen des, Publikums begrüßt dieſen hiſtoriſchen Vorgang. Dann gibt die Polizei den Zugang zum Schlaſſe frei, das nunmehr unbehindert durch Stacheldraht wie vor der Beſetzung be⸗ treten werden kann. Wie wir hören, ſind die Räumlichkeiten, die 1 von den Franzoſen mit Beſchlag belegt waren, in ordnungsmäßigem Zuſtande übergeben worden. Die Abnützung muß allerdings be⸗ rückſichtigt werden. Die Rheinauer Hafenanlagen ſind heute morgen ebenfalls freigegeben worden. Die in Rheinau in einer Stärke von etwa 80 Mann ſtationierten franzöſiſchen Truppen zogen gegen 8 Uhr in der Richtung nach Mannhejm ab. Im Mann⸗ heimer Hafengebiet bleibt vorerſt noch der Poſten ſtationiert, der ſchon vor dem Einſetzen des paſſiven Widerſtandes von Ludwigs⸗ hafen aus dorthin vorgeſchoben worden war. Die Beſchlag⸗ 1 ſchiffahrt auferlegten Verkehrsbeſchränkungen. Die Kontrolie 1 des Schiffsverkehrs vollzieht ſich wieder in der vor dem 11. Januar 1923 üblich geweſenen Weiſe. Das Hauptzollamt wurde ge⸗ ſtern nachmittag zwiſchen—5 Uhr freigegeben. Die Kunde von dem Abzug der Franzoſen verbreitete ſich in der Stadt mit Blitzesſchnelle. Ueberalb ſah man freudige Geſichter. „Sebaſtian. ſe gehe!“ rief ein Paſſant dem anderen zu, als wir uns gegen 10 Uhr dem Schloſſe näherten. Aus den geöffneten Fenſtern des Luiſeninſtituts erſcholl, als ſich die badiſche Flagge zeigte, von — hellen Mädchenſtimmen geſungen, das Deutſchlandlied, das durch ein Rheinlied abgelöſt wurde. In den Straßen erſchienen ſchon in der⸗ Vormittagsſtunden einige Fahnen. Das Landgericht befand ſich unter 5 48 den erſten, die ihrer Freude über die Vefreiung Mannheims auf dieſe Weiſe Ausdruck gaben. ̃ 2 Ein RNückblick Die Beſetzung des Mannheimer Hafengebietes wurde am Samstag. 3. März 1923 in der Frühe durch eine etwa 1000 Mann ſtarke franzöſiſche Truppenabteilung vollzogen. Die Be⸗ ſetzungszone erſtreckte ſich im Norden bis zur Luzenberaſchule auf dem Waldhof, im Oſten bis zur Friedrichsbrücke und umfaßte das Rheinvorland, den Mühlau⸗ und Binnenhaſen, den Verbindungs⸗ kanal, den Neckar⸗ und Induſtriehafen. Die in dieſem Gebiete be⸗ findlichen öffentlichen Gebäude, Hauptzollamt und Elektrizitätswerk, ſowie die geſamten Brückenzuaänge wurden militäriſch beſetzt. Die * 5 Zahl der franzöſiſchen Poſtierungen rechts des Rheines betrua ſchon 1 bisher vier. Dieſe Poſten befanden ſich im Rheinau⸗, Mühlau⸗ und Induſtriehafen, ſowie am Neckarvorland. Ihre Stärke, die urſprüng⸗ lich etwa 10—15 Mann betrug. hat ſich mit der Ruhrbeſetzung au' etwa 30—40 Mann erhöht. Mit der Beſetzung des Hafengebiets wurde gleichzeitig der Verkehr mit dem Zentralgüterbahnhof und der Eiſenbahnverkehr über die Rheinbrücke unterbunden. In der Hilda⸗ ſchule in der Neckarſtadt mußte der Schulbetrieb eingeſtellt werden da die Franzoſen im Laufe des Vormittaas damit begannen, aus den Schulzimmern im Parterre die Bänke zu entfernen. Eine Abteilung von 30 Mann beſetzte die Turnhalle der Luzenberaſchule. Im Elek⸗ trizitätswerk wurde von 12 Mann das Pförtnerhaus mit Beſchlag belegt. Im Zollhafen wurden alle Waren beſchlaanahmt. Der Zu⸗ tritt zum Hauptzollamt wurde nicht geſperrt. Im Neckar beſchlag⸗ nahmten die Franzoſen das der Rhein⸗ und Seeſchiffahrtsgeſellſchaft gehörige Kranſchiff„Mannhbeim 72“ und beleaten es mit einer Wache. Der Stadtrat verſammelte ſich mittags zu einer außer⸗ ordentlichen Sitzuna, in der„feierlicher Proteſt gegen die rechtswidrige Beſetzung von Teilen des Stadtgebietes durch die fran⸗ zöſiſche bewaffnete Macht“ und„gegen die Beanſpruchung und Be⸗ ſchlagnahme von Eigentum der Stadt und ſtädtiſcher Bürger“ erhoben würde. Die Bürgerſchaft wurde gebeten Ruhe und Beſonnenheit zu bewahren und nur den Anordnungen der deutſchen Behörden Folge zu leiſten. Der Landeskommiſſär, der auf Einladung der Sitzung beiwohnte. ſchloß ſich dieſer Erklärung im Namen der ſtaatlichen Verwaltungsb⸗hörde an. Ddie badiſche Reagierung nahm ebenfalls im Laufe des Vormittags zu der weiteren Beſetzung badi⸗ ſchen Gebiets Stellung. Es liegt. ſo heißt es in der amtlichen Kund⸗ gebung, kein Anlaß vor, wegen der Beſetzung der Häfen von Karls⸗ ruhe und Mannheim die Ruhe zu verlieren. Die badiſche Bevöl⸗ keruna muß wiſſen, daß ſie als Teil des deutſchen Volkes mit an den Folgen der ſchweren durch Frankreich vrovozierten Auseinander⸗ ſetzung tragen muß. bis in der Welt die Geſetze der Vernunft und Gerechtiakeit wieder Geltung haben werden. Von der Abſicht, die ſafenanlagen vom Mannheim und Karlsrube zu beſetzen. haben die franzöſiſchen Militärbehörden weder den Stadträten dieſer beiden Städte noch der badiſchen Regieruna Keyntnis geaeben. Im politiſchen Wochenrückblick wird ausgeführt. daß die Ueber⸗ raſchung. die den Bewohnern von Mannbeim und Karlsruhe und ihren heſſiſchen Nachbarn durch den Beſuch der Franzoſen in den Rheinhäfen und auf den Darmſtädter Werkſtätten beſchert worden iſt. nicht ganz unerwartet komme. Nachdem ſchon die Beſetzuna der ſogen. Flaſchenhälſe“ zwiſchen den drei Brückenköpfen Köln, Koblenz der Zollinſe die Herſtellung einer lückenloſen Grenze erforderlich iſt es nur eine loaiſche Weiterentwicklung. daß auch das zwi⸗ e und Köln gelegene rechtsrheiniſche de * wie i d. die rre gen von nahme der Fahrzeuge iſt aufgehoben, ebenſo alle der Rhein⸗ und Mainz mit der Vearündung erfolat war. daß die Durchführung verſtärkter Weiſe dem neuen Zollaürtell mer es nicht für nötig neue Mannheimer Jeituna(Abend⸗Ausgabe] bzug der Jranzoſen aus Maunheim Heſſen und Baden zu benachrichtigen, iſt ein Schönheitsfehler, der uns ſchon aar nicht mehr auffällt. Wer ſich, wie der General Deaoutte, auf den Standpunkt ſtellt. daß Frankreich, wenn es im Recht zu ſein alaubt, es dann auch ſelbſtverſtändlich iſt. braucht für derartige Schritte, wie es die Neubeſetzungen ſind, gar keine weitere„recht⸗ liche“ Begründung. Aber von dem Rechte, dem armen geqauälten und mißhandelten, iſt auch heute nicht mehr die Rede, denn die Macht geht vor Recht und— Deutſchland iſt machtlos. Die fran⸗ zöſiſche Bearündung für die neuen Beſetzungen iſt in einer am alei⸗ chen Abend dem deutſchen Geſchäftsträger in Paris überreichten Note wie folat niedergeleat:„Dder Rhein⸗Hernekanal. deſſen von Sabotage beſchädigten Schleuſen durch die Bemühungen der fran⸗ zöſiſchen und belaiſchen Behörden wieder in Ordnung gebracht wor⸗ den ſind. iſt durch abſichtliche Verſenkuna von Kähnen aeſperrt worden. Die franzöſiſche Regierung hat beſchloſſen, als Vergel⸗ tunasmaßnahmen die Häfen von Mannheim und Karlsruhe und die Eiſenbahnwerkſtätten von Darmſtadt zu be⸗ ſetzen.“ Dder Reichskanzler richtete anläßlich der Beſetzung Mannheimer Gebietsteile an den badiſchen Staatspräſi⸗ denten folgendes Telearamm: Mit tiefer Empörung habe ich Ihre Mitteilung über die Be⸗ ſetzung des Hafengebiets der Stadt Mannheim und über die Bedrohung von Badens Hauptſtadt er⸗ halten. Ich bitte Sie, Herr Staatspräſident, der badiſchen Reaie⸗ runa ſowie den ſchwer bedrohten Städten und dem geſamten badi⸗ ſchen Lande den Ausdruck der treueſten Anteilnahme der Reichs⸗ regierung zu übermitteln. Wir werden alles tun. was in unſerer Kraft ſteht, um die ſchweren Prüfungen. mit denen franzöſiſche Willkür wie in früheren Zeiten deutſcher Not den Südweſten unſeres Vaterlandes jetzt wieder heimſucht. nach Möolichkeit zu lindern. In Geſinnung und Tat wird das deutſche Volk den Ba⸗ denern ihre Treue und Standhaftiakeit danken. Wir wiſſen heute, daß dieſe Proteſte bei den Franzoſen völlig wirkunaslos verhallt ſind. Handelskammerſundikus Dr. Ulm hat kürzlich dargelegt. welche kataſtrophalen Einwirkungen die Ab⸗ ſchnüruͤna der Mannheimer Lebensader auf unſer Wirtſchafts⸗ leben ausgeübt hat, wobei nicht überſehen werden darf, daß die Reichsregierung die in dem vorſtehenden Teleagramm zugeſaate tat⸗ kräftige Hilfe bei weitem nicht in der wünſchenswerten Weiſe ge⸗ währt hat. Es braucht nur auf die Benachteiliaung Mannheims durch die Eiſenbahntarifgeſtaltung verwieſen zu werden. Mit der Beſetzung des Mannheimer Hafengebiets verſchärften ſich aleichzeitig die Schikanen im Rheinbrückenverkehr. Am Montag, 5. März 1923 wurde die Brücke auf die Dauer von 4 Tagen völlig geſchloſſen, ſodaß hunderte von Pfälzern, die ſich ins Rechtsrheiniſche begeben hatten. nicht mehr in die Heimat zurückkonnten. Das aleiche war auf'der Ludwiashafener Seite der Fall. Dieſe rückſichtsloſen Sverren, die in das eng verbundene Wirtſchaftsleben der Schweſter⸗ ſtädte empfindliche Störungen trugen, haben ſich ſeitdem in kürzeren oder längeren Zwiſchenräumen wiederholt. Erſt ſeit Aufgabe des vaſſiven Widerſtandes iſt eine gewiſſe Stetiakeit in der Handhabung der Brückenſperre zu beobachten. Die Einreiſe in die Pfalz durch Rechtsrheiner bewegte ſich in ſehr engen Grenzen. da Jeder. der nicht unbedinat aus geſchäftlichen und familiären Gründen im be⸗ ſetzten Gebiet zu tun hatte, auf eine Ueberſchreitung des Rheines ver⸗ zichtete. Vor kurzem iſt bekanntlich eine weſentliche Erleichterung dadurch eingetreten. daß der Beſitz eines Perſonalausweiſes oder eines Reiſepaſſes genüat. Am Donnerstag, 8. März 1923 wurden in Vervollſtändiaung des Zollaürtels die 85 Rheinauer Hafenanlagen beſetzt Kurz vor 3 Uhr nachmittaas wurde eine etwa 200 Mann ſtarke Ab⸗ telluna Franzoſen an der Altriper Fähre gelandet. Von hier mar⸗ ſchierten die Franzoſen, die von Ludwiagshafen aus auf Dampfern bis zur Landunasſtelle befördert worden waren, durch die Rhenania⸗ ſtraße nach Rheinau, wo auf dem Güterbahnhof der geſamte Verkehr geſperrt wurde. Im Gebäude der Güterabfertiaung wurden die unteren Büroräumlichkeiten beſchlagnahmt und nach zwei Stunden bezoden. Ebenſo beſchlaanahmten die Franzoſen im Rheinauer Zoll⸗ amt die Büroräumlichkeiten, in der Sunlichtſeifenfabrik den Arbeiter⸗ ſpeiſeſaal und im Elektrizitätswerk die Kantine. Die Abſchnürung der geſamten Rheinauer Hafenanlagen war ſchon abends vollzogen. Der Perſonenverkehr auf der Strecke Mannheim—Schwetzingen wurde nicht behindert. Am aleichen Tage verhafteten die Fran⸗ zoſen zehn Kommuniſten, die in der Nähe der Hildaſchule Plakate in deutſcher und franzöſiſcher Sprache angeklebt hatten. Die Plakate waren hauptſächlich zum Leſen für die in der Hildaſchule ein⸗ auartierten Franzoſen beſtimmt. Die Kommuniſten ſind zu ſchweren Freiheitsſtrafen verurteilt worden. Am Wochenende mußte feſt geſtellt werden. daß ſich durch die Abſperrung der Hafengebiete von der Wohnſtadt Mannheim nicht gerinae Verſorgunasſchwie⸗ rigkeiten einſtellten, da niemand die von den Franzoſen gefor⸗ derte 10prozentiae Ruhrabgabe bezahlen wollte. Dank der Eneraie und Umſicht der zuſtändigen Stellen iſt es gelungen, dieſer Schwieriakeiten ſchnell Herr zu werden, ſodaß die Ernährung der Be völkerung nicht gefährdet wurde. 85 In der Bürgerausſchußſitzunga vom 21. März 1923 legte Oberbürgermeiſter Dr. Kutzer nochmals Proteſt gegen die Beſeung der Hafenanlagen mit folgenden Worten ein Seit unſerer letzten Sitzung iſt auch in Mannhbeim fremde Militärmacht eingezogen. Am 3. März haben die Franzoſen unſer Staatshafen⸗ und Induſtriebafengebiet, einige Tage ſpäter auch die Rheinauhäfen und einen Teil der Bahn in ihre Gewalt gebracht. Gegen dieſe rechtswidrige Handluna hat der Stadtrat feierlich Vef⸗ eee eeeeeeeeeeee A+beSSeIZ e2S GSED/JEF. 8 4 r eee e 7 5 7 5 5 CE=— Neuostheim 7 cheine — — Hnbruchs- Gebiel.
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(21.10.1924) 490. Abend-Ausgabe
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