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2. Seite/ Nummer 600 Neue Maunheimer Zeitung/ Weihnachts⸗ Ausgabe terne, Welt und Menschen Merums aus Neßpel umd Nnstermis, aus gruaůutuem Alltag! * Mannheim, 24. Dezember. Heraus aus Nebel und Finſternis, heraus aus dem grauen Alltag! Dieſer aus tiefſtem Herzen kommende Sehnſuchtsſchrei von Millionen und Abermillionen Menſchen iſt an keinem Tage im ganzen Jahr ſo weltumſpannend wie heute am Tage der Winterſonnenwende. Ueber lange, kalte und dunkle Winternacht trium⸗ phiert wieder, allmählich, aber ſtetig, der leuchtende Schein des himmliſchen Lichts. Dieſe Gewißheit gibt auch vielen verzagten Menſchenherzen neue Hoff⸗ nung und Zuverſicht. Die Weihe von Jahrtauſenden, die über dieſem Feſt liegt, fügt es wie von ſelbſt, daß die Gedanken der Menſchen zu Weihnacht weit über den kläglichen Alltag hinaus den großen und ewigen Gedanken der Menſchheit nachträumen. Fern ſei uns jede Ueberheblichkeit anderen Völkern gegenüber, aber zweifellos iſt es gerade eine Charak⸗ tereigentümlichkeit des nachdenklichen deutſchen Men⸗ ſchen, ſich in der Muße ſolcher Feſttage über die Not und Lüge des Alltags hinaus zu erheben, mit ſeinen weihnachtlich geſtimmten Gedanken bis zum Sternen⸗ Himmel zu fliegen und einige taſtende Schritte zu tun zu den ewigen Gipfelhöhen der Menſchheit. Wir folgen dabei den Angaben eines aus der Feder von Brund H. Bürgel im Verlage von Ullſtein⸗Berlin erſchienenen Buches:Die Weltanſchauung des modernen Menſchen, beſſen Lektüre uns manche trübe Nebelſtunde dieſer Vorweihnachtszeit mit ſtillem Leuchten erhellt hat und eine ſeeliſche Erquickung und Heraushebung war aus der Unraſt des Alltags. 5 Wie wenige Menſchen vermögen ſich Rechenſchaft zu geben über den Sinn und Zweck des Lebens, über das Woher und Wohin der Menſchheit, über Kosmos und Sternenhimmel, und doch iſt allen Menſchen die Sehnſutht nach dieſem Wiſſen tief ein⸗ geboren. Oft genug iſt freilich der tiefe Wunſch nach ſolcher Erkenntnis, nach Herauswachſen aus den Niederungen des Alltages in den Seelen vieler Menſchen verſchüttet durch die Not und Qual des täglichen Exiſtenzkampfes. Das Leben iſt gar kurz und die Mehrzahl der Menſchen ſagt mit Fauſt: Aus dieſer Erde quellen meine Freuden und dieſe Sonne ſcheinet meinen Leiden; kann ich mich erſt von ihnen ſcheiden, dann mag was will und kann geſchehen Doch nicht allen Menſchen iſt es vergönnt, ſo un⸗ beſchwert den kurzen Traum ihres Lebens dahin⸗ rauſchen zu laſſen. Viele möchten es auch garnicht, ſondern ſtreben zeit ihres Lebens mit ihrem Geiſt und ihren Gedanken heraus aus der Sphäre des Alltags und können nicht aufhören, darüber nachzu⸗ grübeln, was der Menſch in dieſem wilden Strudel werdender und vergehender Welten für eine Rolle ſpielt, welchen Sinn ſchließlich unſer Leben hat, welche Aufgabe wir zu erfüllen haben, ja ob uns überhaupt eine zugewieſen iſt. Dabei iſt es immer gut, ſich darüber klar zu ſein, daß dieſer ganze ge⸗ waltige Kampf, der ſich hier abſpielt, der Kampf der Völker, der Raſſen, Klaſſen, Kirchen und Einzel⸗ menſchen von winzigen Weſen ausgeſochten wird, kurzlebigen Eintagsfliegen, die auf einem kleinen Begleitſternchen der Sonne leben, das mit der Dreißigfachen Geſchwindigkeit einer Granate durch die Himmelsräume fliegt. Wie wenige wiſſen, daß ſchon der uns am nüchſten ſtehende Fixſtern, alſo die Nachbarſonne unſerer eigenen, der Stern Proxima Centauri am Südhimmel, 3,6 Lichtfahre von unſerer Erde entfernt iſt. Was das heißen will, möge man aus der Feſtſtellung erſehen, daß das Licht, das ſich genau ſo ſchnell aus⸗ breitet wie die elektriſchen Wellen beim Radio, in der Sekunde 300 000 Kilometer zurücklegt, daß es aber trotzdem nicht weniger als 3,6 Jahre braucht, um von jenem nächſten Fixſtern zu uns zu kommen. Dabei gibt es Fixſterne, die mehrere hun⸗ dert Lichtſahre von unſerer Erde entfernt ſind. Der Milliardenſtrom der allerfernſten Sterne, der ſoge⸗ nannten Milchſtraße, breitet ſich in Gefilden aus, die tauſende, ja zehntauſende von Licht⸗ fahren von uns entfernt liegen. Aus Milliarden von Sternen beſtehen auch die ſogenannten Spi⸗ ralnebel, die im beſten Teleſkop der Welt nur als winzige Lichtfleckchen zu erkennen und nach den neueſten Meſſungen ſoweit von uns entfernt ſind, daß eine jetzt abgeſandte drahtloſe Depeſche dort erſt nach mehr als hundertfünfzig Millionen Jahren eintreffen würde... Doch ſelbſt auf den Wegen des Sternenforſchers können wir nicht an eineGrenze der Welt gelangen. Gibt es vielleicht irgend einen anderen Weg, der uns zum Ziele führt? Man hat ſehr geiſtvolle Spekulationen angeſtellt, um Klarheit darüber zu gewinnen, ob die Welt endlich oder unendlich iſt. Nach der Relativitätstheorie muß das Weltall in ſich geſchloſſen, endlich ſein und dennoch ohne Grenzen. Endlich und doch ohne Grenzen? Für den Nicht⸗ mathematiker iſt das gewiß eine ſchwer zu knackende Nuß. Man ſtelle ſich ein winziges Bücherwürmchen vor, das auf einer waagerecht ſchwebenden langen Stange einherſpaziert. Es wird überall en eine Grenze der Stange geraten und(fſofern es denken kann) die Empfindung derEndlichkeit dieſer Stange haben. Bringen wir indeſſen dieſes Bücher⸗ würmchen auf eine rieſige Kugel, ſo wird es nirgends an einEnde, an eine Grenze kommen. Alle Linien, alle Wege laufen zwar ſchließlich in ſich zurück, aber es würde trotzdem in dem kleinen Weſen das Gefühl desUnendlichen reſultieren. Die Frage nach dem Sinn und Zweck des Welt⸗ ganzen müſſen wir fallen laſſen. Wir würden ſicher über die Ameiſe lächeln, die darüber grübelt (wenn ſie es vermag), welchen Zweck ein mächtiges Elektrizitätswerk hat, in das ſie vielleicht ein Wind⸗ ſtoß hineinwehte. Nicht anders aber ſteht der kleine ſterbliche Menſch dem Getriebe des Univerſums gegenüber. Sehr wohl aber dürfen wir fragen, ob unſer kleines perſönliches Daſein innerhalb der Menſchheit einen Sinn und einen Zweck hat. Die Frage nach dem Sinn und Zweck des Lebens wird jeder verſchieden beantworten. Der Sinn des perſönlichen Seins iſt u. E. harmoniſche Ent⸗ wicklung und Mitarbeit an der Vervollkommnung der Menſchheit. Der abendländiſche Menſch von heute ſteht mitten in einer ſchweren ſeeliſchen Kriſe. Rein fachlich, gegenſtändlich, rationaliſtiſch wird der Menſch, das Grob⸗äußerliche, das Materielle herrſcht. Wir überſchätzen das Techniſche und alle Außenkul⸗ tur, wir unterſchätzen die ſeeliſchen Werte, ſeien ſie nun im Religiöſen(wir denken dabei an kein Dogma) oder in all den anderen Strömungen und Betäti⸗ gungen gelegen, die unſer Herz erheben und mit Ehrfurcht erfüllen. Das alles iſt Grund genug, der Zeit den Puls zu fühlen und ſich zu fragen, wohin die Reiſe geht. Gewiß leben wir in einer ſchweren Zeit, aber auch in einer Menſchheitsepoche, die ſo intereſſant iſt, daß kommende Geſchlechter uns beneiden werden, ſie durchgemacht zu haben. Es iſt nicht wahr, daß wir Lebende eine Epoche der Menſchheitsgeſchichte durch⸗ wandern, wie andere auch. In den viertauſen d Jahren ſeit der Lebenszeit Chammurabbis, des großen Königs der Babylonier(der um 2000 v. Chr. regierte) bis zur Zeit Goethes ſind die Lebens möglichkeiten und Bedingungen in den Haupt⸗ zügen ziemlich gleich geblieben. Zwei Beiſpiele mögen das erläutern: Wenn Goethe, der 1832 ſtarb, nach Einbruch der Dunkelheit arbeiten wollte, ſo mußte er, obwohl inzwiſchen nahezu 4000 Jahre ver⸗ gangen waren, genau ſo wie Babylons großer Herr⸗ ſcher, die Oellampe anzünden und Chammurabbi ſowohl wie Goethe hatten, obwohl ſie durch 4000 Jahre getrennt voneinander waren, kein anderes Mittel, eine Botſchaft ſchnell 50 Meilen weit zu tragen, als einen reitenden Boten. Von den Zeiten Goethes aber bis zu uns, alſo in einem einzigen Jahrhundert, hat ſich das Geſicht der Welt, haben ſich die Lebensräume und Lebensmöglichkeiten vollkommen gewandelt. Vielleicht kommen viele unſerer großen Schwierigkeiten daher, daß wir in einem ein⸗ zigen Jahrhundert eine ſo völlige Umgeſtal⸗ tung der Welt erlebten, wie ſie nie zuvor geſehen wurde. Erinnern wir uns doch, daß noch vor 75 Jahren in unſerem Vaterlande Hexen durch das Volk abge⸗ urteilt und erſchlagen wurden, daß ein örtlicher Ge⸗ richtshof in Glarus eine junge Dienſtmagd wegen Ein Aufruf des Reichspräſidenten und der Reichsregierung Amtliche Meldung des Wolff⸗ Büros Berlin, 24. Dezember. Die Not der Arbeitsloſigkeit laſtet ſchwer gerade auch auf der deutſchen Jugend. Weder Arbeits⸗ beſchaffung noch Arbeitsdienſt köunen verhindern, Daß mit dem Aubench des Winters Hunderttaufende von jungen Dentſchen mit dem Schickſal ber Er⸗ werbsloſigkeit und der Untätigkeit zu ringen haben. Darum ruſen Reichspräſident und Neichsregierung das deutſche Volk am Weihnachtstage zum Not⸗ werk der deutſchen Ingend auf. Das Not⸗ werk ſoll der arbeitsloſen Jugend Gelegenheit zu ernſteſter beruflicher Uebungsarbeit bieten und ihr ſonſtige ſiunvoll geiſtige und körperliche Betätigung ermöglichen. Es ſoll ihr in Verbindung damit täg⸗ lich eine gemeinſame warme Mahlzeit ſicher n. Gemeinſinn und Hilfsbereitſchaft aller Teile der Bevölkerung müſſe in dieſem Notwerk zuſammen⸗ wirken, um die arbeitsloſe Jugend körperlich und geiſtig geſund und lebenstüchtig zu erhalten und ihren Willen zu kameradſchaftlicher Selbſthilſe zu ſtärken. Die freiwilligen Anſtrengungen der Bevöl⸗ kerung werden die planmäßige Unterſtützung des Reiches erfahren. Die Reichsregierung ſtellt allen geeigneten Einrichtungen, ins beſonbere auch freiwil⸗ ligen Kamerabſchaften junger Arbeitsloſer, die ſich in den Dienſt des Notwerks ſtellen und es praktiſch verwirklichen, Beihilfen zur Verfügung. Sie ſollen vor allem die vorgeſehene Verpflegung ermöglichen. Vergeſſene Schuld Erzählung von Wilhelm von Scholz Was wollt ihr denn heute am Weihnachtsabend, oder richtiger ſchon in der Weihnacht ſelbſt, noch etwas Gruſeliges hören! Es iſt ſehr ſpät gewor⸗ den. Wir wollen ſchlafen gehen. Wind hat ſich auf⸗ gemacht und fährt wild über die Dächer, Er wird uns nicht einſchlafen laſſen, wenn wir jetzt noch eine Geſchichte zum Gruſeln erzählen, ö Aber weiſer Rat wird ja nicht angenommen und Befolgt. Man hatte an dieſem Weihnachtsabend aus dem Dukas⸗Evangelium Chriſti Geburt gehört, ein paar alte ſchöne Weihnachtslegenden erzählt und dann denGleitenden Purpur von Conrad Ferdinand Meyer vorgetragen. Das Wunder der Weihnacht, in der alljährlich das Licht nach kurzer atmender Raſt ſich durch den erſt anhebenden dunklen Winter emporzuringen beginnt, hatte uns alle überſchauert. Es war ſchließlich zu verſtehen, daß man nun etwas Wunderbares vernehmen wollte, etwas, das die Müdigkeit noch einmal bannte, ehe mam vom warmen Punſch aufbrach und zu Bette ging. So hört denn zu! Es iſt eine wahre Geſchichte und wird auch deshalb vielleicht nicht gruſelig genug ſein, Denn die richtigen Gruſelgeſchichten ſind alle erfunden und erdichtet. Ich hatte einen Freund aus ſchon von der Klippſchulzeit her, mit mir in Marburg ſtudierte. Kennt ihr Marburg? Es iſt ſo vollendet die kleine urheimliche deutſche Univerſitätsſtadt mit Berggaſſen, Giebeln, Spitzdächern, Flieder, weitem Blick ins Land. Mädchen und Studenten, daß man, wenn man in der Dämmerung drin herumläuft, ſich immer wieder überzeugen muß, ob es auch wirklich jungen Jahren, der nachher auch Wirklichkeit iſt und nicht Märchen oder ein Bild, in deſſen gemalte Tiefe man arglos hineingeraten. Da ſtudterten wir. Mein Freund wollte auch ge⸗ legentlich, wenn er dazu Zeit finden würde, im Archiv eines benachbarten Schloſſes, das vor 100 Jahren ſeiner Familie gehört hatte, nach etwa noch vorhandenen Urkunden und Briefen ſeines Urgroß⸗ vaters ſuchen; aber natürlich nur ſo nebenbef, neben dem vielen Wichtigeren, das ein Student zu tun hat. Wir waren froh und guter Dinge, ſogen blaue Himmelsluft und blauen Pfeifenrauch, den abend⸗ lichen Duft des Flieders, Mondſchein und Küſſe in unſere junge Seele bis mir an meinem Freunde eine Verſtimmung auffiel, die ich mir nicht erklären konnte. Als ich aufmerkte, war mir, als liege der Beginn ſeines Trübwerdens ſchon einige Zeit zurück hatte ich es nicht beachtet, weil mich eine kleine Liebſchaft beſchäftigte und von dem Studien⸗ genoſſen abzog? 5 Als ich Eduard ſchließlich geradezu fragte, was ihm ſei, wich er lange aus. Erſt auf heftigeres Drängen bekannte er, daß ihn ein ſich wiederholen⸗ der unangenehmer Traum quälte. Das Merkwür⸗ dige an dieſem Traum ſei nicht nur, daß er, Eduard, in den letzten Wochen ſchon etwa dreimal völlig das gleiche geträumt habe, ſondern daß er obwohl er bisher nichts davon wußte ſich nun erinnere, ſchon als Knabe dasſelbe geträumt zu haben. Es iſt kurios, ich gehe als ein junger Menſch, etwa in unſerem Alter, aber in einer Kleidung, wie man ſie heute nirgends mehr ſieht, einen Garten⸗ zaun entlang und trage eine undeutliche, aber blanke Waffe in der Hand. Am Ende des Zaunes, wo eine Laube von innen ihr Blattgerank über das Staket hängen läßt, ſteht ein anderer, den ich in dem Traum viel deutlicher ſehe als mich. Er funkelt mich zorni⸗ gen Auges an. Mein Herz ſchlägt wild, und in ſeinem Pulſen überkommt mich ein glühendes, be⸗ glückendes Liebesgefühl, wie ich es, das kann ich dich verſichern, noch keiner unſerer hieſigen Blondinen und Brünetten gegenüber, überhaupt noch nie im Wachen empfunden habe. Ich weiß, ſie wartet un⸗ ſichtbar in der Laube auf den Sieger. Da fällt mich auch der andere ſchon beſinnungslos an, ſtürzt in meine nur eben erhobene Klinge und verſinkt ins Dunkel. Ich fühle mit jäher Angſt, daß, ſelbſt w Die Förderung des Notwerks der deutſchen Jugend iſt dem Reichsarbeitsminiſter übertragen. Er wird die notwendigen Anordnungen treffen, Der Reichspräſident: von Hindenburg. Die Reichsregierung: von Schleicher, Reſchskänzler. * Das Notwerk der deutſchen Jugend, zu dem Reichspräſident und Reichsregierung aufrufen, wird auf Anordnung des Reichsarbeitsminiſters durch die Reichsanſtalt der Arbeitsvermittlung und Arbeits loſenverſicherung durchgeführt. Für das Not⸗ werk ſtehen aus Reichsmitteln in dem laufenden Haushaltsjahr neun Millionen Reichs mark zur Verfügung. Hieraus dürfen Beihilfen ſolchen Einrichtungen und insbeſondere auch ſolchen freiwilligen Kameradſchaftenrn gewährt werden, die allein oder im Zuſammenwirken mit anderen Stellen junge Arbeitsloſe im Alter bis zu 25 Jahren außer zu gemeinſamer Mahlzeit durchſchnittlich mindeſtens vier Stunden am Tage zuſammenhalten. Hiervon ſollen nach Möglichkeit zwei Stunden der be⸗ ruflichen Fortbildung dienen, die übrige Zeit ſoll ſportlicher Betätigung und geiſtiger Bil⸗ dungsarbeit gewidmet ſein. Die Beihilfen ſollen ſo berechnet werden, daß höchſtens je nach den örtlichen Verhältniſſen 15 bis 25 Reichspfennige für jeden Teilnehmer gewährt werden. ich als Täter verborgen bleibe oder man meine Tat als Duell glimpflich beurteilen wird, dieſer Augen⸗ blick über meinem ganzen künftigen Leben als ſchwe⸗ rer Seelendruck liegen und meine Liebe zu der blutig errungenen Frau ewig überdüſtern und über⸗ dunkeln wird. Damit wache ich auf. So wiederholt es ſich. Mein gutes Zureden, mit bem ich das alte Sprich⸗ wortTräume Schäume abwandelte, ſchien ihn wieder heiterer zu ſtimmen. Bald darauf kam Eduards ſehr beſchäftigter Vater, den Sohn auf einen Tag zu beſuchen. Ich hielt mich zurück, da der Vater, wie ich wußte, vielerlei Familien⸗ und Ver⸗ mögensdinge mit Eduard bereden wollte, wobei ich nicht ſtören durfte. Am nächſten Tage berichtete mir mein Freund, er hätte auch ſeinem Vater beiläufig von den quä⸗ lenden Vorſtellungen erzählt. Sein Vater habe erſt in den mitgebrachten Papieren ruhig weitergeblät⸗ tert und anſcheinend kaum zugehört, ſei plötzlich aber erſchreckt aufgefahren, blaß habe er den Sohn angeſtarrt und erwidert:Auch ich bin in deinem Alter von dieſem Traum verfolgt worden und dein Onkel Theodor, mein jüngerer Bruder, auch! Dieſe Wiederkehr eines zwanghaften, ſich gleich⸗ bleibenden Geſchehens in der Schlafſeele mehrerer männlicher Mitglieder ein und derſelben Familie würde nur eine Kurioſttät mehr ſein in der Zahl der vielen vorkommenden Unerklärlichkeiten, die uns, eben meil ſie unerklärlich ſind, nicht weiter⸗ bringen. Aber hier ſchimmerte, wenn auch keine Erklä⸗ rung, zuletzt doch ein Stückchen Zuſammen hang wie eine da und dort aufglitzernde Flußſchleife in hochbegraſtem grünem Wieſental aus der Ver⸗ gangenheit he. 1 Eduard war den Traum im Burſchenleben glück⸗ lich losgeworden. Er kam endlich, ein volles Jahr nach dem Beſuche ſeines Vaters, beim Herannahen des Abſchieds von Marburg und deſſen Wiſſens⸗ und ſonſtigen Schätzen, die ſich meinem Freunde in inzwiſchen erſchloſſen hatten, dazu, noch auf das Gut immer neu zu en u. annte in Berlin der letzte Scheiter 22 éxrlaubte die katholiſche Kirche gung der alt war. 1813 b haufen und erſt 1 die Verbreitung der Schriften, die die Erde um die Sonne lehren. Noch vor ren mußten alle chirurgiſchen Operation täubung vorgenommen werden und 0 Kulturland wie Frankreich hat erſt ſeit ren die allgemeine Volksſchule. Weit, weit ſind wir immer noch zurück. wir uns nicht blenden durch äußerlichen 135 durch die verblüffend großartigen techniſchen Leiſtun⸗ Laſſen Gla gen unſeres Zeitalters. Wieweit wir noch ſind, wird an einem einzigen Beiſpiel deutl Problem des Krieges, an der Frage der f tötung der Menſchen durch Menſchenmaſſen. rſt wenn wir dieſe Kulturſchande überwunden haben, wird das Zeitalter der Barbarei beendet ſein. Gott⸗ ſeidank iſt der moderne, ganz anders geſchulte Menſch neuen Gedanken und Einrichtungen weit zugänglicher als der Menſch früherer Jahrhunderte, obwohl es im allgemeinen auch noch ſchwierig genug iſt, alte Vorurteile zu beſeitigen. Jeder Er⸗ finder und Entdecker, aber auch jeder Staatsmann weiß, wie feſt das Beharrungsvermögen die Men⸗ ſchen am Alten hängen läßt, wie ſchwer es iſt, die Trägheit zu überwinden, ein Umlernen zu er⸗ reichen. Man muß die Geſchichte der Aufhebung der Leibeigenſchaft leſen, die Kämpfe um die Abſchaffung der Sklaverei in den amerikaniſchen Staaten, die Kämpfe um das Mitbeſtimmungsrecht des Volkes bei der Lenkung ſeiner Geſchicke, um zu erfahren, wie ſchwer es war hier voranzukommen. Da hilft nichts anderes, als mutiges unentwegtes Feſthalten an dem Gedanken des Fortſchritts in der Welt. Unermüdliche Kleinarbeit. Sich nicht irre machen laſſen. Wenn der ſterbliche Menſch überhaupt eine Aufgabe hat, dann iſt es die, ein aufrechter Kämpfer zu ſein für die Vollendung des Menſchentums, für Meuſchenrecht und Men⸗ ſchenwürde, für Wahrheit und Gerechtigkeit. Wobei wir unter Wahrheit immer nur den Drang nach Wahrheit im Sinne Leſſings ver⸗ ſtehen und jedes Streben nach Vervollkommnung im Sinne Goethes:Wer immer ſtrebend ſich bemüht, den können wir erlöſen! Kein geiſtig geſunder Menſch unſerer Zeit fühlt ſich im Schmutz wohl. Wir haben alle das Bedürf⸗ nis nach Reinlichkeit, nach ſauberer Kleidung, ſauberer Häuslichkeit und nach Speiſen und Getränken, die, wenn auch noch ſo einfach und beſcheiden, doch un⸗ bedingt peinlich⸗reinlich zubereitet ſein ſollen. Mit dieſer Außenkultur aber hat unſere Innen kultur keineswegs gleichen Schritt gehalten. In allen Erd⸗ teilen gibt es immer noch viele Millionen Menſchen, die ſich zwar ſchämen würden, unſaubere Hände zu zeigen oder einen unſauberen Rock zu tragen, die ſich aber keineswegs ſchämen, eine ſchmutzige Seele zu haben. Doch wir wollen nicht aufhören der Hoffnung nachzuträumen, daß dereinſt auch im ſeeliſchen Leben der Menſchheit eine ſo völlige Umwandlung eintritt, wie wir ſie im Verlaufe der letzten fünfzig Jahre auf körperlich⸗hygieniſchem Gebiete er⸗ fahren haben. Wir können heute im Zeitalter der Hygiene, des Sports, die in jenem Punkte ſehr nach⸗ läſſigen Menſchen früherer Zeiten kaum noch ver⸗ ſtehen. Vielleicht wird ſich einſt auch die Freuds an einem ſauberen Geiſt, an einer ſauberen Seele durchgeſetzt haben. Das Ganze iſt letzten Endes ein Erziehungs⸗ und Vererbungs⸗ problem. Eine glückliche Zukunft der Menſchheit und es iſt hier keineswegs nur an materielle, ſon⸗ dern ſehr ſtark an ſeeliſche Werte gedacht, iſt mur auf dem Wege einer bewußten Aufwärts⸗ entwicklung zu erreichen, über der als wichtigſte Forderung ſteht: Auf Dich kommt es an! Handle ſo, als trügeſt Du, Du allein, die Verantwortung für den Aufſtieg unſeres Geſchlechts aus materiellen Sorgen, aus ſeeliſchen Nöten, aus Unkultur, Enge und Finſternis! Kein Tag aber im Jahre darf über alle Klaſſen und Schichten hinweg bei allen Menſchen eine ſtärkere ſeeliſche Aufnahmebereitſchaft für ſolche Gedanken vorausſetzen als der ſeit Chriſti Geburt von tauſend heiligen Schauern umwehte Tag der Weihnacht, der Tag der Winterſonnen wende, wo es durch Nacht zum Licht wieder aufwärts geht. H. A. Meiner. hinauszufahren, das einſt dem Urgroßvater gehört hatte. Ich begleitete Eduard und durchſtöberte mit ihm alte, umſchnürte Packen von Kaufverträgen, Teſtamenten, Familienaufzeichnungen, denen ein unbeholfen gezeichneter Stammbaum angeheftet war, gebündelte Jahresabrechnungen des Gutes und in ausgeſtorbenen zierlichen Handſchriften ge⸗ ſchriebene Briefe. Es war viel mehr Stoff, als mein Freund je vermutet hatte, und viel mehr, als in der uns noch bleibenden Zeit auch nur zu regiſtrieren geweſen wäre, Wir beſchloſſen, das aus Licht Gehobene un⸗ erforſcht der Grabkammer im Archiv wieder zurück zugeben, als mein Freund mir einen Brief in de zarten verſchnörkelten Handſchrift, die, wie wir ſeß⸗ geſtellt hatten, die ſeiner Urgroßmutter war, mit 5 einem zugleich fragenden und hinweiſenden Blick und einer faſt erſchrockenen Gebärde herreichte. Der Brief war aus dem Jahre 1813. Mein Freund wies auf eine Stelle der zweiten Seite. Ich las in den braun gewordenen, in das vergilbte Velinpapier eingeſaugten und eingetrockneten Buch⸗ ſtaben, die doch ſo lebendig ſich zu Worten eines lei⸗ denſchaftlichen Herzens zuſammenſchloſſen, als ſchlüge dies Herz noch jung und nah: ich beſchwöre Dich, geliebter Mann, ſuche nicht mehr um Deiner, un⸗ ſerer Schuld willen den Tod! Verlaß mich nicht! Ich hieß es mit ſchwerem Kummer, um Deine Seele zu entlaſten, um Dein Gewiſſen zu befreien, gut, daß Du Dich ihm ſtellen wollteſt, damit, wie Du ſag⸗ teſt, Gott leicht hätte, Dir zu vergeben oder Dich zu ſtrafen. Nun mußt Du aber wiſſen, daß Du ein Kind haben wirſt. Iſt es da nicht tapferer und beſſer, mit des Allmächtigen Hilfe auszuharren und auch ein verdunkeltes Leben auf ſich zu nehmen? Und iſt Zweikampf, wenn auch 5 Hier war das Blatt wie es ſchien, abſichtlich abgeriſſen. Der Reſt fehlte. Trug das Geſchlecht eine verborgene laſtende Schuld ſeiner Ureltern ſch r verurteilt, u im Blute weiter und wa 1 P 4