. 9 N. 1 Mittwoch, 15. Juni 1932 Neue Mannheimer Zeitung Abend⸗Ausgabe 3. Seite/ Nummer 272 Immer noch Ausſtellung Auf dem Exerzierplatz verſchwindet nur langſam die DeG⸗Ausſtellung, den die Hallen und Häuſer werden mit Sorgfalt abgetragen, damit nichts von dem Baumaterial verloren geht und bei nächſter Ge⸗ legenheit wieder verwendet werden kann. Das Gelände wird immer noch von dem Stahlturm und den Reklametürmen von Lanz, Badenia und Deutz beherrſcht. Die Erzeugnishalle iſt nunmehr ihres Daches beraubt, ſodaß mit dem Abtragen der Seitenwände begonnen werden kann. Das Haus der Badiſchen Landwirt⸗ ſchaft iſt ſchon vollſtändig vom Erdboden verſchwun⸗ den. Nur der Eiſenbahnwagen ohne Räder, der noch nicht abtransportiert worden iſt, zeigt, daß hier ein⸗ mal die Rückſeite der Halle war. Wie an den Ausſtellungstagen möchten„Inter⸗ eſſenten“ auf das Gelände, denn es iſt kein Geheim⸗ nis, daß man dort allerlei„erben“ könnte. Die DeG⸗ Schauleitung hat aber in derlei Dingen Erfahrungen geſammelt und läßt die Eingangstore immer noch ſtreng bewachen. Wer nichts auf dem Platz zu tun hat und wer ſich nicht genügend ausweiſen kann, muß draußen blei⸗ ben. Würde die Kontrolle nicht ſo ſtreng durchge⸗ führt, dann wäre die Ausſtellung ſicherlich ſchon längſt vollſtändig„abgebaut“. Ganz angenehm iſt ein Gang durch die Ausſtel⸗ lungsſtraßen nicht mehr, denn überall iſt gebuddelt worden. Das Waſſerwerk hat einen Teil der Waſſer⸗ leitungs rohre wieder aus dem Boden genommen und die Poſt, die für ihre Telephonkabel auch ander⸗ weitige Verwendung hat, ließ ebenfalls fleißig graben. Nur ein Fernſprechhäuschen auf der Platz⸗ mitte dient noch ſeinen Zwecken und wird ſtändig be⸗ nützt. Die Lichtleitungen hängen wirr umher, doch iſt das Berühren der Drähte nicht mehr lebens⸗ gefährlich, denn den Strom hat man ſchon längſt ab⸗ geſtellt. Der Zaun von dem großen Ring iſt gefallen, aber die große Tribüne ſteht noch in ihrer ganzen Mächtigkeit. Die Viehſtälle ſind umgelegt. Einige Ausſtellungs⸗ plätze im Freien ſind vollſtändig geräumt, während die Muſterhäuschen immer noch gar zu verlockend daſtehen. Den eigentlichen Ausſtellungsbetrieb noch — nicht eingeſtellt haben der zurückgebliebene Stab der Schauleitung und die Kantine, die bis zuletzt für Speiſe und Trank der Arbeiter ſorgen muß. * Aerztlicher Ehrengerichtshof und die ärztlichen Ehrengerichte. Gemäß 8 24, Abſatz 3 des Geſetzes vom 10. Oktober 1906 über die Rechtswverhältniſſe des Sanitätsperſonals(Geſetz⸗ und Verordnungsblatt Seite 491) werden nach Anhörung der Badiſchen Aerztekammer für die Dauer der vierjährigen Wahl⸗ periode 1932 bis 1935 zu rechtskundigen Mitgliedern ernannt: A. Beim Ehrengerichtshof: a) zu Mitglie⸗ dern: Miniſterialrat Dr. Imhoff im Miniſterium des Innern und Oberlandesgerichtsrat Wohlge⸗ mut in Karlsruhe; b) zu Stellvertretern: Mini⸗ ſterialrat Dr. Keller im Miniſterium des Innern und Oberlandesgerichtsrat Dr. Koel le. B. Bei den ärztlichen Ehrengerichten in Mannheim: a) als Mitglied: Regierungsrat Dr. Compter beim Be⸗ zirksamt Mannheim; b) als Stellvertreter: Regie⸗ rungsrat Neumayer beim Bezirksamt Mann⸗ heim. * Steinwürfe auf Eiſenbahnwagen. Da nach Mit⸗ teilung der Reichsbahndirektion Karlsruhe ſich in letzter Zeit wieder die Fälle mehren, daß ſchulpflich⸗ tige Kinder mit Steinen auf fahrende Züge werfen, hat das Unterrichtsminiſterium die Lehrkräfte erſucht, die Schuljugend in eindringlicher Weiſe auf die Ge⸗ fährlichkeit des Unfugs ſowie auf die ſtrafrechtlichen Und zivilrechtlichen Folgen(Haftpflicht oer Schüler CHanciliaclspꝭ itte 16 000 Badegäſte weilten am vergangenen Sonn⸗ tag im Mannheimer Strandbad. Als bevorzug⸗ teſtes Beförderungsmittel galt wiederum das J a hr⸗ rad, denn 6600„Tretmühlen“ wurden im Laufe des Tages untergeſtellt. Die Armee der Fußgänger vergrößert ſich immer mehr, während bei den Bäderda mpfern im Verhältnis zur Geſamt⸗ beſucherzahl eine Abwanderung feſtzuſtellen iſt. Be⸗ förderten doch die Dampfer mehr als 3000 Perſonen in der Richtung nach dem Strandbad, denen ſchätzungsweiſe über 4000 Fußgänger gegenüber⸗ ſtehen. Die OE ſchaffte ebenfalls ein halbes Hun⸗ dert Leute herbei und ſchließlich kamen noch mit eigenen Motorfahrzeugen rund 300 Perſonen. *. Daß es bei einem ſolchen Hochbetrieb nicht ohne Unfälle abgeht, iſt leider eine unumſtößliche Tat⸗ ſache. 36 Verletzte aller Art meldeten ſich in der Sanitätswache⸗Nord und 45 Verletzte in der Wache⸗Süd. Leider ſcheint es ſich auch zu beſtätigen, daß der als vermißt gemeldete Junge tatſächlich ertrunken iſt. * f Um dem naſſen Tod wirkſamer begegnen zu können, werden im Laufe dieſer Woche zwei„Ho ch⸗ ſitze“ aufgeſtellt, die mit einem Lebensretter beſetzt und mit je drei Rettungsringen ausgerüſtet werden. Die Aufſtellung erfolgt direkt an der Waſſerlinie und an zwei Stellen, von denen aus der geſamte Strand zu überblicken iſt. Damit dürfte ein lange gehegter und oftmals geäußerter Wunſch in Erfüllung gehen. Gleichzeitig findet mit dieſer neuen Einrichtung der Vorſchlag, der die Aufſtellung der Rettungsringe an der Waſſerlinie forderte, eine Er⸗ ledigung. Ob die hochſitzenden Wachtpoſten ſpäter vermehrt werden, hängt von den jetzt zu ſammelnden Erfahrungen ab. 1 Der Autoparkplatz hat nunmehr eine ſichtbare Einteilung erfahren, die eine ſich allenthalben bereits bewährte Schrägſtellung der Wagen vorſieht. Allerdings können bei der ſchrägen Aufſtellung einige Wagen weniger auf dem Platz abgeſtellt werden, doch läßt ſich eine beſſere Unterbringung der Motorräder ermöglichen. Dar⸗ über hinaus iſt die Zufahrt und die Abfahrt weſent⸗ lich vereinfacht. E Dringend erforderlich iſt es, daß endlich einmal die Handkarren, die zum Eistransport verwendet werden, vom Badeſtrand verſchwinden. Die Be⸗ ſchwerden, die aus Kreiſen der Badegäſte einlaufen, ſind ſo zahlreich, daß die Polizei nicht mehr länger Nachſicht üben darf und energiſch durchgreifen muß. 1 Ueber die Ballſpieler noch ein Wort zu ſa⸗ gen, dürfte zwecklos ſein, denn es ſcheint, daß das Ballſpiel nur an den Stellen Freude bereitet, an denen es verboten iſt. Immerhin erſcheint es zweck⸗ mäßig, erneut darauf hinzuweiſen, daß die Spiel⸗ wieſe uneingeſchränkt benützt werden darf und dort der Boden genau der gleiche iſt wie am übrigen Strand.* ... ũ dd ã ͤdddddfãã ͤ ͤã é ͤ ͤͤã᷑ e Beiſetzung von Gärtnereibeſitzer Moſer Auf dem Friedhof in Rheinau wurde geſtern nachmittag unter außerordentlich großer Beteiligung der im Alter von 56 Jahren verſtorbene Gärtnerei⸗ beſitzer Georg Moſer zur letzten Ruhe beſtattet. Am Grabe würdigte Vikar Heckel das Lebenswerk des fleißigen Mannes, der, aus Seckenheim ſtam⸗ mend, ſich vor nahezu 30 Jahren in Rheinau ſelbſt⸗ ſtändig gemacht hatte; ſein Leben war ausgefüllt durch Beruf und Familie. Im Auftrag des Krieger⸗ und Militärvereins Rheinau widmete Hauptlehrer Münz dem Dahingeſchiedenen einen Nachruf, worauf die Feuerwehrkapelle Brühl, die die Trauer⸗ feier mit Chorälen umrahmte, das Lied vom guten Kameraden anſtimmte. Der Männergeſangverein Liederkranz ließ durch ſeinen Vorſitzenden, Krie⸗ ger, einen Kranz niederlegen. Für die Freiwillige Feuerwehr ſprach Kommandant Held, für den Ge⸗ werbe⸗ und Handwerkerverein Schneidermeiſter Knopf, für den Männergeſangverein Rheinau Vorſtandsmitglied Weber, für die Turngenoſſen⸗ ſchaft Rheinau der 2. Vorſitzende Albert Große und für den Arbeiterſängerbund Herr Thomas. Die Bezirksgruppe des Verbandes badiſcher Garten⸗ baubetriebe ließ ebenfalls einen Kranz am Grabe ihres verdienten Mitglieds niederlegen. Zum Ab⸗ ſchied ſangen noch die einzelnen Geſangvereine. Die Kameraden vom Krieger⸗ und Militärverein ſchoſ⸗ ſen eine Ehrenſalve. Dann ſenkten ſich die vielen Fahnen über dem Grab des angeſehenen und belieb⸗ ten Rheinauer Bürgers.* * Freiwilliger Tod. Ein in der Neckarſtadt wohn⸗ hafter, 40 Jahre alter verheirateter Kaufmann hat ſich geſtern vormittag in ſeiner Wohnung einen Schuß in die rechte Schläfe beigebracht. Der Lebens⸗ müde wurde in das ſtädt. Krankenhaus eingeliefert, woſelbſt er bald nachher geſtorben iſt. Schlechte wirtſchaftliche Verhältniſſe dürften die Urſache der Tat ſein. * Leichenländung. Geſtern vormittag wurde die Leiche des 494 Jahre alten Lothar Müller, C 3 wohnhaft, beim Mühlauhafen geländet. Der Knabe iſt am 7. Juni beim Spielen auf einer Landungs⸗ pritſche in den Rhein gefallen und ertrunken. Vezirkstreffen der„Selbſthilfe“ Nicht nur in Mannheim und ſeinen Vororten entwickelte ſich die„Selbſthilfe“ zu einer unentbehrlich gewor⸗ denen Organiſation, ſondern auch über die Gemarkung hin⸗ aus bis in den ſüdlichen Schwarzwald hinein, haben ſich Ortsgruppen gebildet, haben nach Mannheimer Vorbild ſich Arbeitsin validen Witwen und Unfallrent⸗ ner zuſammengeſchloſſen. Am Sonntag fanden ſich ihre Vertreter zu einem Bezirkstreffen ein, das zweierlei Zwecke zu erfüllen hatte. Es ſollte erſtens gezeigt werden, wie in Mannheim gearbeitet wir d. Zweitens ſollten die auswärtigen Gäſte erleben, wie die Organi⸗ ſationihre Mitglieder immer enger zuſam⸗ menſch ließt, wie die„Selbſthilfe“ ihre Mitglieder⸗ zahl ſtetig vergrößert, bei montlich 12—15 Abgängen, 25—90 Neuanmeldungen regiſtrieren kann. Daß die Zeitung in Mannheim auf dem rechten Wege und vorbilölich inbezug auf Organiſation iſt, beweiſt die ſtete Gründung weiterer Ortsgruppen in Baden. Die Sitzung in die vollkommen unüberſehbare Ausſprache über die Ge⸗ fahren der Szialverſicherung führte, zu dem Beſchluß, bei den nicht ausbleibenden Kür⸗ zungen, die ein Mehr von Arbeit bringe, bei der troſtloſen Zukunft nun erſt recht durchzuhalten. Man könne vorerſt nur eine ab wartende Stellung einnehmen. Nach⸗ dem noch einige interne Angelegenheiten erledigt waren, wurde die Sitzung geſchloſſen. Der Kinderbazar am Nachmittag erfreute ſich eines nicht erwarteten Beſuches. Bei Kaffee und Kuchen(in eigener Regie) hatte man ſeine Kurzweil bei den Kindern, die mit Eifer und heller Freude ſich den verſchiedenen Beluſtigungen hingaben, ſich an der reich beſchickten Tombola nicht ſatt ſehen konnten. Für ein Zehnerle konnten etwa 350 Glückskinder mit hübſchen Ge⸗ winnen nach Hauſe wandern. Frau Leonore Fuchs⸗ Gernsheim hatte es vortrefflich verſtanden, die Klet⸗ nen zu unterhalten. Insbeſondere fand ihr achtjähriger Wunder⸗Schüler Schneider, der„kleine Geiger mit dem großen Ton“, regſtes Intereſſe. Mit vielem Beifall wurde auch der in der„Selbſthilfe“ nicht mehr unbekannte Tenor Trautz vom Nationaltheater bedacht. 8 Der bunte Abend wurde zu Ehren der zahlreichen auswärtigen Gäſte ver⸗ anſtaltet, die von einem„Würzelchen“ echt Mannemeriſch begrüßt wurden. In Ergänzung der Rede von Frau Wurzel, der unermüdlich rührigen Vorſitzenden, über gab einen Einblick derzeitige Lage. Die den Zweck der Veranſtaltung, wäre noch zu erwähnen, daß alle etwaigen Ueberſchüfſe für die 130 Mitglieder be⸗ ſtimmt ſind, die nach Neckargemünd in Erholung geſchickt werden, wo ſie ſich wieder als Menſchen fühlen. Ferner fände im Juli während acht Tagen für jede Sektion eine Dampferfahrt ſtatt. Zum Schluß dankte Frau Wur⸗ zel für den zu zahlreichen Beſuch(viele mußten wegen Platzmangel trotz Belegung aller Räume des Geſellſchafts⸗ hauſes wieder umkehren). Insbeſondere hob ſie das Ver⸗ trauen der Mitglieder hervor, das die Bewältigung der Arbeit erſt ermögliche, und dankte der Preſſe für ihre ſtete Unterſtützung. Im Namen der auswärtigen Gäſte fand Herr Keppner⸗Haßlach(Schwarzwald) begeiſterte Worte für die Leitung. Neben den alle Erwartungen überſteigen⸗ den zahlreichen vorbildlichen Eindrücken der Zentrale in Mannheim rühmte er die Gaſtfreundſchaft und lud die Mannheimer zu einem Beſuch in Haßlach ein. Und nun wickelte ſich das bunte Programm ab, das Frau Leonore Fuchs⸗ Gernsheim geſchmackvoll zu⸗ ſammengeſtellt hatte. Bei den zahlreichen Nummern würde es zu weit führen, alle Darbietungen anzuführen, obwohl es die ausgezeichnete Leiſtung verdient hätte. Da wäre der beliebte„Toni“, der Toni Kunz zu nennen, der mit ſei⸗ nem Humor die Lacher auf ſeiner Seite hatte, mit ſeinen Vorträgen wie mit ſeiner witzigen Anſagerin. Wo es die Pfalz würdig zu vertreten gilt, fehlt das temperamentvolle Frl. Zettler, die„Pälzer Krott“, nicht. Der beltebte Konzertſänger Hans Kohl trug zu der fröhlichen Stim⸗ mung durch ſeine Rheinlieder, Wilh. Trautz durch einige wirkungsvolle Arien bei, dezent von Frl. Lucie Schu h⸗ macher begleitet. Ein Turnierpaar(Emma Herr ⸗ mann und Ludwig Neuer) führte zur Abwechflung einige moderne Tänze vor. Das ausgezeichnete Tanztrio, das ebenſo gut klaſſiſch geübt iſt, hatte man für den Abend aus dem„Weinberg“ entliehen, ſodaß eine erſtklaſſige Muſik gewährleiſtet war, zumal auch Frau Leonore Fuchs⸗ Gernsheim mit einigen Soli aufwartete. Anerkennung verdient auch der Wirt des Geſellſchafts⸗ hauſes, der durch ſeine Uneigennützigkeit zum materiellen Erfolg weſentlich beitrug. Eine Dampferfahrt am Montag nachmittag vereinigte noch einmal die Mehr⸗ zahl der auswärtigen Gäſte, die mit der Fahrt ein Stück den Rhein auf⸗ und abwärts auf angenehmſte Weiſe die rieſigen Anlagen Mannheims kennen lernten. Bei dem ſo wohlgelungenen Verlauf aller Veranſtaltungen nahmen die Gäſte die beſten Eindrücke von Mannheim und der „Selbſthilfe“ mit nach Hauſe. Mit der Rhein⸗Neckarfahrt fand das Bezirkstreffen ſeinen Abſchluß. 8 * Porerſt keine Unterrichtsausflüge mehr an den Höheren Lehranſtalten. An den Höheren Lehran⸗ ſtalten waren bisher in den Oberklaſſen für wiſſen⸗ ſchaftliche Zwecke größere Ausflüge üblich, wodurch den Eltern natürlich auch Koſten erwachſen ſind. Mit Rückſicht auf die ſchwierige Wirtſchaftslage hat das Unterrichtsminiſterium die Höheren Schulen ange⸗ wieſen, bis auf weiteres keine ſolchen Ausflüge mehr zu veranſtalten. * Schlägerei. In einer Wirtſchaft in der Unter⸗ ſtadt entſtand geſtern abend zwiſchen dem Wirt und mehreren Gäſten ein Streit, in deſſen Verlauf zwei Gäſte vom Wirt aus dem Lokal gewieſen wurden. Als ſie verſuchten, erneut in das Lokal einzudringen, kam es zu einer Rauferei. Hierbei wurde eine Frau vermutlich durch ein geworfenes Bierglas am Kopf verletzt. Einer der ausgewieſenen Gäſte erlitt eine Ader⸗ und Sehnenverletzung am linken Arm, die vermutlich durch Zertrümmerung einer Glasſcheibe der Wirtſchaftstüre entſtand. Das herbeigerufene Notrufkommando ſorgte für Verbringung des Ver⸗ letzten ins allgemeine Krankenhaus. Die verletzte Frau, die ſich ebenfalls dorthin begab, wurde nach Anlegung eines Notverbandes wieder entlaſſen. * Das 80. Lebensjahr vollendet am morgigen Donners⸗ tag, 16. Juni, Fräulein Maria Kolligs, Weſpinſtr. 13, früher Erzieherin in einer Heidelberger Familie. Nöge der Jubilarin ihre erfreuliche körperliche und geiſtige Ela⸗ ſtizität noch lange erhalten bleiben. Kein Wölkchen am Himmel. Es ſcheint ſo, als oh es überhaupt keine Wolken mehr gäbe, denn auf den meiſten Photos, die man ſo bei Bekannten ſieht, iſt dort, wo Himmel und Wolken ſein ſollten, dort, wo die eigentliche Stimmung der Landſchaft liegt, eine leere, weiße, nichtsſagende Fläche. Dabei braucht man doch nur den farbenempfindlichen Voigtländer⸗ Film zu nehmen und die Aufnahmen mit einem Voigtländer⸗Gelbfilter zu machen, und ſchon hat man den Himmel auf Erden, Alſo lieber Voigtländer⸗Film nehmen!! WM 73 bezw. Eltern) aufmerkſam zu machen. Feuille fon-Verttleb A. F. Rohrbacher- Verlag dos Berlin-Liehterfelde- Ost one enn Lin Fee„77 bb ROMAN VON HANS FPOSSEN DORF 15 Da ließ ſie die derbe Stimme ihres Vaters emporſchrecken: „Halt, halt, Miſter Dowſen! Das iſt nichts! Nee, nee, das iſt mir zu überſpannt, mein lieber Herr! Da müſſen Sie was anderes dazu ſpielen, Zum Beiſpiel die Barkarole aus Hoffmanns Erzählungen boͤer ſo etwas. Zu einer Gondel gehört ein Gon⸗ delltied, wie zu einer Parade ein Marſch gehört.“ „Schön, Herr Gudden, ich werde es ändern! Ich habe mich noch nicht ſo ganz in den Stil einge⸗ wöhnt!“ rief Jvachim vom Flügel her, während er fortfuhr zu ſpielen Der leichte Beiklang von Ironie in dieſer Ant⸗ wort war Lore nicht entgangen, und ſie empfand ihn als Genugtuung; denn die unpaſſende Kritik ihres Vaters, der gerade die herrlichſte Stelle aus Mangel an gutem Geſchmack abfällig beurteilte, hatte ſie ver⸗ droſſen. Nun beugte ſie ſich vor und blickte intereſ⸗ ziert zu dem Künſtler hinüber. Aber bei der Dun⸗ kelheit des Raumes waren kaum die Umriſſe ſeiner Geſtalt und ſeines Geſichts zu erkennen. Nur die über die Taſten gleitenden Hände waren von dem Schein der abgeblendeten Notenlampe beleuchtet. So wußte Lo nicht, ob er jung oder alt, groß oder klein, hübſch oder häßlich war, der dem Inſtrument dort dieſe herrlichen Töne entlockte. Aber der Klang ſeiner Stimme hatte in ihr eine ſo plötzliche und ſon⸗ derbare Sympathie erweckt, daß ſie geſpannt war, was für einen Menſchen ſie vor ſich ſehen würde, wenn der Raum nachher wieder erhellt wurde. Stephan Gudden ſah jetzt wieder recht zufrieden drein. Der hervorbrechende Mondſchein hatte den Wächtern den enteilenden Nachen verraten. Nun ſetzten des Sultans Reiter den Fliehenden nach. Auf ſchäumenden Roſſen jagten ſie das Flußufer entlang. Und dazu ertönte eine wilde orientaliſche Muſik, ein ſcharfes, tolles Galopptempo, das die Spannung der Geliebten zugeführt. Zuſchauer an dieſer Verfolgungsſzene aufs höchſte ſteigern mußte. Das war mehr nach Guddens Ge⸗ ſchmack.„Bravo, bravo, Miſter Dowſen!“ rief er durch den Raum und applaudierte dabei vergnügt. „Famos! Wirklich famos!“ ſagte jemand laut hinter Gudden und ſeiner Tochter. „Thedoͤdyl Sie hier?— Nun, das iſt nicht ſchlecht!“ Lo hatte Herrn Stanford d. J. ſofort an ſeiner hohen, quäkenden Stimme erkannt, und nun ſpähte ſie in der Dunkelheit nach ſeiner langen, dürren Geſtalt. „Hähä— das hätten Sie nicht gedacht?— Hähä!“ Theodor Stanford kicherte wie über einen gut gelun⸗ genen Witz und taſtete ſich näher heran. 5 „Hallo, Theddy!“ rief nun auch Gudden gut ge⸗ launt und griff nach dem Arm des jungen Mannes. „Kommen Sie näher! Nehmen Sie Platz!— Nein, hier zwiſchen uns. So! Das iſt ja nett, daß Sie trotz Lores Wortbrüchigkeit nachgekommen ſind! Sie kommen gerade zu einer glänzenden Vorführung. Da können Sie Ihrem Papa heute abend berichten, daß unſere Firma mal wieder allen anderen voraus iſt; das wird ihn freuen!“ Aber Stanfords Blicke ſchweiften immer wieder von der Leinwand ab und ſuchten Los Geſicht. Doch ſie ſchien ſo vertieft in die Vorſtellung, daß ſie auf nichts anderes achtete. Da beugte ſich der junge Mann zu ihrem Ohr herab.„Sie ſind doch nicht böſe, daß ich Ihnen hierher gefolgt bin, ſchönſte Prin⸗ zeſſin?“ „Prinzeſſin? Was heißt denn das nun wieder?“ „Nun, die Tochter des Filmkönigs iſt doch natür⸗ lich die Filmprinzeſſin“. „Ach, Theoͤdy, Sie haben doch wirklich einen Spleen.“ „So? Finden Sie dieſen Titel nicht hübſch? Im Klub fanden ihn alle vorzüglich. Paſſen Sie auf: man wird Sie bald nicht anders mehr nennen!“ „Sehen Sie doch lieber auf den Film, Theddoy— das iſt jetzt wirklich intereſſanter.“ Gehorſam wie ein Schuljunge blickte er krampf⸗ haft auf die Leinwand, wo ſich jetzt die Schlußſzene abſpielte. Der edle Sultan hatte ſoeben großmütig auf den Beſitz Konſtanzes verzichtet und ſie ihrem Und unter allgemeiner Rüh⸗ rung des Volkes zog das glückliche Paar davon, der Heimat zu. Theddy Stanford ſeufzte. Vielleicht träumte er ſich und Lo in dieſem Augenblick in der Rolle von Belmonte und Konſtanze. Nun war der Film zu Ende. Die elektriſchen Lampen flammten auf. Lore Gudden blickte, noch etwas geblendet von der plötzlichen Helligkeit, nach dem Flügel und ſah, wie ſich eine jugendlich ſchlanke Geſtalt von dem Klavierſeſſel erhob. Da wendete er ſich um, trat mit eleganter Läſſigkeit einen Schritt näher, und nun ſah Lore Gudden auch ſein Geſicht. Das alſo war der Mann, der dem Inſtrument ſo⸗ eben ſolche Zauberklänge entlockt! Die drei Jahre Weltwanderſchaft waren an Joa⸗ chim nicht ſpurlos vorübergegangen. Hatte ſein Aeußeres ſchon früher wenig typiſch Künſtlerhaftes gezeigt, jetzt deutete faſt nichts mehr auf ſeinen Be⸗ ruf hin. Das Geſicht ſchien noch ſchmaler, die Züge noch ſchärfer geworden. Um den früher weichen Mund lag ein harter, herber Zug, und um die Au⸗ gen begann ſich, ähnlich wie bei ſeinem Bruder Al⸗ brecht, ein feines Netz von Fältchen zu legen. Aus der Brandwunde, die er in jener Unglücksnacht da⸗ vongetragen, war eine Narbe geworden, die ſich als ſchmaler, rötlicher Streifen von der Mitte der Stirn ſchräg zur rechten Schläfe hinabzog und ſeinem Ge⸗ ſicht etwas ſeltſam Verwegenes gab. Erſt als Joa⸗ chim dicht vor Lo und ihrem Vater ſtand und ſie in die großen Augen ſchaute, da begriff ſte, wie unter ſeinen Händen ſolche Klänge hatten hervorquellen können; denn Joachims Augen waren die gleichen geblieben: tief und voll Wärme, verträumt und eine ganze Welt von Phantaſie bergend. Lore wendete ihren Blick von Joachim zu ihrem Vater. Und unter dieſem heiſchenden Blick tat Ste⸗ phan Gudden, was durchaus nicht in ſeiner Abſicht gelegen: er ſtellte Joachim ſeiner Tochter vor und darauf Herrn Theodor Stanford. Dann gab er mit ein paar kurzen Worten ſeiner Zufriedenheit über dieſe erſte Probe von Joachims Leiſtungen Aus⸗ druck und legte ihm bei dieſer Gelegenheit die Muſik für den in Vorbereitung befindlichen Odyſſeusfilm beſonders ans Herz. Gleich darauf wendete er ſich in einer geſchäftlichen Angelegenheit einem der Re⸗ giſſeure zu, und Joachim ſtand nun Lore Gudden und Herrn Thedoy Stanford gegenüber. Vor allem anderen fühlte Lo das Bedürfnis, die Taktloſigkeit ihres Vaters von vorhin wieder gut⸗ zumachen. Ein paar Augenblicke ſchwieg ſie noch und ſuchte nach geeigneten Worten, um ihrem Gefühl Ausdruck zu geben. Doch was nun etwas ſchüchtern, warm und rührend offen über ihre Lippen kam, ſchien ihr, als ſte es ausſprach, ſo ungeſchickt, daß ſie dabet wie ein kleines Mädchen errötete:„Hat es Sie ſehr verletzt, Herr Dowſen?“ Da ging ein ſo liebenswertes, warmes Lächeln über das Geſicht des jungen Künſtlers, daß Lores Befangenheit ebenſo ſchnell verſchwand, wie ſte ge⸗ kommen.„Nein, ſicher nicht, Fräulein Gubdden. Meine Empfindlichkeit iſt ſchon lange gewöhnt, ſich den Umſtänden anzupaſſen“, ſagte er mit leiſem Hu⸗ mor und ohne jede Schärfe. Und ſchnell fügte er in ernſtem Tone hinzu:„Aber ich danke Ihnen von Herzen.“ g „Was war es denn eigentlich?“ fragte nun Lore. „Wie? Was meinen Sie?“ gab Joachim zurück. Er wußte recht gut, was ſie meinte, aber die Be⸗ antwortung der Frage war im Augenblick unan⸗ genehm, und ſo ſchob er ſie hinaus. 8 „Nun eben das, wovon wir ſprechen: dieſe herr⸗ liche Stelle in der Muſik— als die Gondel über das mondbeſchienene Waſſer gleitet.“ „Oh, nichts Beſonderes—“ „Ich meine, aus welchem Werk, Komponiſten dieſe Stelle ſtammt?“ Nun mußte Joachim mit der Sprache heraus:„Es waren ein paar Takte von mir ſelbſt, die ſich vor⸗ witzigerweiſe hervorgewagt hatten. Sie ſehen, es iſt ihnen ſchlecht bekommen.“ „Das— das haben Sie komponiert?“ Lo ſchien es gar nicht faſſen zu können. Und als Thedoy Stanford dieſe große Bewun⸗ derung Lores für den Künſtler bemerkte, da fühlte er die unabweisbare Pflicht, auch das Seine zu dem Lobe beizutragen:„Ja, wirklich— Herr— Herr Darwinſen, das— das war wirklich tadellos! Und wie die Gänſe dann ſo losflitzen— und dieſe Muſtk dazu, ſo hm⸗ta⸗ta, hm⸗ta⸗ta— Er ahmte einen über den Hals ſeines galoppierenden Pferdes gebeugten Reiter nach.„Alſo wirklich famos, ganz famos, Herr— Herr Rowlinſon.“ Lore Gudden biß auf die Lippen, um nicht heb herauszulachen, und um Joachims Mundwinkel zuckte es verräteriſch. 1 „Lo, ich muß gehen! Ich will noch zu einer Auf⸗ nahme in den Atelterpark hinaus, Kommt Ihr mit?“ unterbrach da Guddens Stimme das Geſpräch. i (Fortſetzung folgt) * 25 von welchem
Ausgabe
143 (15.6.1932) 272. Abendblatt
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten