— —— —— 6. Seile. Nr. 571 Montag, den 8. Dezember 182— nur ſo durch die Tuft, ſo daß man ſich förmlich in einen Prager Gerichtshof verſetzt glaubt. Die alte franzöſiſche Kriminalfrage: Ou est la femme?“ muß man nun für dieſen Fall vartieren in die Frage:„Wo iſt der junge Mann?“— Und in der Tat, da ſteht er: Ein junger deutſcher„Student“(wobei die Gänſefüßchen an⸗ deuten ſollen daß es mit dem Studtum nicht weit her geweſen iſt), der 19jährige Ernſt Meiche, der Sohn ehrbarer Gaſtwirtsleute aus Thüringen. Die beiden alternden Frauen, die Eberl und Pruſcha. hauſten frieblich nebeneinander. Beflde waren noch im„gefährlichen Alter“, ſie hatten noch nicht reſigniert, und ihr Liebesbedürfnis ſcheint einen ziemlich hohen Grad erreicht zu haben. Aber ihre Liebeswege hatten ſich bis dato nicht gekreuzt und ſo waren ſie intime Freundinnen geblieben. Da ſtapft in die Idylle der beiden Greiſinnen der deutſche Jüng⸗ ling, hochgewachſen, helläugig und knuſprig. Er zieht als Schlafſtellenmieter zur Eberl, die gewerbsmäßig ſolche Stellen vermietet, und dabei mehr auf Liebesſold wie auf Mietzins ſchaut, Der junge Meiche war ihr von ſeinem Vorgänger Bachmann empfohlen worden. Anfangs mokierten ſich wohl die Eberl und ihre Freundin, die Pruſcha, ein wenig über den„Deutſchen“ und äfften ſeinen Akzent nach. Aber bald war er ihr lieber„Ernſt!“ geworden. Und merkwürdig, auch die Pruſcha. obwohl ſie ihre eigene Wohnung hatte, war mit einem Male ſtändiger Gaſt im Hauſe der Eberl, und ſelbſt Nachts ſchlief ſie öfter dort auf dem Divan, ſo daß dann die beiden Matronen mit dem jungen Mann in einem Zimmer lagen. Und die beiden Greiſinnen belauſchten ihn, wie ihre männlichen Abbilder einſt die Suſanne im Bade. Und die Pruſcha, eine gut konſervierte, kräftige Frau, die ihr reiches, ſchwarzes Haar noch immer kokett zu einer Gretelfriſur geflochten trägt, iſt in Sorge um die Unſchuld des jungen Meiche. Denn ſie kennt die Ge⸗ wohnheiten ihrer Freundin Eberl. Um auf den Buſch zu klopfen, fängt ſie an, zu ſticheln. Ernſtl wird entrüſtet und aufgeregt und droht, ſich etwas anzutun, wenn man ſo etwas von ihm denke. Die Eberl aber antwortet ironiſch, und ſtellt ihrer Freundin anheim, den Ernſtl doch mal auf die— Probe zu ſtellen. Vorſitzender: Wie war denn das Verhältnis zwiſchen Meiche und der Eberkl? Angeklagte: Er hat Schulden gemacht, und ich hab' dann erfahren, was ich nvorher nicht gewußt hatte, daß ſie ihm Geld borgte, zu⸗ ſammen 1½ Millionen. Vorſitzender: Was zahlte er Miete? Angeklagte: 30 000 Kronen in der Woche hätte er zahlen ſollen. aber er hat ja nichts gezahlt. Vorſitzender: Er bat ja auch bort gegeſſen. dafür bezahlt? Angeklagte: Er bat nicht einmal gefragt, was er zahlen ſoll. Wenn davon geſprochen worden iſt, hat er nur gelacht. Er hat gar⸗ nichts gezahlt. 5 aizenber: Glauben Sie, daß er ein Verhältnis mit der Eberl atte? Angeklagte: Ich alaube ſchon. Die Eberl war ſehr männer⸗ ſüchtig, hat junge Männer ſehr gern gehabt. Sie hat mit allen ihren Zimmerherren ein Verhältnis gehabt. Und alle haben ihr Schulden angehängt und ſind dann fort. Aber auch die Pruſcha ſelbſt war an der Beläſtigung des fungen Mannes nicht unbeteiligt. Außer den beiden alten, ſcheinen auch noch andere. jüngere Frauen dem Ernſtl nachgeſtellt zu haben. Denn gerade am kritiſchen Faſchingsmontag iſt eine andere, ebenfalls ver⸗ hetratete Frau gekommen und hat den Ernſtl zum Ball in die Spfien⸗ bälle abgeholt. Von dort iſt er erſt in den frühen Morgenſtunden, von ſeiner Tänzerin bealeitet, nach Hauſe gekommen. Sein Glück, denn damit war ſein Alibi bewieſen. Kurz nach dem Fortgang Ernſtis hatten Nachbarsleute noch einen heftigen Wortwechſel in tſchechiſcher Sprache zwiſchen den beiden in der Wohnung zurück⸗ gebliebenen Frauen, der Eberl und Pruſcha, gehört. Dann war alles ſtill geworden. Die Pruſcha iſt nach Hauſe gegangen und am nächſten Morgen fand man die Eberl tot in ihrem Bette, er⸗ droſſelt mit einem Lampendocht. Als Täterin murde die Pruſcha verhaftet, auch der junge Weiche Hat in Unterſuchunasbaft geſeffen, bis ſein Alibi erbracht mar. Was zwiſchen den beiden Frauen nach Meiches Kyortaana zum Ball porgegangen iſt, und zu einem ſo traaſſchen Ausgang eführt bat. wird, wie die„Breslauer Neueſten Nachrichten“ melden, wohl für immer unaufgeklärt bleiben. Die Pruſcha bat keinerſei Geſtändnis abßgelegt. und bis zum letzten Augenblick in leidenſchaftlicher und etwas robuſter Weiſe ihre Unſchuld beteuert. Es konnte gegen ſie nur ein Indizienbeweis gefſihrt werden, Aber die Ge⸗ ſchworenen baben ſie für ſchuldig bekunden, und das Gericht hat auf die dahmers troft von Iß Nobreunſchmeren gerfers erkaunt Was hat er denn nene Monnbelper Zeltnag Gbeng-Ruegebel Sportliche Kunoͤſchau Raöſport Radtennen im Berliner Sportpalaſt Betlin, 7. Dez.(Eig. Drahtber.) Der Berliner Sportpalaſt hat ſeine Winterradſportſaiſon eröffnet vor ſchwach beſeßtem Haus. Auch der Sport ſtand auf ziemlich mäßiger Stufe, da nur mittlere Klaſſe am Start vertreten war. Ergebniſſe: 200⸗Runden⸗FJahren nach Punkten: 1. Oskar Tietz 24 Punkte, 2. Heußler 14 Punkte, 3. Oſtermeyer 6 Punkte. Stundenmannſchaftsfahren: 1. A. Mayer⸗Jensken 18., 2. Schmidt⸗Koch 13, 3. Schrefeld⸗O. Tietz 12 Puakte. Schluß des Newyorker Sechskage⸗Rennens Zürich, 6. Dez.(Eig. Drahtber.) In dem 32. Sechstage⸗Kennen in Newyork nahmen keine deutſchen Fahrer teil. Sieger wurde das holländiſch⸗amerikaniſche Paar van Kempen ⸗Mac Namara mit 157 Punkten und 2368 Meilen. An zweiter Stelle endeten mit einer Runde zurück Wakthour⸗Giorgetto; mit zwei Runden zurück an dritter Stelle die Belgier Buyſſe⸗Gooſſens. 5 1* wüaſeerball Waſſerballſpiele in Köln Der deulſche Meiſter in guler Jorm Köln, 6. Dez.(Eig. Drahtbericht). Im Hohenſtaufenbad zu Köln fanden am Samstag abend vor verhälinismäßig gutem Beſuch einige intereſſante Waſſerballſpiele ſtatt. Der deutſche Meiſter Rhenus⸗Köln trat mit der Mannſchaft Hildebrand, Peter, Freund, Sommer und Lampheim gegen die erſte Mannſchaft des S. V. Ruhrort(Maßen, Kölner, Dahlem, Stein⸗ kampf und Riedeler) an und erzielte nach ſchönem flüſſigem Spiel einen:1Sieg. Die gleiche Mannſchaft von Ruhrort trat ſpäter noch gegen Rhenus 2 an und blieb hier mit:2 Toren ſiegreich. Poſeidon⸗Köln ſchlug Duisburg os mit 71. MmMotstradſport Das Sportprogramm 1925 des D. M. V. wird in einer Anfſang Dezember in Leipzig unter Leitung des Verbandsſportleiters H. Roßner⸗ Zeitz ſtattfindenden Sitzung 8 Schon jetzt liegt das Programm in großen Zügen feſt. Neben dem Swinemünder Bäderrennen und dem Iuſelbergrennen ſind zwet Rennen auf der Avus, eins im Frühjahr und eins im Herbſt vorgeſehen. Das Herbſt⸗ rennen ſoll als Großer Preis von Deutſchland inter⸗ national ausgeſchrieben werden. Die Meiſterſchaftsläufe werden wie auch in dieſem Jahre auf der Opelbahn ausgefahren werden. Für die Opelbahn ſind außer der Bahnmeiſterſchaft noch weitere Wettbewerbe in Ausſicht genommen. Anſtelle der Nord⸗Süd⸗Expreß⸗ fahrt ſoll vom 18.—21. Juni 1925 die deutſch⸗däniſche Fernfahrt Kopenhagen—Breslau abgehalten werden. Dieſe Fahrt, die wieder vom Dansk Motorklub Kopenhagen ausgeſchrieben wird, dürfte ſich zu einer internationalenVeranſtaltung erſtenRanges auswachſen, da Norwegen, Schweden und Finnland ihre Teilnahme an der Fahrt in Ausſicht geſtellt haben. Ferner ſind in Ausſicht genommen eine ſechstägige Sternfahrt von Oberhof ausgehend, die jeden Tag wie⸗ der zum Ausgangspunkt zurückführt und täglich eine andere Strecke vnn mindeſtens 30 Klm. vorſieht, ſowie während des Verbandstages Oſtern 1925 in Nürnberg eine Zielfahrt ſämtlicher dem Verbande angeſchloſſener Klubs. Boren Länderboxkampf Dänemark— Deutſchland.— Am 6. Januar 1925 findet in der däniſchen Hauptſtadt ein offizieller Länderkampf zwiſchen den beſten Amateurboxern beider Länder ſtatt. Der Deutſche Reichsverband für Amateurboxen wird durch ſeine Meiſter der acht Gewichtsklaſſen vertreten ſein. Von Kopenhagen fahren die Deut⸗ ſchen nach Stockholm, um dort an dem am 10. und 11. Januar ſtatl⸗ findenden internationalen Turnier teilzunehmen. 1⸗ Neuer ſenſakioneller Sieg Herſes in Paris.— Der 7. 5 Weltergewichtsboxer Hermann Herſe⸗Berlin konnte auch ſein 5 81 ege Auftreten in einem Pariſer Boxring zu einem ſenſationellen 5 geſtalten, der vom Publikum mit ſtürmiſchem Beifall aufgenom öſ⸗ wurde. Herſe ſchlug im Pariſer Wagram⸗Saal den guten franzo ſchen Weltergewichtler Sirvain bereits in der 2. Runde 1 Auto⸗Paris ſchreibt in der Vorſchau auf dieſen Kampf:„Keiner a9 den großen Eindruck vergeſſen haben, den der deutſche Welte ſen wichtler Herſe durch ſeinen ſchnellen k..⸗Sieg über den 7 Mario im Winterzirkus hinterlaſſen hat. Herſe hat alleAn ch dazu, ein großer Champion zu werden, er beſitzt„Brain iſ Eins⸗ ſchnell und gewandt und hat einen ſehr harten Schlag. Der ⸗ eigde Zwei⸗Schlag“, der Mario für die Zeit auf die Bretter warf, 5 h eine ſehr gute Berechnung und wenn es Herſe morgen gelingt den vain zu ſchlagen, ſo qualifiziert er ſich damit für Kämpfe weels beſten europ. Weltergewichtlern wie Piet Hobin, Schae Heiſe und Porcher. Wir erinnern noch einmal daran, daß ſich ge. im Ring ſowohl als äußerſt korrekter und loyaler, als auch als 55 nauer Kämpfer mit großer Technik gezeigt hat und daß er rüßt ſeinem erſten Auftreten mit einem Sturm von Begeiſterung Gane wurde.“ Für den am 20. Dezember im Pariſer Wintervelo 215 ſtattfindenden Großkampftag, an dem auch Exmeiſter Hans Be in tenſträter und der deutſche Weltergewichtler Ernſt G rim ehh den Ring ſteigen, iſt das Programm wie folgt zuſammengeſt Shaekals— Ernſt Grimm: Molina— Jack Walker Breitenſträter— Marcell Nilles und Paolins“ Humbeck. Neue Bücher. Beſprechung einzelner Werte nach Maßgade threr Bedeutung und des zur Verfügung ſtehenden Raumes vorbehalten) 10 tite Eug. Geiger:„Herr Zauſebart und Frau Ze ſchopf“, Märchen. Verlag: Karl Daſer, Stuttgart. 8N n⸗ Nikolai Gogol:„Die Naſe“, Verlag: Jul. Hoffmann, gart.(588) Kaka:„Lehrbuch der Demagogie“, Verlag:„Subdeniſch Zeitung“, Stuttgart.(589) „Den Freuuden des Verlags“, Almanach. Verlag: F. A. Brodcbanbt Leipzig.(590) Maarten⸗Maartens:„Gottes Narr“, Roman. Verlag: auben Langen, München.(591) W. Nithack⸗Stahn:„Florentins Bruder“, Roman. verlon Gebr. Paetel. Berlin.(592) P. Steiner:„Die weiße Königin von Okoyoeng“. erans Miſſtonsverlag, Stuttgart.(593)* O. e e Taylor“. Evang. vriie verlag, Stuttgart.(5 1 Jakobs& Sehler: Agim erzählt aus China“. En ren ſionsverlag, Stuttgart.(595) E. E. Pauls: Gl 7 5 Schule und Haus, Halle.(55 G. W. Poung: D Schule der Berge“. Verlag: F. A. dos⸗ aus. Leipzig.(597) J. Karwath:„Aglei“, Roman. Verlag: Volksverband der nichen freunde, Berlin.(598) erln Hans Härlin:„Herbſtföhn“, Roman. Wegweiſer⸗Berlat Be (599) Lewiſohn„Gegen den Strum“., Verlag: Frankfurter Se⸗ tätsdruckerei, Frankfurt.(600) cles W. v. Hollander:„Hegen den Morgen“, Noman. Berlag: Gyottſchalk, Berlin.(601) Roman. Heimatverlas 1 Herausgeber, Drucker und Verleger: Druckerei Dr. Hee, Nene Mannbeimer Zeitung, G. m. b. 5. Mannhelm. E 8. ½ Direktion: Ferdfnand Hevme— Chefredakteur, Kurt ſeiſcher. g. Verantwortlich für den polftiſchen und volkswirtſchaftlichen Teil: 1 1. Fiſcher: für das Feuilleton: Dr. Fritz Hammes; für Kommunalpolft 1n0 Sokäfes: Nichard Schönfelder: für Sport und Neues aus aller Welt⸗ 01 Müller: für Handelsnachrichten. Aus dem Lande. Nach bargebiete. Gertt den übria tebaktionellen Teil: Nr Kircher: 4 Anzelaen: Bernbarz, Der Feiſendrunner hof Eine Gutsgeſchichte von Anna Croiſſant⸗Ruſt Copyright bei Georg Müller, München. 19 Nachdruck verboten.) Peters Hände brannten von den Dornen und dem Geröll, er hatte ſeine Mütze längſt verloren, bald lief ihm der Regen aus den Haaren den Rücken hinunter. Würde er die Station erreichen, ehe es Tag ward? 8 Ging ein Zug noch in der Nacht oder im Morgengrauen? Vielleicht kannte ihn ihn dort der eine oder andere, er durfte alſo nicht erſt dort ſein, wenn es hell war. —1 gern hätte er geruht, hätte er etwas eſſen und trinken mögen 5 Vorſichtig abſteigend, immer die blinzelnden Lichter unter ſich, kam er nach und nach vorwärts. Dal— fort waren ſie! Der Hang hörte auf, er war auf einem ſchmalen Waldpfad, der ſich rechts und links teilte. Wohin nun? — Die Lichter waren direkt vor ihm geweſen, ſollte er links oder rechts gehen? Da er totmüde war, ſetzte er ſich auf einen Baum⸗ ſtrunk und wollte ein bißchen ruhen. Peter war eingeſchlafen, und als er erwachte, war die Morgen⸗ dämmerung da; er war eiskalt und ſteif geworden. In jähem Schrecken ſprang er auf und wollte blindlings fortſtürzen. Die letzte Kraft mußte er daranſetzen, um vorwärts zu kommen, er keuchte dabei vor Anſtrengung, der Schweiß lief ihm übers Geſicht. Hörte er nicht ein Rollen, das näher kam? War das der Zug, o hatte er keine Sekunde zu verlieren. So raſte er blindling⸗ hin, bis er endlich keuchend auf dem Bahnſteig ſtand. Er griff in ſeine Taſche— ſein kleiner Geldbeutel war fort! In der wilden Hetze der Nacht oder bei dem Kriechen über den Abhang hatte er ihn verloren. Er hätte auf der Stelle hinſtürzen und tot ſein mögen, er mußte ſich an die Mauer des Bahnhofes lehnen, um nicht umzufallen vor Elend und Müdigkeit, und doch hetzte ihn ſeine Angſt wieder auf, und er ſchaute ſcheu um ſich. Es waren nur ein paar verſchlafene, wortkarge Arbeiter da, die nach dem Frühzug ſtolperten, der eben einfuhr, und ihn nicht beachteten. Aber es war ihm einer gefolgt und ſtand dicht bei ihm— er ſtolperte auf, verſuchte zu fliehen, alles drehte ſich um ihn— da hatte er ihn ſchon gefaßt und hob ihm das Geſicht in die Höhe — der alte Gräfe Hannes! 5 5 Das war der alte Peter nicht, den er da fandl Nichts mehr war übrig von dem trotzigen, herriſchen Peter; ein kleiner, abge⸗ riſſener, zerſchundener Bub ſtand da, kehrte das Geſicht gegen die Wand und wollte nicht merken laſſen, daß er weinte. Der Alte machte nicht viel Worte, er tat auch nicht, als ſähe er Peters Tränen, er packte ihn nur und zog ihn mit ſich fort. Und Peter ließ ſich ziehen und folgte dem Alten. „Nit heimbringe, Hannes!“ bat er endlich. 8 Mutter iſch uff de Tod krank, ſie will dich hawwe! Nix als heem.“ Peter wurde ganz blaß, und der Alte konnte mit ihm anfangen, Scwegend ſie in der Morgenfriſche die große Walb⸗ weigend gingen orgenfr de gr ſtraße hinauf. Wie müde, abgerackerte Gäule, die zu ſchwer auf⸗ geladen haben, ſchlichen ſie dahin, und als ſie oben waren, wo Helene in das grüne Tal hinuntergeſehen hatte, fiel das erſte Wort: „Hannes, ſie wird doch nit ſterbe?“ 2 7 „Was weeß'?“ 1 5 Hannes machte ſein grimmigſtes Geſicht. Peters Empfang war anders, als er ſich vorgeſtellt hatte, daz er wurde nicht mit Schimpfen und Schelten, mit Püffen und ügel empfangen, ſondern man ihm mit wortloſer Kälte. Er fühlte wohl, daß hinter dieſer Kälte etwas lauerte, was ſich fürchterlich über ihn entladen würde, das nur zurückgedrängt war und auf ſeine Zeit wartete. Der Vater ſah ganz über Peter weg, der in ſeinem finſteren und ſorgenvollen Geſicht zu leſen verſuchte, wie es der Mutter ging; zu fragen getraute er ſich nicht. Wie ein Dieb ſchlich er ſich die Treppe hinauf und horchte vor der Mutter Türe. Ein ſanfte Stimme ſprach drinnen; das war die Wärterin, die vor kurzem gekommen. Dieſe fremde Stimme machte ihm die Mutter, machte ihm das ganze Haus noch fremder. Hannes hatte doch geſagt, ſie hätte nach ihm ver⸗ langt! Peter fühlte ſein Herz erſtarren. Wenn ſie doch geſchrien, wenn ſie ihn gepackt und geprügelt hätten! Die böſe Stille war ſo ſchwer zu ertragen. Er hätte es ja verdient, wenn ſie ihn geſchlagen hätten, was hatte er ſeiner Mutter getan! Wußte ſie nun alles? Er lief auf, einmal ſchnell die Treppe hinauf, riegelte hinter ſich zu und warf ſich verzweifelt auf ſein Bett. So blieb das ein paar Tage; er lebte völlig abgeſchloſſen oben in ſeinem Zimmer, faſt wie ein Gefangener, nur mit dem Unter⸗ ſchied, daß ihm jetzt Tina, das junge Mädchen, das die Mutſer bediente, die Speiſen hinauftrug und ihn dabei halb mitleidig, halb furchtſam anſchaute, wie wenn er ein wildes Tier wäre, dem nicht zu trauen ſei. Peter ſchrie danach, daß ſie ihm einmal etwas von der Mutter ſagte, es war ihm ja nicht möglich zu fragen. Und niemand kam und brachte ihm Nachricht, und niemand kam und ſagte ihm:„Sie will dich ſehen, Peter! Es wurde ihm befohlen, wieder bri den Mahlzeiten zu er⸗ ſcheinen, wo Alwine feierlich und ſtumm präſidierte, weil der Vater das Eſſen noch oben bei der Mutter einnahm, und ihm ſagte: „Du haſt heute nach Breitenberg zu gehen, der Lehrer erwartet dich, unterſteh dich nicht, etwa die Schule zu ſchwänzen! Es wird jetzt aus einem anderen Ton gehen. Wir wollen einmal ſehen, ob wir dich nicht klein kriegen!“ Man war nahe der Heuernte, das Wetter zeigte ſich nicht günſtig, die Luft war ſchwerer, und wenn die Sonne kam, ſtiegen Dämpfe auf. Peter ging bedrückt den 85 70 Pfad. Vor ſich ſah er deutlich die ſtarren, funkelnden Froſchaugen des Lehrers, ſeine gelben, viereckigen Zähne und die knotigen Hände, die wie Eiſenſtangen niederfallen konnten. DO, dieſer grauſame Mund!— wenn er zutraulich wurde: Nun, Peterchen? Was iſt es, mein Lieber? Haſt du wieder prima ge⸗ lernt? Hm?— Los, mein Prinz! Los! Wie er dann näher rückte, wie die Augen immer weiter aus den Höhlen vorkamen, wie man ſeinen ſcheußlichen Atem ertragen mußte, wo ſich alles gegen ihn ſträubte!— Wenn er neulich früh unter den Zug gegangen wäre, müßte er jetzt nicht zu dieſem Untier! Er war zehnmal auf dem Sprung, vom Wege adzugehen und quer über die Felder zu laufen, gleichgültig wohin. Und doch ſetzte er weiter Fuß vor Fuß, bis er an der Schwelle der Lehrerwoh⸗ ſtand. Seines Präzeptors Magd— der Gewaltige war Jung⸗ geſelle— öffnete ihm. Schlolkei und faul wie immer, mit dumm⸗ dreiſtem Geſicht, hieß ſie ihn in grinſende Empfang ſeines Präzeptors änderte nichts an ſeiner ver⸗ zweifelten Stinmung. Peter hatte noch nie ſeine Augen ſo geau⸗ ſam gefunden. Was hielt denn der Mann ſo konſequent hinter dem Rücken? „Dein Vater, lieber Peter,“ begann er nach einem gründlichen Räufpern,„hat mir den ehrenvollen aber gewiß nicht dankbaren Auftrag erteilt, dich gründlich von deiner Nichtsnutzigkeit zu über⸗ zeugen. Er ſelbſt liebt es nicht, ſich aufzuregen,— reiche Leute können ſich das ja geſtatten, es iſt bequemer und man macht keinen Lärm im eigenen Hauſe, wo ein Krankes liegt. Ich glaube dir die nötige Einſicht am gründlichſten beizubringen, indem ich— da komm einmal her, mein Jüngelchen! Mit ſtarren Augn, die Hände weit vorgeſtreckt, ging Peter rück⸗ wärts. Das Etwas kam hinter dem Rücken des Lehrers vor, ein ganz gewöhnliches, ſolides, ausgiebiges, ſpaniſches Rohr. „Nicht ſchlagen! Nein! nicht ſchlagen! Ich dulde es nichtl“ ſchrie Peter entſetzt. Er ſtand an der Mauer und ſtieß mit den Füßen nach dem Lehrer, aber es half ihm nichts. Der Große, Knochige war ihm an Küörperkraft weit überlegen. Es begann in dem engen Zimmer eine wilde Jagd, bei welcher der Lehrer mit übereinandergebiſſenen Zähnen blind darauf los ſchlug, und Peter ſich wie eine Katze durchzuwinden fuchte, um ſeinen Schlägen zu entgehen. Juletzt fand er aber keinen Auzweg mehr und mußte die Schläge ertragen, die mit elementarer Gewalt niederſauſten. Er gab keinen Laut von ſich; plötzlich griff er aber blitzſchnell zu, bekam den Stock zu faſſen und ſchleuderte ihn gegen den Wütenden, der Peter in der erſten Verblüffung an ſich vorbeiſtürzen ließ. s„gute Zimmer“ eintreten. Der ſchehe Die Beſtie würde ſich wohl deihn ihn auf der Straße zu verfolgen! Obwohl Peter am ganzen„ per zitterte vor körperlichen und ſeeliſchen Schmerzen, ſtürzte ſort, ſo ſchnell er vermochte. 955 Worte des Haſſes gegen ſeinen Peiniger, Worte des Haſſes ſeinen Vater, der ihm dieſe Schmach angetan, quollen über ſe Lippen. War es denn noch immer nicht genug!? Wollen ſif hl ganz kaput machen? Er verkroch ſich in den Wald und ſaen wie ein Raſender um ſich, bis ihn die Erſchöpfung zum Stennt⸗ zwang. Lange Zeit lag er ohne Regung da, bis ihn der Gede packte und nicht wieder verließ. Wer hatte ihn verraten? Wer—— die Geſchichte mit dem Goldherz hinterbracht?— Gretchen? 1n Da ſtand er auch ſchon auf den Beinen, und in einem ſtar und wilden Gefühl, die Falſche zur Rechenſchaft ziehen zu mi machte er ſich auf den Weg nach Haſeberg. uatdel Mit verquollenem Geſicht, mit trüben Augen, den Kopf d an. rot, die Lippen riſſig, mit unordentlichen Kleidern kam er do aill⸗ Er fiel faſt ins Haus vor Begier, Gretchen zu ſtrafen. Das eine Kind ſaß in der Stube auf dem zerfahrenen Kanapee, fältelte und feine Spitzenkrauſe, die ſie von links und rechts betrachtele men ſchrie auf, als ſie Peter in verhaltener Wut auf ſich zukor ile ſah. Sie ſtreckte bittend die Hände aus:„Peter, um Gottes nd⸗ was iſ'? und wich zurück, als er ſie mit Gewalt an den gelenken packte. 5¹ „Du biſt ſchlecht,“ ſagte er helſer,„ganz ſchlecht biſt du, haſt mich verraten!“ Und in übermäßigem Schmerz zerrde r das Mädchen in Höhe, ſtieß ſie hin und her und ſchrie ihr ins Geſicht:„Ein wenn du wärſt, ich ſchlüg dich auf der Stelle nieder! Ich heen Goldherz genommen, aber ich hab nicht geſtohlen, das iſt Ich wahrl, Ich wollte nur nicht haben, daß es Heinrich dir abſ be wollte es dir geben, weil ich nicht haben kann, daß du ihn ſie haſt als mich, ich kann es nicht haben!“ ſagte er heiſer un“ ihre Hände los,„aber du, Judas, verrätſt mich!“ 19 0 Er ballte die Fäuſte, Greichen wich zurück, ſah Peter kroßſ ge⸗ und ſagte:„Schlag nur zu! Sie haben ſa alles aus mir Pelen preßt; glaubſt du denn, ich hätt' ſonſt was geſagt? Peter, 5 ſſe Pet mich doch wieder lieb! Ich hab dich ja ſo gern!“ und fächelle eter weich werden ſah, warf ſie ſich an ſeinen Hals, ſtre Töne ihn zart und zog ihn auf das Kanapee, das vernehmli mur⸗ der Mißbilligung über die neue Erfahrung von ſich gab, und wil melte immerfork:„Sei ſtill, du biſt mein leber Peteri Jch e⸗ den Heinrich nimmer, ich will nur dich! Der Heinrich hat ſa nich ernſthaft in Speyer! Mach kein ſo böſes Geſicht, ich kar ut g⸗ ſehen, Fanel du mir denn nicht?— Was iſt denn überhau Endlich war er draußen! n Velerf Unter den guten Worten und Liebkoſungen begann 1 5 ſtockend zu erzählen, was er erlebt, auch was er neulich 5 es Nacht durchgemacht. Er erzählte abgebrochen und ſtockeg zgen löſte ſich ſchwer von ſeinem Herzen, und ſeine unterdrückten Keie⸗ konnten faſt keine Worte finden. Während ihn Geeichen ſtren Kht ſah ſie nach der Uhr. Es war beſſer, wenn Peter ging, e hötte aus der Schule zurück war. Der kleine Fratz ſah und. alles. ober „Ja, du biſt en armer Bub! fagte Gretchen zerſtreut, uno⸗ lieter, lieber Bub! Heinrich iſt aa ſchzner, aber du paſt ſ 00 lb zum Fürchte und halb zum Gernhabe. Mei Mamme ſonitel Aber horch emol, Peter,“ Gretchen tat auf einmal ganz mü ippen ſie ſah den Chignon der alten Katzebergern in der Ferne balb —„ich will'r was ſage: Du geh jetzt heim, die Mamma wi komme. Es iſt beſſer, die ſieht dich nit: Alla, adſe, Peter, heim!“ ſchmeichelte die kleine Katze und ſah ihn zärtlich an⸗ giebel vheiml Das iſt ein Heim! Das wird ſetzt was werden! ar läg ich im Weiher drüben. Wenn meine Mutter nicht w ch nich Nein, ſo was konnte Gretchen nicht leiden!„Schwäß daer und ſo dummes Zeug und gehl“ Und da Peter immer noch finſf Auſen trüb dreinſchaute, küßte ſie ihn herzhaft ab, immer mit den fam, auf dem Wege, auf dem die Mutter näher und immer näher und drängte ihn ſanft zur Türe. 9 f Als ſie 12 daß er nur ſchwer gehen konnte und hinken r bet das Zimmer ſchlich, mußte ſie laut lachen— ſo komiſch kau 1 das vor— ſo laut und andauernd, daß ſie ihm kaum mehfe 1 ſagen konnte.(Fortſ.f — — — E FFE
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(8.12.1924) 571. Abend-Ausgabe
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